Radiokolleg

Gemeinsam erinnern (3)

Wie wirken die Erlebnisse nach?

Der Vater war zurück. Mit seinen Altersgenossen hat er viel über den Krieg geredet. Aber das Heldenthema war vorbei", erzählt Ö1 Hörerin Erna über ihre Wahrnehmungen als Kind der Nachkriegszeit. "Sie haben immer wieder gesagt: ,Kein Wunder, dass der Franz nichts zu Wege bringt und alles an seiner Frau hängt. Der hat zweimal das Eiserne Kreuz bekommen, der hat elf Panzer abgeschossen. Der ist mit den Nerven fertig.'"

Geschichten von traumatisierten Kriegsheimkehrern, von Todesangst während der Bombardierungen, aber auch von Zusammenhalt und Solidarität zählen oft zu den eindrücklichsten Erfahrungen von Menschen, die in den Jahren 1945-1955 aufgewachsen sind. Ö1 sammelt diese persönlichen Berichte aus der Nachkriegszeit im Rahmen des Projekts "Gemeinsam erinnern". Was davon wollen wir an unsere Kinder und zukünftige Generationen weitergeben? Und wie prägt das Erlebte die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen selbst auf lange Sicht?

Von einer Kellerphobie, die auf die letzten Kriegstage zurückgeht, erzählt Ö1 Anruferin Gertrude. Als 4-Jährige hat sie damals die große Angst vorm Einmarsch der Roten Armee in Wien miterlebt: "Meine Mutter und Großmutter waren schon 14 Tage lang mit uns Kindern im Luftschutzkeller. Da habe ich bemerkt, wie sich die Frauen aus Angst vor den Russen Kopftücher umbinden und die Gesichter mit Ruß verschmieren. Und plötzlich waren sie da, die Russen. Als sie unser Marienbild im Luftschutzkeller gesehen haben, sind sie wieder abgezogen. Aber bis heute kann ich keinen Keller mehr betreten."

Fast 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat sich das kollektive Gedächtnis verändert. Wurde zunächst über die Ereignisse geschwiegen oder die Opferrolle eingenommen, wird jetzt vielschichtiger an diesen Abschnitt der österreichischen Geschichte erinnert. Wie soll in Zukunft mit diesen Erinnerungen umgegangen werden? Lebensgeschichtliche Archive sind gefordert, im digitalen Zeitalter neue Wege zu gehen. Nicht nur die Mediennutzung ist vielfältiger, auch die Aufbereitung und die Bewahrung der zeithistorischen Dokumente oder Zeitzeugen-Erzählungen. Stichwort Künstliche Intelligenz (KI), sie kann unterstützen wie etwa durch interaktive Gesprächssimulationen. Virtual-Reality-Erlebnisse können Kinder und Jugendliche auf spielerische Weise an diese Epoche heranführen. Aber das birgt zugleich Risiken, denn die künstlich erschaffene Authentizität kann das Erinnern glätten, verzerren oder kommerzialisieren. Deep Fakes stellen eine Gefahr dar, die Erinnerungen umzudeuten und zu instrumentalisieren. Die Erinnerungskultur einer Gesellschaft zeigt, wessen Geschichte sichtbar ist und wessen nicht. Davon sind auch Orte der Erinnerung betroffen. Sie verschwinden durch fehlende Förderungen aus dem öffentlichen Bewusstsein - wenn ihre Geschichten nicht mehr erzählt werden.

Gestaltung: Barbara Volfing, Claudia Unterweger, Sabine Nikolay, Ute Maurnböck
Redaktion: Ina Zwerger, Ute Maurnböck

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