Radiokolleg - Leben auf fremde Kosten
Offene Rechnungen der Globalisierung (4).
Gestaltung: Marlene Nowotny
14. April 2016, 09:05
15 Euro für ein T-Shirt - mehr ist so ein Kleidungsstück auch nicht wert. Oder? Immerhin hat das gefärbte und vernähte Stück Baumwollstoff beinahe alle Erdteile bereist, bevor es bei uns in den Geschäften landet. Das Design stammt aus Europa. Die Baumwolle kommt vermutlich aus den USA oder Tansania. Sie wird nach der Ernte nach Indonesien geliefert. Dort wird die Faser gekämmt und gesponnen. Dann kommt der Faden nach Bangladesch, um den Stoff zu weben. Dann weiter nach China zum Färben oder Bleichen. Zurück nach Bangladesch - hier wird das T-Shirt zugeschnitten und zusammengenäht. Am Ende seiner Reise gelangt es nach Europa, wo es fein säuberlich zusammengelegt in den Regalen einer Modekette landet.
Fast alle Probleme, die mit der Bekleidungsproduktion verbunden sind, haben die Länder des globalen Nordens ausgelagert. Die Baumwolllandwirtschaft ist extrem bewässerungsintensiv - der Grundwasserspiegel sinkt. Die sogenannte Nassproduktion in China setzt auf giftige Chemikalien - die sind ungesund für die Arbeiter/innen und fatal für die dortige Umwelt. Die Näherinnen in Bangladesch arbeiten mindestens zehn Stunden pro Tag, an sechs Tagen in der Woche - ihr Einkommen liegt dennoch unter der Armutsgrenze. Die Kosten für die Arbeit, die in diesem 15-Euro-T-Shirt steckt, belaufen sich auf rund 10 Cent. Doch wer ist heute bereit, mehr als 15 Euro für ein T-Shirt zu bezahlen?
Die Bekleidungsindustrie ist nur ein Beispiel für die negativen Folgen globaler Wirtschaftskreisläufe. Auch beim Umgang mit natürlichen Ressourcen, der Umweltverschmutzung oder Nahrungsproduktion herrscht ein weltweites Ungleichgewicht - fast immer auf Kosten der Länder des globalen Südens. In Indonesien oder Malaysia wird der Regenwald abgeholzt, um riesige Palmölplantagen zu errichten. Das Öl wird exportiert und in Europa verarbeitet. Es landet nicht nur in Biodiesel, Waschmitteln oder Kosmetika, sondern auch auf unseren Tellern. Wer sich die Zutatenlisten von Gebäck, Müsli, Fertigpizza, Margarine oder Schokoriegeln durchliest, kann sehr schnell erkennen, dass für diese Produkte allein in Indonesien mehr als zehn Millionen Hektar Regenwald gerodet wurden.
Auch bei der Fischproduktion profitiert der globale Norden von der finanziellen Abhängigkeit des globalen Südens. Während es in Vietnam zu wenig Fisch gibt, um die Bevölkerung ausreichend mit Proteinen zu versorgen, liegt in europäischen Supermärkten in jedem Tiefkühlregal Pangasiusfilet - aus dem Mekong-Delta. Auch dieses Beispiel zeigt: Unsere täglichen Kaufentscheidungen haben mitunter globale Folgen.
Das "Radiokolleg" geht in dieser Woche der Frage nach, wie eine nachhaltige Wirtschafts- und Umweltpolitik gestaltet sein müsste und wie viel Verantwortung jeder einzelne tatsächlich trägt.
Service
Niko Paech: "Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie", Oekom-Verlag, 8. Auflage, 2015.
Le monde diplomatique: "Atlas der Globalisierung. Weniger wird mehr", 2015
Josef Nussbaumer, Andreas Exenberger, Stefan Neuner: "Leidenswege der Ökonomie", Studia Universitätsverlag Innsbruck, 2015
Josef Nussbaumer, Andreas Exenberger, Stefan Neuner: "Unser kleines Dorf: Eine Welt mit 100 Menschen", IMT-Verlag, 2011
Thomas Piketty: "Das Kapital im 21. Jahrhundert", C.H.Beck, 8. Auflage, 2016
Brand, Ulrich: "Degrowth und Post-Extraktivismus: Zwei Seiten einer Medaille?", Working Paper 5/2015 der DFG-KollegforscherInnengruppe Postwachstumsgesellschaften. Jena, 2015
Stephan Lorenz: "Umweltsoziologie der Wachstumskritik und wachstumskritische Umweltsoziologie", 2015
Clean Clothes Kampagne
Greenpeace Detox Catwalk
Niko Paech - Postwachstumsökonomie
Wachstum im Wandel