
Ruth Klüger - ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
Gedanken für den Tag
über leben
Julya Rabinowich, Schriftstellerin, zum 5. Todestag von Ruth Klüger
7. Oktober 2025, 06:57
Später hält sie fest, das Gießen des Traumas in ein Versmaß und eine Regelmäßigkeit sei für sie ein Gegengewicht zum Chaos gewesen, ein therapeutischer Selbstversuch, dem sinnlos Destruktiven etwas entgegenzusetzen.
Nach der Ankunft in Auschwitz schlug die Mutter des Mädchens vor, zum geladenen Stacheldrahtzaun zu gehen und sich das Leben zu nehmen. Das Mädchen überlebt aber auch diese Mutteridee, die aus tiefer Verzweiflung geboren worden ist. Der Vater und der Bruder überleben die Nazis nicht. Ruth Klüger schon. Sie hatte sich wild dazu entschlossen. Sie hat aber auch überlebt, weil jemand anderer sich entschlossen hatte, ihr eine Chance zum Überleben zu geben.
Das erstere ist der Triumph des Willens. Das zweitere ist der Segen des zufälligen Glückes im tiefsten Unglück. Dabei hält Ruth Klüger fest, dass dieser Zufall das Ergebnis der Freiheit gewesen sei. Das wirkt auf den ersten Blick verstörend. Unverständlich. Gemeint ist eine ebenfalls jüdische Frau, die zwei SS-Männern bei der Auswahl der Gefangenen, die gezwungen wurden, sich nackt vor ihnen aufzureihen, assistieren musste und sich eben entschlossen hatte, diesem Kind die Chance zu geben, die zu geben sie imstande war: Bei der Sortierung in die Gruppe, die arbeiten und jene Gruppe, die ermordet werden sollte ihr Möglichstes zu tun, um Ruth Klüger zu retten. Ruth ist zu jung für die Arbeitsgruppe, ihr Leben hängt an einem seidenen Faden, gewebt aus der Freiheit, die sich die jüdische Frau genommen hat und der guten Laune des SS-Mannes. Viel später wird sich Ruth Klüger mit dem Wert dieser Freiheit auseinandersetzen. Sie schreibt:
"Und deshalb meine ich, es kann die äußerste Annäherung an die Freiheit nur in der ödesten Gefangenschaft und in der Todesnähe stattfinden, also dort, wo die Entscheidungsmöglichkeiten auf fast null reduziert sind. In dem winzigen Spielraum, der dann noch bleibt, dort, kurz vor null, ist die Freiheit."
Service
Ruth Klüger, "weiter leben. Eine Jugend", Wallstein Verlag, Göttingen 2008
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Sendereihe
Gestaltung
Playlist
Komponist/Komponistin: Felix Mendelssohn Bartholdy 1809 - 1847
Album: MENDELSSOHN BARTHOLDY: DAS KLAVIERWERK: DIE SONATEN
* Adagio - 2.Satz (00:06:09)
Titel: Sonate für Klavier Nr.2 in g-moll op.105
Klaviersonate
Solist/Solistin: Martin Jones
Länge: 01:00 min
Label: Nimbus Records NI 5070