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Gedanken für den Tag
Thomas Mann gegen Hitler
Gedanken von Hosea Ratschiller, Kabarettist, zum 150. Geburtstag von Thomas Mann
5. Juni 2025, 06:57
Wann genau Thomas Mann vom pangermanischen Autoritären zum europäischen Demokraten wurde, welche Rolle dabei Verfolgung, Einsicht und Kalkül gespielt haben und ob es überhaupt jemals passiert ist, das beantwortet die Literaturwissenschaft mit ungebrochenem Eifer.
Wie sehr sich diese Mühe lohnt, das lässt sich in jedem Text dieses Schriftstellers nachlesen. Ich selbst habe jedenfalls noch nie eine Seite von Thomas Mann ohne Gewinn gelesen. Und das gilt auch und in besonderer Weise für seine Appelle gegen den Nationalsozialismus. Als Literat hat er sich selbst kleinste Anflüge von Parteinahme übelgenommen. Aber Zweifel an der Notwendigkeit offener Widerrede zur Naziherrschaft klingen in keinem der veröffentlichten Texte durch.
Ich halte das für eine Leistung, deren Dimension geeignet ist, von der Qualität seines literarischen Werkes abzulenken. Aktive Gegenrede zu Hitler ist eine der wenigen Ablenkungen von seiner Literatur, die Thomas Mann überhaupt jemals riskiert hat. In die Schlacht wurden seine Worte schon 1915 geschickt. Aber unmittelbar nach 1918 beginnt er sich vom Kriegsgeschwurbel zu distanzieren. Ein Aktivist gegen Hitler bleibt er freilich auch dann noch, als Nachkriegsdeutschland sein Engagement mit Herabwürdigung dankt und die USA ihn als Kommunisten verfolgen.
Es gab nicht viel, woran die demokratische Bewegung sich in Deutschland nach 1945 aufrichten konnte. Die klaren Worte, mit denen Thomas Mann von seiner Ansprache im Berliner Beethoven Saal 1930 bis zu seinem Tod im Jahre 1955 sicher nicht in die Literaturgeschichte eingehen wollte, sondern die Köpfe und Herzen der Deutschen erreichen, gehören zweifellos dazu. Sein Werk ist durch diesen Ausflug ins Profane nicht geschrumpft, aber der Mensch Thomas Mann ein Stück gewachsen.
Service
Thomas Mann, "Große kommentierte Frankfurter Ausgabe. Werke, Briefe, Tagebücher", S. Fischer Verlag 2002
Dieter Borchmeyer, "Thomas Mann. Werk und Zeit", Verlag Insel 2023
Michael Maar, "Das Blaubartzimmer. Thomas Mann und die Schuld", Rowohlt Verlag 2025
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Sendereihe
Gestaltung
Übersicht
Playlist
Komponist/Komponistin: Frederic Chopin 1810 - 1849
Album: CHOPIN: NOCTURNES / AUSWAHL - DANIEL BARENBOIM
Titel: Nocturne für Klavier Nr.13 in c-moll op.48 Nr.1 : Lento
Solist/Solistin: Daniel Barenboim
Länge: 01:10 min
Label: DG 4151172