Gemeinsam erinnern
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Heldenmythos war vorbei
Erna Putz, Jg. 1946 - 5. April 2025, 19:29
Mai 1945, die Kriegsrückkehrer sind traumatisiert: Der Vater konnte abhauen, hat noch eine Woche im Untergrund gelebt und war zurück. Er und seine Altersgenossen haben viel über den Krieg geredet, auch über die anderen, die in Gefangenschaft waren. Was ich jetzt noch weiß ist, dass das Heldenthema vorbei war. Sie haben immer wieder gesagt, es ist kein Wunder, dass der Franz nichts zu Wege bringt, das alles an seiner Frau hängt. Der hat zweimal das Eiserne Kreuz bekommen, der hat elf Panzer abgeschossen. Der ist mit den Nerven fertig.
Das letzte Aufgebot; Kapitel 6 - Heimkehr
Franz Holzmann - 4. April 2025, 09:45
Die Geschichte der Heimkehr meines Großvaters Franz Holzmann, welcher als 17-jähriger kurz vor Kriegsende noch eingezogen wurde und dann die russische Gefangenschaft überlebte.
Die Geschichte meines Großvaters wurde von meinem Onkel Hermann Holzmann in den 90er Jahren anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Republik niedergeschrieben. Ich darf mit seiner Erlaubnis den Text des letzten Kapitels hier teilen und wollte auch selbst ein paar Worte zu meinem Opa schreiben.
Kapitel 6: Heimkehr
Im Oktober 1945 wurde ich dann eines Tages einem Transport zugeteilt. Zunächst vermutete ich, ich sollte in ein anderes Lager verlegt werden. Ich durfte aber
heimkehren! Im Rückblick betrachtet, wollten die Russen mit dieser Aktion sicher auch
ihre Sympathiewerte bei der österreichischen Bevölkerung anheben und der KPÖ
Wahlkampfhilfe leisten. Tatsächlich wurden ja in Österreich Kommunisten bei den Sowjetbehörden vorstellig, um eine möglichst rasche Entlassung österreichischer Kriegsgefangener zu erreichen. So traf beispielsweise der erste Transport noch vor den
Wahlen vom 25. November ein.
Unser Rücktransport erfolgte nicht über Lemberg, sondern durch Südrussland nach
Rumänien. Die Bahnhöfe vermittelten hier eigentlich einen recht sauberen Eindruck,
nicht so wie die in Russland, wo sie ja regelrecht verwahrlost waren. Auch kann ich mich noch gut an die Bohrtürme der rumänischen Erdölstadt Ploesti erinnern.
Viele der entlassenen Gefangenen starben während des Transportes, die Heimat schon vor Augen. Manchmal wurden die Toten einfach aus dem Zug geworfen. Einmal
hat sich darüber ein Arzt in einem Bahnhof außerhalb Bukarests sehr „aufgeregt". Die Russen haben sich darum aber nicht gekümmert.
Jedes Mal, wenn wir in einen größeren Bahnhof eingefahren waren, gab es einen kurzen Halt. Jeder nützte die Gelegenheit, irgendwo Wasser oder etwas Essbares zu
bekommen. Die Dauer des Aufenthaltes kannte aber keiner von uns genau. Ein kurzer Pfiff, und schon setzte sich der Zug wieder in Bewegung. Auf diese Weise blieben in Budapest etliche Kameraden zurück, die etwas länger „ausgeschwärmt" waren. Das k ü m m e r t e a b e r d i e R u s s e n n i c h t .
Am 4. Dezember hatten wir endlich nach einer sechs Wochen langen Fahrt Österreichs Grenze erreicht. Wir fuhren noch bis Mödling. Dort entließen uns die
russischen Soldaten mit dem Ruf: „Damoj baschli!" (Los, nach Hause!)
Mit dem Entlassungsschein in Händen, kam ich dann nach Wien, wo alle Bahnhöfe schwer beschädigt bis unbrauchbar waren. Nur der Nordwestbahnhof war einigermaßen intakt geblieben. Von dort aus wollte ich irgendwie weiterkommen.
Einige Lastwagen standen im Bereich des Bahnhofs. Wir sprachen die Lenker an und erkundigten uns, wohin sie fuhren. Einer antwortete: „Nach Schrems!" Kurz
entschlossen stiegen wir auf das Plateau, das nicht überdacht war. So waren wir der eisigen Kälte schutzlos ausgeliefert. Zusammengekauert und den Kopf in den Nacken gezogen, überstanden wir auch diese Fahrt, die uns unserem Ziel wieder ein Stück näher gebracht hatte.
Von Schrems ging ich dann zu Fuß nach Gmünd, um von dort einen Anschluss nach Groß Gerungs zu erreichen. Auf dem Weg dorthin begegnete ich russischen Soldaten.
Sie hielten mich an und verlangten nach meinen Papieren. Ich zeigte ihnen den Entlassungsschein und durfte meinen Weg fortsetzen. Der Bahnhof in Gmünd war voll von Flüchtlingen, die mit dem Zug weiterkommen wollten. Da es keinen Anschluss mehr nach Groß Gerungs gab, übernachtete ich dort mit vielen anderen.
Am nächsten Tag fuhr ich noch am Vormittag mit der Schmalspurbahn nach Groß Gerungs. Dort kehrte ich bei einem Treffpunkt der Fuhrleute, der so genannten
„Teichmiazl", ein. Die Besitzerin hieß Traxler Maria. Weil ihr Gasthaus aber in der Nähe des Löschteiches (im Bereich des heutigen Freibades) lag, hatte sie im Volksmund eben diesen Namen. Dort traf ich die Schwester vom Höfinger aus Arbesbach, die Tüchler Hilda. Sie handelte mit Eiern und war auf dem Weg nach Hause. So kam ich auf ihrem Pferdeschlitten bis nach Arbesbach. Die letzten fünf Kilometer legte ich nunmehr zu Fuß zurück.
In Purrath kam ich beim Pilz vorbei, wo gerade die Sommerernte gedroschen wurde. Leute aus der Nachbarschaft halfen dabei mit, weil die Arbeit den Einsatz mehrerer Leute erforderte. Man hatte zwar einen Dieselmotor, der über einen großen Riemen die Dreschmaschine antrieb, aber das Heranschaffen der Garben, das Abfüllen und Transportieren der Säcke und die Entfernung des Strohs machten den Einsatz von mehr
Arbeitskräften notwendig, als im jeweiligen Haus zur Verfügung standen. So „wanderte" man eben beim Dreschen von einem Haus zum anderen und half sich
gegenseitig. Als ich an den mit der Arbeit Beschäftigten vorbeiging, sah mich zuerst der Payreder Karl. Er grüßte mich und rief mir zu: „Bist a wieda hoamkeamma?" Ich
h a t t e aber nur mehr eines im Sinn: nach Hause.
Es waren noch ein paar hundert Meter, da sah ich auch schon mein Elternhaus. Voll Freude ging ich auf die Haustür zu. Diese war aber versperrt. Es gelang mir, durch die „Hütte" (Schuppen) in den Hof zu kommen. Ich trat in die Küche. Da saß meine Mutter beim Tisch und sah mich lange Zeit an. Sie hätte mich fast nicht mehr wieder erkannt. Das Erste, was sie nach dem Wiedersehen tat, war, gleich die Kleider zu verbrennen. Ich war ja voller Läuse. Sie steckte alles in den Küchenherd und gab mir
frische Wäsche. So konnte wieder ein neues Leben beginnen.
Anmerkung der Einsenderin:
Mein Großvater, der als 17-jähriger kurz vor Kriegsende nichts-ahnend noch eingezogen wurde, hat viele Gräueltaten erlebt und er musste in russischer Gefangenschaft in einem Bergwerk arbeiten und schrecklichen Hunger erleiden. Ich weiß noch, dass wenn er über diese Zeit redete, sein Blick sich so verhielt, als würde er ins Narrnkastl schauen. Er hat uns Kindern einmal gesagt, dass wir garnicht wüssten, was Hunger überhaupt ist. Er sagte das aber nicht in einer vebitterten oder gehässigen Art und Weise, denn das war mein Großvater ganz und gar nicht. Im Gegenteil, er war ein Mensch, der schwierige Situationen oftmals mit einem dummen Spruch oder einem Schmäh und einem Augenzwinkern aufzulösen versuchte. Das hat sich mein Vater offenbar genauso von ihm abgeschaut wie ich.
Mit der Aussage, dass wir nicht wüssten, was Hunger überhaupt ist, hatte er natürlich recht, denn die große und gesunde Familie, die er danach gründete, dufte in einer anderen, besseren Zeit leben. Mein Opa übernahm den Hof seiner Eltern und war von 1975 bis 1990 Bürgermeister seiner Heimatgemeinde Arbesbach. Sein Amt wurde sehr geschätzt. Er hat Dinge bewegt und selber Hand angelegt. Man hatte davor auch schon versucht, meinen Opa in die Politik zu bringen: noch während des Kriegs versuchte man, meinen Opa zum Eintritt in „die Partei“ zu bewegen, in die auch sein Vater bereits eingetreten war. Mein Großvater hat das aber abgelehnt, weil er scheinbar Recht von Unrecht unterscheiden konnte oder ein gewisses Gespür gehabt hat. Das weiß ich nicht so genau. Ich glaube aber schon daran, dass mein Opa ein grundsätzlich ehrwürdiger Mann war. Er hat übrigens gegen Ende seines Lebens hin öfter mal gesagt, „Hitler war ein Trottel“. Seine beiden Vollzeit-Pflegerinnen, die er "auf seine alten Tage" benötigte, kamen aus der Slowakei und mit denen hat er dann tatsächlich noch ein paar slawische Wortfetzen wechseln können, weil die Wörter, die er während der russischen Gefangenschaft aufgeschnappt hatte, 75 Jahre später für ihn noch immer greifbar waren!
Meine Schwestern und ich sind im selben Haus groß geworden, das mein Opa schon von seinen Eltern übernommen hatte. Mein Vater hat die Wirtschaft in weiterer Folge bekommen und so haben drei Generationen gleichzeitig in dem Haus gelebt. Es gab natürlich Höhen, Tiefen und Schicksalsschläge. Aber wir sind alle pumperlgsund (denn das ist laut Opa immer das wichtigste gewesen) und grundsätzlich hat es uns nie an etwas gefehlt. Meine Eltern haben uns allen eine gute Ausbildung ermöglicht und wir durften in den 80er und 90er Jahren eine gewisse Sicherheit und ein gewisses Wachstum erfahren. Das gab mir zum Beispiel dieses tiefe Grundvertrauen und ich bin dafür sehr dankbar, weil ich in der heutigen Zeit sehe, dass man nur mehr wenig als selbstverständlich betrachten kann, was für uns damals einfach gegeben war.
Was ich allerdings schon bemerkt habe, ist dass in unserem Haus die Fähigkeit, Dinge anzusprechen, zu benennen und zu bearbeiten schon gefehlt hat. Ich weiß nicht, ob das ein Gesellschaftsproblem der Nachkriegszeit war, welches wir jetzt noch mit uns herumtragen. Es wäre jedenfalls nachvollziehbar, wenn man diese schrecklichen Dinge einfach tot-schweigen wollte.
Ein großer Dank gilt hier auch meinem Onkel Hermann, der die Geschichte meines Großvaters anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Republik niedergeschrieben hat, damit nachfolgende Generationen erfahren, was passiert ist.
Tschechische Vorfahren
Milena Renate Findeis - 4. April 2025, 06:01
Wäre ich 1991 nicht meinem Herzenswunsch gefolgt, nach Prag gegangen wegen Kafka, Havel und Jesenská würde ich bis heute nichts über meine tschechische Vorfahren wissen.
1957 geboren wohnten in einer Küche, einem Schlafzimmer ohne fließendes Wasser: 5 Erwachsene - Großvater, Großmutter, Mutter und Vater und der Bruder der Mutter und ich, 1958 kam mein Bruder hinzu
Webseite
https://www.zeitzug.com/autoren/milena-findeis/freilandherz.html
die russen kommen
Helga Herzog - 3. April 2025, 10:19
Kindheitserinnerungen an die Besatzungszeit - Mühlviertel
Irgendwann im Jahr 1946, Schwertberg, ein Ort im Mühlviertel
Ich bin etwa 8 Jahre alt, lebe mit Eltern, Großeltern, Geschwistern sowie unserer Köchin, einer Haushaltshilfe, 2 Kindermädchen, 2 Lehrlingen (von unserem Geschäft, mein Vater war Kaufmann) in einem recht großen Haus direkt im Ort.
Der Krieg war also aus und die Sieger haben sich Österreich geteilt, das hieß für uns
in Linz waren die Amerikaner, auf unserer Seite der Donau, im Mühlviertel, die Russen.
Es war eine angsterfüllte Zeit, als wir erfuhren, dass Schwertberg von Russen besetzt werden würde. Ihr Image war sehr schlecht. Frauen und Mädchen sollten besser zuhause bleiben, da sie von den Besatzern schlecht behandelt würden. Was das genau hieß, wussten wir Kinder nicht.
In Schwertberg war die russische Kommandantur am unteren Ende des Marktplatzes. Wir verständigten uns mit ihnen zunächst "mit Händen und Füßen", später hatten wir uns ein paar Brocken Russisch bzw. sie sich etwas Deutsch angeeignet, was die Unterhaltung doch ein bisschen vereinfachte. Speziell Höflichkeitsfloskeln wie etwa Bitte/Danke, grüßen und ähnliches war wohl auch günstig für den Alltag miteinander. Ich habe mich jedenfalls nie vor ihnen gefürchtet. Sie waren freundlich, meist gut gelaunt und luden oft Kinder zu einer Rundfahrt in ihren Fahrzeugen ein. Wir durften von Mama aus nie mitfahren. ("Was tun die denn mit den Kindern?" wurde geflüstert)
Die Russen hatten eine besondere Vorliebe für Armbanduhren, die wurden eingesammelt und je nach Stand trugen sie die Beute dicht an dicht an den Armen, zum Teil bis rauf zu den Ellbogen. Es eilte ihnen auch der Ruf voraus, Schmuck, Pelze und Kleidung zu rauben. Das hatten wir gehört, schon bevor sie kamen und so wurden in einer Ecke der Speisekammer diese Dinge gelagert und eingemauert.
Irgendwie haben gerüchteweise die lieben Mitbürger davon erfahren und es auch der Kommandantur gemeldet. Jedenfalls kamen da auf einmal ein paar Soldaten mit Schaufeln und begannen unseren Gemüsegarten umzugraben - da war aber nix zu finden - Pech/Glück gehabt.
Bei uns im Haus waren Soldaten einquartiert. ich wusste nicht wo.
Wir Kinder hatten unsere 2 Zimmer - essen, spielen, schlafen. Was sonst im Haus los war interessierte mich nicht.
Daran erinnere ich mich doch: Es war so abends, irgendwann 1946? Wir saßen beim Küchentisch, es klopfte und herein kamen drei Russen mit einem Eimer toter Fische.
"Du Mama kochen" sagten sie zu meiner Oma, (Laura Pepöck, geb. Breinbauer).
Diese war nun eine perfekte Köchin, schaute die Fische an und sagte: "Da brauche ich Fett und das habe ich nicht."
Einer der Soldaten verschwand und kam kurz darauf mit ca 1kg Butter wieder – ein unglaublicher Schatz in dieser Zeit des Hungers.
Oma richtete also die Fische her, briet sie und kochte noch Erdäpfel dazu - die hatten wir ja aus dem Garten. Zum Essen waren wir dann alle eingeladen, auch Babyschwester Anneliese und Opa, (Josef Pepöck, Kaufmann) wurden geholt - sie waren schon im Bett gewesen.
Es war ein Festmahl!
Für die Erwachsenen hatten die Russen noch Schnaps dabei.
Im Nachhinein habe ich oft über die großzügige Einladung nachgedacht.
"Waren sie freundlich und freigebig oder hatten sie Angst, dass wir Gift ins Essen der Feinde tun?"
Das Mühlviertel war also russisches Gebiet, die andere Seite der Donau von Amerikanern besetzt. Die Demarkationslinie war über die Nibelungenbrücke nur mit einem Identitätsausweis = ein Ausweis in 4 Sprachen mit Lichtbild zu überqueren. Auch ich musste später, als Schülerin in Linz, einen haben. Anders als derzeit, war es damals das größte Problem, ein Foto von mir zu beschaffen. Letztlich wurde ich (also ein Foto von mir) aus einem Gruppenbild von meiner Erstkommunion geschnitten.
Ich kam von Schwertberg aus in Urfahr beim Bahnhof der Mühlkreisbahn an. Von dort zur Schule im Zentrum Linz musste ich über die Nibelungenbrücke die Demarkationslinie passieren. Genauso für den Heimweg. Vom Bahnhof der Mühlkreisbahn fuhr der Bus nach Grein ab. Mit diesem konnten wir am Wochenende, nach der Schule, nach Schwertberg fahren. Den Ausweis auf der Brücke zu zeigen, war Routine. Ich erinnere mich nicht, dass es dabei jemals eine unangenehme Situation gegeben hätte.
Behütet /abgeschirmt im Internat der Kreuzschwestern habe ich das Ende dieser Zeit eigentlich nicht mitbekommen.
"Österreich ist frei" hieß es dann.
Ich denke, das war alles an Erinnerungen.
Helga Herzog (geb. Pepöck), geb. 1938
Unterstützt v. Marion Kitzberger, Tochter
Ö 1945-55: arm, aber reich an Bildung
Franz Albert Pichler - 2. April 2025, 17:45
Darstellung der Armut, der politischen Widersprüche, aber auch der vielen Bildungsmöglichkeiten trotz Bombenruinen in Wien.
Wir waren Hunde arm. Kriegsbedingte Binnenflüchtlinge. Anfangs lebte ich als kleines Kind in einem Dorf an der oberen Donau, in Engelhartszell. Auf der einen Seite der schmalen Donau war eine Kaserne der US- Soldaten, die meisten waren Afro- Amerikaner. Am anderen Ufer war ein russisches Lager. Auf einem schmalen Streifen entlang der amerikanischen Seite der Donau war ein Flüchtlingslager: es waren Banater, Deutschsprachige aus Rumänien und Südosteuropa, die vor den sowjetischen Truppen flüchteten. Mit den Flüchtlingskindern spielte ich am liebsten. Mit den Nazikindern im Ort hatte ich keinen Kontakt. Mir zuliebe zog dann die Familie im Sommer 1949 nach Wien, damit ich statt in einer in zwei Klassen geteilten Volksschule eine gute Schule besuchen konnte.
Bildung war für uns wichtig: am Donau Ufer hatte ich bereits die Großbuchstaben gelernt, die ich unter Anleitung meines Vaters mit einem Stecken in den feuchten Sand malte.
Vor allem in Wien war- trotz der Bombenruinen - Bildung täglich möglich: jeden Tag die Aushänge der Tageszeitungen mit hochgerecktem Hals lesen, das amerikanische, britische oder französische Kulturinstitut besuchen, Bücher billig ausleihen können. Auch die Filme waren extrem billig, die Voice of America (heute durch Präsident Trump eingestellt) war gratis. Diese Öffnung übertünchte die grauen Gebäude und verssperrten Eingänge in die Luftschutzkeller. Gespräche über verschwundene Mitbewohner des Hauses führten schon bald zum Thema Holocaust. Die messingfarbigen Stolpersteine gab es noch nicht, sonst wären diese vor unserem Wohnhaus sichtbar gewesen. Wir versuchten uns von allen Nazis fernzuhalten. Wenn ein im Nationalsozialismus berühmter Theaterdirektor aus dem Nachbarhaus kam, wechselten meine Eltern und ich den Gehsteig. Wenn ich zum Einkaufen geschickt wurde, musste ich darauf achten in keinem Geschäft eines ehemals Nazis einzukaufen. Bei jedem Spaziergang erklärte mir mein Vater das frühere nationalsozialistische Engagement des jeweiligen Geschäftsinhabers. Komplizierte Verhältnisse für einen kleinen Jungen. Die Klosterschule war ein Ruhepunkt. Am Spielplatz im Volksgarten wurde ich mit meinen roten Haaren und wegen meiner altmodischen Kleider von Nazikindern in die Mitte genommen: sie tanzten und sangen antisemitische Lieder dazu. Das war hart. Aber die Kernfrage für meine Eltern war, wie es mit Österreich, das im Zentrum von zwei Weltkriegen gestanden war, weitergehen sollte? Erst der Staatsvertrag 1955 schaffte Klarheit für meine Eltern: es gibt dieses Österreich wieder. Wir Alle tanzten am Rathausplatz. Ich war 11 Jahre alt und durfte in eine helle Zukunft blicken.
Hochzeit 1949 - Das rettende Schwein
Silvia Sator - 2. April 2025, 10:38
Für das Festessen anlässlich der Nachkriegshochzeit meiner Eltern wurde ein Schwein illegal mit einer Beiwagenmaschine nach Wien transportiert - es war als alte Dame verkleidet, um durch die russischen Kontrollen zu kommen.
Meine Eltern haben in der Pfarrkirche in Floridsdorf am Kinzerplatz mitten im Winter 1949 geheiratet. Das Hauptproblem war die Bewirtung der zahlreichen Gäste. Meine Großeltern kamen beide vom Land und hatten viele Geschwister, für die sie viele Jahre gastfreundlich der Anlaufpunkt in Wien gewesen waren. Jetzt war Zeit für die Revanche: Ein Bruder meines Großvaters mit einer Landwirtschaft in Lassee im Marchfeld war bereit, ein illegal geschlachtetes Schwein beizusteuern. Wie es gelungen ist, an eine Beiwagenmaschine samt benötigtem Benzin für die 40 km Fahrt zu kommen, weiß ich nicht. In jedem Fall war der Transport eines Schweines durch die Russenzone sehr gefährlich. So griff mein Großvater, der ein begnadetes Schlitzohr war, zu einem Trick: Man bekleidete das Schwein und setzte es mehr oder weniger aufrecht in den Beiwagen, sodass es wie eine dicke, alte Dame wirkte. Mein Vater und der Großvater auf dem Motorrad schwitzen Blut, als sie in eine Kontrolle gerieten. Sie wurden durchgewunken, weil man sich mit ein paar Brocken Russisch verständigen konnte. Ob auch eine kleine Bestechung dabei war, weiß die Familiengeschichte nicht.
So war das Festessen - für die meisten Gäste das erste nach dem Krieg - gesichert und ein großer Erfolg.
Meine Eltern bauten bis 1953 mehr oder weniger eigenhändig ein Siedlungshaus in Wien 21, am Bruckhaufen und waren 75 Jahre glücklich verheiratet.
Berufsverbot für Lehrer
Jakob Steiner - 1. April 2025, 22:42

Auszug aus den Memoiren des Lehrers Alexander U.: er schildert, wie ihm der Bezirksschulinspektor in Oberwart nach dem „Verbotsgesetz“ von 1945 im September desselben Jahres ein Berufsverbot erteilte.
Webseite
https://bibliothek.univie.ac.at/sammlungen/dokumentation_lebensgeschichtlicher_aufzeichnungen.html
Verarbeitung der Kriegszeit in der Nachkriegszeit
Dr. Ortwin Heim - 1. April 2025, 19:12
Erinnerung über Gespräche und Sichtweisen über die Kriegs- und Nachkriegszeit
"Über den 2. Weltkrieg und die Flucht meiner Familie mütterlicherseits wurde in unserer Familie nicht viel gesprochen. Wir wussten anfangs nur, dass sie 1945 stattgefunden hatte. Einzelheiten erfuhr ich erst später.. Die Nachkriegszeit von 1945 bis zum Anfang der 1950er Jahre kannte ich aus den Erzählungen und Berichten. Sie wurde als relativ unbeschwert dargestellt, vermutlich, weil der Krieg vorbei war und man sich endlich wieder wichtigen und angenehmeren Dingen zuwenden konnte. Gelegentlich wurden einzelne Ereignisse aus der Kriegszeit erzählt, aber keine größeren Zusammenhänge. Wir wussten, dass die Männer in unserer Familie als Soldaten im Krieg gekämpft hatten. Sie kamen alle unversehrt aus der Gefangenschaft zurück. Über dieses Kapitel sprach man ebenfalls wenig, einige Anekdoten sind mir bekannt.
Im Geschichtsunterricht wurde das Thema 3. Reich in der Oberstufe im Leistungskurs ein halbes Jahr lang ausführlich behandelt. Jeder Schüler hielt ein Referat zu einem Thema, ich sprach über die Außenpolitik von 1933 bis 1939. Wir erhielten auf diese Weise Einblicke in größere historische Zusammenhänge. Unser Geschichtslehrer Werner Hilgemann verstand es, durch Anekdoten und Berichte über eigene Erlebnisse, den Unterricht interessant zu gestalten und uns die Zusammenhänge zu erläutern . Er war der Autor des dtv-Atlas zur Geschichte und vieler Kartenwerke."
Reden und Schweigen
Silvia Jelinek - 1. April 2025, 14:30
In sehr unterschiedlicher Weise wurde in meiner Familie über die Ereignisse zu Ende des Krieges und danach geredet, oder geschwiegen
Ich bin 1960 geboren und in Wien im 10. Bezirk am Reumannplatz mit den Eltern und der Großmutter in einer Wohnungaufgewachsen. Der Krieg und seine Folgen in meiner Familie waren mir von klein auf präsent und prägten mich in gewisser Weise. Die drei Menschen mit denen ich zusammenlebte waren sehr unterschiedlich in ihrem Umgang mit "darüber reden" bzw. "darüber schweigen
Meine Großmutter : Wie die meisten alten Menschen wiederholte sie immer die gleichen Geschichten:
Von den Bomben, zweimal war sie mit ihrer Familie ausgebombt worden. Die Amerikaner hatten das Amalienbad mit seinem hohen Schlot für" eine Fabrik gehalten. Das Bad blieb unbeschadet, die Häuser rundum waren zerstört. Auch von den Bauern, die für zwei Schmalzbrote für ihre Kinder eine goldene Uhr verlangten, vom Hunger und von den Würmern in den Erbsen erzählt sie immer wieder mit hoher weinerlicher Stimme. Ich wollte sie nicht hören, diese Geschichten. Ich wappnete mich gegen sie mit überheblichem Desinteresse. Ich beschloß nie so eine jammernde weinerliche Person wie meine Großmutter zu werden.
Aus einer schriftlichen Aufzeichnung meiner Mutter 1933 geb. 1930:
Dann begannen die Bombenangriffe Tag und Nacht und ich habe in meiner hysterischen Angst um mein Leben bei den Angriffen entsetzlich geschrien.
Bei der Ansage im Radio „Anflug auf Kärnten, Steiermark“ schrie bald der Kuckuck und dann waren sie da, die Flugzeuge und haben ihr Zerstörungswerk begonnen. Sie haben nicht nur auf Fabriken geschossen, sondern wahllos alles was ihnen unter die Flügel kam bombadiert. Meine Mutter hat sie nicht wollen, die Amerikaner. Sie haben uns zwar befreit, aber sie haben uns alles zerstört. Meine Mutter hat gesagt, sie könne nie wieder einen Kuckuck hören. Während der Angriffe hat die Erde gegrollt und gerollt, das Licht ist ausgegangen und nicht nur ich alleine habe geschrien. Ich habe meine Bruder gehaßt, der wollte immer, es möge noch lauter krachen.
Mein Vater 1930 geb. war sein Leben lang schweigsam, er hat nichts erzählt vom Krieg, er lebte damals mit seiner Mutter in Mödling . Nur dass er nach Kriegsende arbeiten hat müssen, zusammen mit anderen einen Tunnel graben, hat er mehrmals erwähnt. Und dass er eigentlich schon sehr tüchtig gewesen ist mit seinen 15 Jahren. Dass sein Vater 1942 am Steinhof zu Tode gekommen ist habe ich von meiner Mutter erfahren.
Der Weltuntergang war mir schon als Kind eine vertraute Vorstellung. Eine unbestimmte Angst und uferlose Traurigkeit etablierte sich als ein Teil meines Wesens soweit ich mir selbst erinnerlich bin. Das Leben war hinterlegt mit der Erfahrung der Unabänderlichkeit eines bodenlos tiefen Verlustes und des alles erfassenden Bedauerns darüber.
Mit lieben Grüßen
Silvia Jelinek
Erholungskinder zum Vorzeigen bekamen nur Sterz
Peter Radacsics - 31. März 2025, 14:03
Mit Spendengeldern aus Amerika bin ich nach Graz-Liebenau auf Erholung gekommen. Es gab nur Sterz und auf Befehl mussten wir uns in der Sonne liegend vom Bauch auf den Rücken drehen, damit wir schön braun wurden. Zum Vorzeigen, damit die Spender sahen, dass die Kinder braun gebrannt und nicht mehr unterernährt waren.