Zwischenruf
Eine Verantwortung, die kaum jemand sieht
von Martin Nagl-Cupal, Assistenzprofessor für Pflegewissenschaft der Uni Wien
6. Juli 2025, 06:55
Ferien, Freizeit, lang schlafen, kein Stress, keine Sorgen um Hausübungen oder Prüfungen. So ist das jetzt im Sommer . Aber es gibt eine Gruppe, für die hat auch während der großen Ferien die Unbeschwertheit ihre Grenzen - wenn sie überhaupt vorhanden ist.
Ich spreche von "Young Carers", also von pflegenden Kindern und Jugendlichen. Sie unterstützen dort, wo es notwendig ist: Sie betreuen Geschwister, übernehmen Haushaltsaufgaben, helfen beim Aufstehen, putzen Zähne, wechseln Verbände oder verabreichen Medikamente. Immer steht ein erkranktes Familienmitglied im Mittelpunkt ihrer Fürsorge. In Österreich zählen mindestens 3,5 Prozent aller Kinder und Jugendlichen zu diesen sogenannten "Young Carers".
Die Unterstützung, die Kinder und Jugendliche in der Pflege leisten, ist tief in familiärer Verantwortung verwurzelt. Für sie ist es selten eine bewusste Entscheidung, sondern eine Selbstverständlichkeit, die sie als Teil ihres Alltags erleben. Ihre Rolle empfinden sie oft nicht als außergewöhnlich, sondern als etwas, das - ähnlich wie eine chronische Erkrankung - immer schon da war. Daher sehen sie sich selbst meist nicht als Pflegende.
Fragt man sie nach ihren Beweggründen, wird deutlich, wie sehr die innerfamiliären Beziehungen im Mittelpunkt stehen: Sie möchten das kranke Familienmitglied nicht allein lassen, fühlen sich gebraucht oder handeln aus Liebe und Zuneigung. Diese oft unsichtbare Verantwortung verdient mehr Aufmerksamkeit und gesellschaftliche Anerkennung.
Die Pflege durch Kinder und Jugendliche ist nicht zwangsläufig immer nur mit negativen Folgen verbunden. Viele erleben durch ihre Verantwortung eine frühere Reife und schätzen die damit verbundene Wertschätzung, insbesondere vom kranken Familienmitglied. Dennoch tragen viele schwer an dieser Aufgabe. Angst und Sorge um das erkrankte Familienmitglied stehen oft im Vordergrund, begleitet von Schuld- und Schamgefühlen.
Häufig übernehmen sie früh eine Erwachsenenrolle. Freunde, Partys - was ebenso zur Jugend gehört - kommen zu kurz. Und die Schule? Fehlzeiten und Leistungsabfall sind keine Seltenheit, was langfristig Bildungswege einschränken kann. Zudem beeinflusst die notwendige Präsenz zu Hause oft ihre Entscheidungen für die eigene Zukunft.
Viele "Young Carers" entwickeln eine bemerkenswerte innere Widerstandsfähigkeit, die ihnen hilft, die Belastungen der Pflege zu bewältigen. Ressourcen wie pflegefreie Zeit, Ablenkung, unterstützende Familienmitglieder und enge Freundschaften spielen dabei eine wichtige Rolle. Doch individuelle Stärke allein reicht nicht aus - auch die Gesellschaft trägt Verantwortung. Die UN-Kinderrechtskonvention betont das Recht von Kindern auf Teilhabe.
Doch viele "Young Carers" erleben Isolation, da ihre Pflegeaufgaben oft ihre Freizeit und Interessen verdrängen. Scham und die Normalisierung dieser Belastung führen dazu, dass sie selten über ihre Situation sprechen. Mir ist es wichtig, diese jungen Leute sichtbar zu machen. Sie leisten einen wertvollen Dienst an der Gesellschaft. Ich engagiere mich dafür, dass sie in ihrer Situation nicht allein bleiben.
Sendereihe
Playlist
Komponist/Komponistin: Peter Michael Hamel
Album: Edith Salmen: Wassermusik
Titel: Ballade - für Percussion
Solist/Solistin: Edith Salmen /Percussion
Länge: 10:27 min
Label: Castigo Classic Recordings 02418