PICTUREDESK.COM/HANS RINGHOFER
Gedanken für den Tag
Todlangweilig
von Martin Schenk, Sozialexperte der Diakonie
31. Oktober 2025, 06:57
"Uns ist toooodlangweilig", sagen die Kinder. Sie legen sich in die Wiese und schauen fadisiert in die Wolken. Nach einiger Zeit ruft das eine: "Ein Elefant!" "Wo?", fragt das andere. "Na dort neben dem Raumschiff". Beide blinzeln in die vorbeiziehenden Wolken und deuten auf die lebendigen Dinge, die sie am Himmel erkennen.
Langeweile ein Stück auszuhalten, das kann was. In der Fadesse, die zunächst bedrückt, beginnen Gedanken, sich neu zu ordnen, Erinnerungen verschieben sich, Bilder und Ideen steigen hoch. Aus nichts als scheinbarer Trägheit erwachsen Spiele, Geschichten, Welten. Die Langeweile ist der dunkle Boden, aus dem die hellsten Einfälle sprießen können.
Jedes Mal, wenn die Glocke ertönte, stellte der Forscher Iwan Pawlow seinem Hund Futter bereit. Nach einigen Wiederholungen begann der Hund zu speicheln, sobald der Ton erklang - selbst dann, wenn gar kein Futter mehr da war. Ein unschuldiger Klang hatte sich in ein machtvolles Signal verwandelt. Die sozialen Medien haben Pawlows Lektion nicht nur verstanden - sie haben sie perfektioniert. So wie Pawlows Hund auf ein Signal reagierte, ohne dass reale Nahrung vorhanden war, bieten die Tech-Konzerne algorithmisch gesetzte Reize, deren Nahrung ebenfalls oft dünn ist. Der Speichel fließt aber, auch wenn gar kein Futter mehr da ist.
Langeweile auszuhalten, ist mittlerweile ein Akt des Widerstands gegen das programmierte Dopaminfeuer im Kopf. Natürlich ist nicht jede Form der Langeweile heilsam. Langeweile kann auch lähmen, wenn sie zum Dauerzustand wird. Sie kann dumpf machen, wenn sie ohne Ausweg bleibt. Doch die alltägliche, vergängliche Langeweile ist von anderer Natur: Sie ist kein Abgrund, sondern ein Übergang, eine Schwelle, die auffordert, innezuhalten, aufzuwachen, Unvorhergesehenes zuzulassen, in den vorbeiziehenden Wolken die lebendigen Dinge zu sehen.
Service
Sendereihe
Gestaltung
Playlist
Komponist/Komponistin: Rachel Portman geb.1960
Gesamttitel: THE CLOSER YOU GET / Original Filmmusik
Titel: End titles suite/instr.
Untertitel: MUSIC FROM THE ORIGINAL SOUNDTRACK
Leitung: David Snell
Ausführende: Filmensemble
Länge: 01:10 min
Label: RCA/BMG Classics 09026636012
