Ö1 Hörspiel

Fließender Gedankenstrom aus Sprache und Musik

"Vier Stürme, ein Sturm". Von Philipp Blom

Ein naturgewaltiger, entfesselter Sturm, der durch eine beliebige Stadt fegt. Dort ein Baum, - auf einem kleinen Plätzchen vielleicht -, dem Blitzeinschlag und die zerrenden Winde einen schweren Ast aus der Krone brechen. Und drumherum vier Schicksale, die von ähnlich gewaltigen inneren Stürmen umgetrieben werden. So könnte man vielleicht den Grund der Geschichte beschreiben, den der Autor Philipp Blom seinen Figuren bereitet hat, aber das stellte am Ende wahrscheinlich eine allzu naturalistische Eingrenzung dar. Auch wenn der Sturm dort vor den Fenstern wütet und draußen auf der Straße die Menschen in die Hauseingänge drängt, ist er doch in seiner Geschichte vor allen Dingen der Anlass für ein kurzes Innehalten in einer drängend bewegten Welt.

Da ist ein Mann, der die Welt nur noch mit der Dämpfung von Tabletten und Alkohol aushält. Kein verlorener Süchtiger, sondern ein erfolgreicher Macher, der plötzlich feststellt, dass er einsam und sich selbst ausgeliefert zunehmend von seinem Leben erschöpft ist. - Da ist eine Frau auf Geschäftsreise in irgendeinem gesichtslosen Hotel. Verbunden mit ihrer Lebenspartnerin, wie so oft nur, durch kurz getippte Nachrichten oder abfotografierte Zettelchen, auf die sie ein paar liebe Worte für sie niedergeschrieben hat. - Da ist ein Pärchen, in Leidenschaft einander zugetan. Doch stammen sie aus so unterschiedlichen Lebenswelten, dass ihre Begegnung wohl nicht dauerhaft sein wird. Aber sie erkennen zumindest die Schönheit aneinander und die gierige Kraft des Moments. - Da ist ein Müllsammler mit seinem Karren, ihn hätte der abgerissene Ast des sturmgeschüttelten Baums um ein Haar erschlagen. Für ihn hat sich das Leben bisher in stetig "schrumpfenden Kreisen bewegt". Jetzt studiert er den Müll und erkennt darin Konsequenzen, die weit über sein Schicksal und das der anderen hinausweisen.

Philipp Blom hat nicht einfach kleine Schicksalssplitter über ein äußeres Ereignis miteinander verknüpft, sondern vielschichtige Fabeln über uns und unsere Gegenwart erzählt. Der Sturm wird so gleichsam zu seinem Gegenteil, er wird stiller Reflexionsort und die großen Themen: Einsamkeit, Liebe, Flucht, Schönheit und der (selbst-)zerstörerische Konflikt zwischen dem Raubtier Mensch und seiner Lebensumwelt scheinen in seinen Geschichten auf.

Das wunderbare Cuarteto Quiroga hat im Rahmen der Hörspielaufnahmen Streichquartett-Sätze von Bartok, Weinberg, Beethoven, Ravel und Haydn eingespielt. Ausschnitte daraus umrahmen und durchwirken Philipp Bloms Geschichten. Die Musik tritt in Korrespondenz zu den Worten, öffnet Assoziationsräume, stellt sich in Widerspruch oder Fortführung und überträgt die innere Bewegung dieses großen immersiven Gedankenstroms auf uns.

Mit Petra Morze, Michael Dangl, Felix Kammerer, Katharina Stemberger, Eva Mayer, Karl Markovics sowie dem Cuarteto Quiroga. Musikaufnahmeleitung: Jens Jamin. Tongestaltung: Martin Leitner und Manuel Radinger. Regie: Leonhard Koppelmann (ORF 2025)

Service

http://cuartetoquiroga.com/es/

Sendereihe

Übersicht