
ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
Radiokolleg
Berliner Echtzeitmusik (1)
Eine Szene schafft sich Raum
15. September 2025, 09:45
Berlin zählt bis heute zu einem der wichtigsten Orte musikalischer Avantgarde. Spätestens seit den frühen 1990er-Jahren wächst hier unter dem Namen "Echtzeitmusik" eine experimentierfreudige Musikszene, die weniger ein bestimmter Stil als eine Haltung eint: kollektiv, radikal offen und jenseits des musikalischen Mainstreams.
Vor dem Mauerfall, vor allem im Westen Berlins, nach der Wende in den Freiräumen des Ostteils der Stadt, entwickelte sich eine kollektive musikalische Praxis, die abseits etablierter Konventionen und Institutionen in besetzten Häusern, autonom geführten Kulturorten, provisorischen Studios neue Formen des Zusammenspiels und -lebens erprobten. Auch heute lebt die Berliner Kunst- und Kulturszene von der kreativen Nutzung leerstehender Liegenschaften. Ob in selbstverwalteten Werkstätten, leerstehenden Ladenlokalen, ehemaligen Fabriksgeländen oder im Keller einer Markthalle. Angesichts jüngster Kulturbudgetkürzungen, den stetig steigenden Lebenserhaltungskosten und der prekären (Wohn-)Raumsituation in Berlin, sehen sich aber viele der neuen, aber auch seit den 1990er Jahren besetzen Kulturräume, Vereine und Organisationen mit der Frage des Überlebens konfrontiert. Viele Orte sind auf großzügige Unterstützer:innen und Spenden angewiesen, finanzieren sich teilweise sogar nur über Eintrittsgelder und freiwilliges Engagement. Doch es gibt Beispiele, die zeigen, dass es auch anders gehen kann: wie der Morphine Raum, der in einem Hinterhof zwischen den beiden Bezirken Kreuzberg und Mitte gleichzeitig als analoges Studio, Label, Bühne und Tischlerei betrieben wird.