Frantz Fanon

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Gedanken für den Tag

Frantz Fanons Kampf

Brigitte Schwens-Harrant, Literaturwissenschaftlerin, Buchautorin und Feuilletonchefin der Wochenzeitung "Die Furche", zum 100. Geburtstag von Frantz Fanon

Mitte der 1950er Jahre arbeitet der auf Martinique geborene Psychiater Frantz Fanon in einer Klinik in Blida in Algerien.

Die Psychiatrie will dem Menschen ermöglichen, sich und seiner Umgebung nicht mehr fremd zu sein. Aber Entfremdung ist für Kolonisierte ein Dauerzustand. Das hat Fanon in der Praxis erfahren, darüber hat er geschrieben. Was heißt es im kolonialen Kontext, einen Patienten wieder "gesellschaftsfähig" zu machen? Wenn doch die gesamte Kolonialgesellschaft pathologisch ist und Menschen systemisch abwertet. Das Problem also ein gesellschaftliches ist, kein individuelles.

Wenn die sozialen Strukturen bleiben, wie sie sind - nämlich rassistisch, unterdrückend und systematisch entmenschlichend - was bedeutet dann "heilen" und rückführen in die "Normalität"? Welche Normalität? Ist die Heilung eines Menschen zum Scheitern verurteilt, solange die Gesellschaft sich nicht ändert?

Der Unabhängigkeitskampf ist in Algerien seit 1954 in vollem Gang, unter Fanons Patienten finden sich auch Opfer brutaler Folter durch die französischen Kolonialherren. 1956 tritt Fanon als Arzt in Blida zurück und wird daraufhin des Landes verwiesen. Die Nationale Befreiungsfront schleust ihn nach Tunis. Dort arbeitet er zunächst noch als Psychiater, aber auch als Sprecher der mit Gewalt kämpfenden Befreiungsfront weiter. 1960 wird er reisender algerischer Botschafter für Afrika. Denn nicht nur Algerien kämpft in diesen Jahren um seine Unabhängigkeit. Für die Staaten, die sich nun von ihren Kolonialherren lösen wollen, will er wirken. Aus dem Psychiater, der den Menschen heilen will, wird ein politischer Aktivist, der die Gesellschaft ändern will.

Service

Alice Cherki, "Frantz Fanon. Ein Porträt", Edition Nautilus
Philipp Dorestal, "Denker der Dekolonisation. Zur Aktualität von Frantz Fanon", Karl Dietz Verlag
Frantz Fanon, "Aspekte der Algerischen Revolution. Die Verdammten dieser Erde", Verlag Suhrkamp

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Matias Canavese
Album: FAMILLE NOMBREUSE
Titel: Quai de Jemmapes/instr.
Ausführende: Les Negresses Vertes
Länge: 01:10 min
Label: Delabel 030918

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