Körpergrenzen

19. September 2025, 06:57

Welch merkwürdige natürlich-biologische Grenze ist doch unsere Haut, die unseren Körper umschließt! Ein Sensorium, das empfänglich ist für jedwede Zärtlichkeit! Die Haut gibt aber auch Warnsignale von sich gibt, wenn wir uns bedroht fühlen. Wenn etwas uns unter die Haut geht. Wie merkwürdig, dass es eine Grenze gibt, die der Hautgrenze vorgelagert ist. Wir bemerken das, wenn uns jemand Fremder zu nahe kommt. Mit der peripheren Grenze unseres Leibes befinden wir uns in einer intimen Situation. Die Haut ist die Grenze, die Intimität schafft, indem sie uns vom Außen abgrenzt.

Die intime Situation besteht in der Überschreitung der Grenze durch einen anderen von außen. Die Grenze, die dabei überschritten wird, hört nicht auf zu bestehen, wenn wir uns Haut an Haut nahekommen. Die gemeinsame Grenzüberschreitung, die Reibung vermag ein Glücksgefühl auszulösen.

Die Haut ist eine Membran. Sie ist abweisend, mehr oder minder unsichtbar hinter der zweiten Haut der Kleidung verborgen. Zugleich ist sie durchlässig und in Kommunikation mit der Außenwelt, empfänglich für andere und anderes. Sie verkörpert zwei gegenläufige Momente: Abgrenzung und Aufnahme. Der Mensch ist verletzlich wegen seiner dünnen Haut. Sie versinnbildlicht das erschreckende und perverse Nebeneinander von Gewalt und zärtlicher Hingabe. Für den Folterknecht bedeutet Grenzüberschreitung Zerstörung des Menschen, für die Liebenden ist Grenze eine Realisation des Menschlichen in der Innigkeit.

Service

Wolfgang Müller-Funk, "Grenzen - Ein Versuch über den Menschen", Matthes & Seitz, Oktober 2025

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Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler