Von Bäumen und Autos

17. Juni 2025, 06:57

Von meiner Wohnung aus schaue ich auf den Park des Belvedere und weiter zum Botanischen Garten, auch in den Himmel darüber. Mein erster Blick am Morgen gilt den Bäumen. Als hätte ich Angst, sie könnten verschwunden sein über Nacht. Ich habe also, was man eine schöne Aussicht nennt. Drei Stockwerke darunter ist die Realität eine andere. Tausende Autos befahren täglich die Straße, in der ich wohne; manchmal scheint mir, sie fahren mir durch den Kopf, überrollen mein Denken.

Die Bäume, die Autos - zwei Wirklichkeiten, die sich ineinanderschieben, die ich täglich neu in Einklang bringen muss. Gegen Abgase und die Gewalt des Lärms setze ich den Blick ins Grün. Und stelle mir vor, es würde sich haltlos ausbreiten. Die Straße überwachsen, sie für sich gewinnen. Eine kleine, harmlose Flucht in die Fantasie. Im Realen lese ich vom Bau neuer Straßen, der Errichtung neuer Parkplätze, der Sanierung von Autobahnabschnitten. Tausende Bäume werden dafür gerodet, die mit ihnen verbundenen Habitate abgesiedelt. Wie und wohin sich Käfer, Schmetterlinge, Eidechsen, Eichhörnchen absiedeln lassen, bleibt ungesagt. Es gibt Gleichungen, die ich nicht lösen kann, und Prioritäten, die ich nicht begreife.

Stattdessen lese ich in Eva Maria Leuenbergers Buch "die spinne", einem Langgedicht, in dem die Autorin versucht, Sprache und Form zu finden für die Scham und die Ohnmacht angesichts unserer Zerstörung von Natur. Es ist ein Schreiben, das auf der Möglichkeit beharrt, die Welt anders zu denken und zu gestalten.

"ein alter traum:
eine zukunft, deren zeilen
nicht stürzen.
ein baum, der dich trägt."

Service

eva maria leuenberger: die spinne. Literaturverlag Droschl

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• Alexandra Mantler