Gemeinsam erinnern
Laut ORF-Gesetz dürfen wir Ihnen dieses Service nur zur Verfügung stellen, wenn Sie Ihre Identität durch Angabe von Vorname, Familienname und Wohnadresse bekanntgeben. (ORF-G, § 4f, ABS 2, Z 23). Sie können das entweder direkt im Zuge des Uploads tun, bzw. sich als User/in in der ORF-Community registrieren lassen. Wenn Sie bereits Mitglied der ORF-Community sind, loggen Sie sich bitte ein, wenn Sie Texte, Audios oder Bilder hochladen, bzw. solche bewerten möchten. Beiträge, für die diese Funktion freigeschaltet ist, können pro User/in nur einmal bewertet werden. Mehrfachstimmen sind möglich. Beachten Sie bitte, dass erstmalige log-ins in der ORF-Community nur wochentags bearbeitet, bzw. freigeschaltet werden können. Die Freischaltung kann einige Zeit in Anspruch nehmen.
Mein Vater, der fremde Mann
Manfred Golda, Jg. 1941 - 31. Mai 2025, 16:55
Mein Vater kam erst 1948 aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Da stand plötzlich ein fremder Mann in der Tür. Meine Mutter hat sich umgedreht und geschaut, was denn da los ist und hat einen Freudenschrei ausgestoßen. Die zwei sind sich da im Arm gelegen - und ich bin daneben gestanden und hab nicht gewusst, was los ist. Und dann hat sie gesagt, das ist dein Papa! Oder: dein Vater. Ha! Bis ich mich daran gewöhnt habe, dass da jetzt noch ein männliches Wesen im Haus ist, das hat eine Weile gedauert.
Wir Kinder haben die Erdäpfel am Acker gestohlen
Manfred Golda, Jg. 1941 - 31. Mai 2025, 16:27
Ich mich noch gut erinnern, wie es die ersten Lebensmittelkarten gab. Bei uns war weit und breit kein Geschäft, da mussten wir ziemlich weit laufen, bis man dann nach St. Peter, einem Vorort von Klagenfurt-Ost gekommen ist. Dort habe ich dann eingekauft, was man halt so gekriegt hat auf Lebensmittelkarten. Große Äcker hat die Firma Fischl gehabt, die spätere Kärntner Hefe- und Spiritusfabrik, die hat eine ziemlich große Landwirtschaft gehabt bei unserer Siedlung. Dort haben die auch Kartoffeln angepflanzt. Wir Kinder sind oft tagsüber auf den Kartoffelacker gegangen und haben die Erdäpfel gestohlen und dann geschaut, dass wir wieder heimkommen, ohne dass das wer bemerkt. Es ist auch immer ein Aufseher herumgegangen, der aufgepasst hat, dass nichts gestohlen wird. Wenn dann abgeerntet war, dann durfte man auch offiziell nach übriggebliebenen Kartoffeln suchen. Da haben dann auch andere Leute aus der Nachbarschaft den Acker abgesucht.
Postmeisterin hat Soldaten verraten
Frau Freudenthaler, Jg. 1935 - 23. Mai 2025, 17:02
Ich hab den Bombenangriff am 16. Oktober 1944 live erlebt in Linz. Aber dann, 1945, war ich im Mühlviertel und habe dort das Kriegsende erlebt, in Königswiesen. In Wien war schon eine Regierung und dort in Linz, ist zuerst SS gekommen, ich war im Dorf bei meiner Tante. Die SS, die wollten eben da noch verteidigen, denn die Russen waren im Anzug. Und die SS ist noch aus dem Dorf gelaufen. Die Russen hinterher. Und das war noch ein richtiges Kriegsende dort. Dann sind die Amerikaner gekommen nach den Russen. Und das vorher, das ist auch eine tragische Sache: in den ersten Maitagen oder letzten Apriltagen hat die Postmeisterin vom Dorf, bei der kam ein junger Soldat, wollte mit seinen Eltern telefonieren, hat es auch gemacht und hat gesagt. „Ich bin so nahe zu daheim, ich komm jetzt. Der Krieg, es ist aus.“ Die Postmeisterin, eine so fanatische Frau, hat das sofort weitergegeben. Er wurde noch sofort standrechtlich geköpft oder gehängt. Das war in den letzten Tagen, wo in Wien schon die Regierung angefangen hat Anfang Mai. Das habe ich persönlich mitbekommen. Ich war 10 Jahre alt, weil ich bei meiner Tante im Dorf im Dorf war. Und das hat man schon furchtbar empfunden dort. Und in meiner Familie war eine Tante, die furchtbar mutig war, zu der hat man immer gesagt: „Halt den Mund, dich holen´s noch“. Wir waren natürlich immer erschüttert. Der junge Kerl teilt seine Eltern mit... und die fanatische Postfrau – die hat man ja im Dorf gekannt. Die Postmandi hat man zu ihr gesagt.
Sogar auf die Gräber fielen Bomben
Frau Freudenthaler, Jg. 1935 - 23. Mai 2025, 16:27
Ich lese Ihnen von meiner Cousine, Viktoria Blasl, vor. Sie schreibt als Überschrift: „Sogar auf die Gräber fielen Bomben“. „Meine Eltern wohnten in Linz in der Altstadt. Am zwölften Februar 45 gingen sie das Heulen der Sirene in den eigenen Keller. Doch da kam der Luftschutzwart und sagte zu ihnen, sie solle lieber in das gegenüberliegende, stärkere Haus kommen. Sie liefen mit. Doch Bomben fielen bereits, als sie in das Vorhaus kamen. Sie wurden verschüttet. Mit einem Schlag verlor sie Vater und Mutter. Die Mutter fand man nach drei Tagen auf einem Leiterwagen liegend. Den Vater fand man erst nach drei Wochen unter dem Schutt, als die Todesursache der Eltern kam, konnte ich nicht per Bahn nach Linz fahren von Enns. So ging ich in die Ennser Kaserne und fragte, ob mich ein Militärauto mitnehmen könnte. Nach langem Reden nahm mich eines mit. Dann konnte ich mit meiner Schwester alles weitere besprechen. DieToten dieses Viertels der letzten Nacht waren im Turnsaal der Raimundschule, das ist in Linz, in der Nähe der Herz-Jesu-Kirche - ich war in dieser Volksschule damals - vier lange Reihen, darunter kleine Kinder, Särge, mittlere und größere Särge, nur roh zusammengenagelt Bretter. Ein schrecklicher Anblick, der mich aber doch bewog, dies zu erzählen. Es waren 72. Wie ich nach Hause kam, weiß ich nicht mehr. Als das Begräbnis meine Mutter angesetzt war am Barbara-Friedhof, die als gewesene Stadt-Hebamme in das Familiengrab beigesetzt werden durfte, regnete es in Strömen. Mit vier Kindern, einem großen Blumenkranz gingen wir von Enns nach Linz, weil der Bahnverkehr eingestellt war. Von Klein-München weg konnten wir fahren. Viele Autos furhen an uns vorbei, aber keines nahm uns mit. In Pichling machten wir kurze Rast in einem Wartehäuschen. Als es zum Friedhof kam, war dieser gesperrt. Es dürfen keine Beerdigungen stattfinden, weil in der Nacht vorher Bomben auf die Gräber gefallen waren. Nun standen wir ratlos am Tor. Nach längerer Zeit kam eine Frau, auf unsere Bitte öffnete sie uns. Wir konnten die Mutter noch einmal sehen. Dann gingen wir den gleichen Weg nach Enns wieder zurück. Im Geschwader etappenweise kamen die brummenden Bomber, die wie Silberflüge am Himmel aussahen. Linz war schrecklich anzusehen. Kein Leben. Verdunkelte Fenster, bombenbeschädigte Häuser und Straßen. Wir waren froh, als dieses Grauen hinter uns war. Zu Vaters Begräbnis konnten wir nicht kommen. Frau Freudenthalers Cousine, Viktoria Blasl veröffentlichte den Beitrag „Sogar auf die Gräber fielen die Bomben“ in folgendem Buch: Fritz Fellner: „Passierschein und Butterschmalz: 1945 – Zeitzeugen erinnern sich an Kriegsende und Befreiung“, Ed. Geschichte der Heimat, 1995.
Russisches Geburtstagsstamperl
Gerhard Karpiniec - 23. Mai 2025, 11:32
Ich bin 1941 als Staatenloser in Wien geboren. Meine Eltern kommen aus Czernowitz. Das als Hintergrund zu dieser Geschichte. Unsere Familie hat Freunde in Linz. Und von Linz musste man natürlich durch die Besatzungszone Niederösterreich fahren, um dort anzukommen. Und da gibt es diese Geschichte, die unseren Eltern sehr, sehr starkes Bedenken hatten. Und zwar der Zug ist irgendwo über die Enns oder die Traun gefahren und wurde damals dort von den Russen aufgehalten und kontrolliert. Bei einer Kontrolle nahm ein Offizier irgendeinen Mitreisenden fest, hat ihn rausgenommen und die kamen und kamen nicht zurück. Und als sie zurückkamen, war der Fahrgast stockbetrunken. Der Grund war ganz einfach: Der Offizier hatte beim Durchlesen bemerkt, dass die zwei das gleiche Geburtsdatum hatten. Ja, das ist die Geschichte zum Schmunzeln. Was meine Eltern natürlich doch sehr bedrückt hat, weil damals gab es einige Verschleppungen, die auch bekannt wurden, meist nur durch Hörensagen: sie hatten Angst, in das russisch besetzte Gebiet von damals, sprich Czernowitz, zurückgebracht zu werden. Und das war die Angst. Aber mir ist diese kleine Geschichte zum Schmunzeln sehr wohl noch in Erinnerung.
Hamstern in der Nachkriegszeit
Frau Liegl, Jg. 1937 - 22. Mai 2025, 16:22
Es waren hauptsächlich Mütter, die damals Essen auftrieben. Sie packten Hausrat in Rucksäcke und zogen alleine oder zu zweit los. Viele Männer waren noch nicht vom Krieg zurück oder hatten keine Arbeit und es gab nur Essen mit Lebensmittelkarten. Sie versuchten ihr Glück bei Bauern, um eventuell etwas Fleisch oder Obst für die Kinder heim zu bringen. Manchmal waren eine Bekannte und meine Mutter auch länger aus und halfen bei den Bauern mit für Kost und Quartier. Es gab kein Telefon, also musste meine Großmutter auf uns aufpassen und aus fast nichts Essen machen, bis endlich der Rucksack am Küchentisch landete. 1946 bekam ich als unterernährte Schulkind von der Volkshilfe einen Erholungsurlaub in der Steiermark. Meine Pflegeeltern hatten ein Gasthaus. Dorthin wanderte meine Mutter auch immer tagelang und blieb für einige Tage. Ich war dort zwei Monate und besuchte die dritte Klasse Volksschule, obwohl der Aufenthalt über die Volkshilfe nur sechs Wochen galt. Die Pflegeeltern beschlossen, dass sie mich gerne das Schuljahr auf ihre Kosten dort lassen. Ich war gleichzeitig Kindermädchen für den 2-jährigen Ferdi und übte täglich Klavier. Ich wäre gerne noch länger geblieben, aber meine Eltern und Oma hatten Sehnsucht nach ihrer Großen. Zu Hause hatten wir einen Gemüsegarten und Erdbeeren, Mutti machte aus Allem etwas. Wir Kinder litten nie richtige Not, da uns die Erwachsenen nicht spüren lassen, was alles fehlte. Wir hatten eine schöne Kindheit in Oberternitz.
Ein Kilo Zucker zu viel
Herr König, Jg. 1938 - 20. Mai 2025, 15:49
Wie das aus war, ist von der Gemeinde eine Gruppe gekommen, paritätisch zusammengesetzt aus den drei Parteien, und haben geschaut, ob wir Lebensmittel gehortet haben. Meine Mutter hat drei oder vier Kilo Zucker gehabt und da waren zwei da und der eine hat gesagt: „Das ist ja viel zu viel, was sie da haben“. Also eine Familie mit 5 Personen. Und hat darauf bestanden, dass ihr ein Kilo Zucker weggenommen wird. Und ein Zweiter, das war der Kommunist interessanterweise, sagt: „Geh lass doch der Frau den Zucker.“ Ich weiß die Namen auch, aber die sage ich lieber nicht. Meine Mutter hat sich vor dem niedergekniet und hat ihn angefleht, den Kilo Zucker zu lassen. Und der hat darauf bestanden, dass er weggenommen wird. Und ich habe mir damals vorgenommen, den bring ich um. Das ist bis heute bei mir noch drinnen. Er ist dann von selber gestorben. Die Sache war also überflüssig.
Energische Mutter verscheuchte Russen
Herr König, Jg. 1938 - 20. Mai 2025, 15:36
Meine Mutter war verwitwet und nochmal verheiratet. Ende des Krieges habe ich zwei Geschwister gehabt, eines 2 Jahre, eines 1 Jahr alt, und die Russen sind gekommen. Wir haben ein Haus in Klosterneuburg gehabt, sie sind ins Haus gekommen, die Soldaten, zu den Kindern waren sie wirklich sehr lieb. Wir haben Zuckerl gekriegt, woher sie die Zuckerl gehabt haben, weiß ich nicht. Wir waren eigentlich eher angetan von ihnen. Sie sind leider Gottes am Nachmittag oder am Abend auch gekommen und da sind ja versteckt worden. Und meine Mutter war in diesem Haus, wo wir waren, waren fünf Frauen und kein einziger Mann. Und der einzige Mann war meine Mutter. Und wenn die gekommen sind, hat sie das Fenster aufgerissen. 200 Meter von uns war eine Kommandostelle in der Hauptstraße unten und hat gebrüllt, was gegangen ist, hat einem Unteroffizier alle Ehre gemacht: „ Die Russen sind da!“ und „Kommandatura“. Und tatsächlich sind in den meisten Fällen Minuten nachher ist ein Wagen gekommen und hat die Leute aus dem Haus herausgeholt. Ob das immer gut gegangen ist? Ich muss Ihnen zugeben, ich habe die Frage an meine Mutter nicht zu stellen getraut. Fortsetzung dieser Geschichte: irgendwie hat sie die versorgen müssen. Mich hat sie an der Hand genommen mit meinem sieben Jahren, und wir sind durch die Gärten geturnt. Über die Zäune drüber, 500 Meter von uns war ein Bauer, da hat sie ein paar Liter Milch geholt. Wie wir da einmal durchgegangen sind, auf einmal steht vor uns ein Mordslackl, ein russischer Soldat mit einer Kalaschnikow umgehängt. Ja, den habe ich heute noch von mir. Der war vielleicht 18, 19 Jahr alt, war eher blond und Akne gehabt, ein par Wimmerl im Gesicht. Und meine Mutter hat mit dem gebrüllt, der hat nur die Augen aufgemacht. Nach einiger Zeit hat er sich umgedreht und ist weggegangen. Und wie wir nach Haus gegangen sind: „Ich hab mich in meinem Leben noch nie so gefürchtet“, hat meine Mutter gesagt.
Erste Zweifel am Nazisystem durch eine „Verrückte“
Herr König, Jg. 1938 - 20. Mai 2025, 15:14
Knapp vor Ende des Zweiten Weltkrieges, ich war sieben Jahre und begeistert, wenn die Soldaten herumgelaufen sind mit rotem oder blauem Band obendrauf. Die Alten haben das gestärkt: „Das sind diejenigen, die uns vor den Russen beschützen.“ Meine Sicht damals war, die waren immer sehr lieb zu uns. Eines Tages lauft die Skallgasse eine circa 25-jährige Frau herunter, den Namen weiß ich heute noch. Sie hieß Kriegl und hat fast unartikulierte Sachen vor sich geschrien. Im wahrsten Sinn des Wortes. Und alle haben gesagt, die spinnt. Und ich bin draufgekommen, die war in Mauthausen und hat gesehen, dass ihr Verlobter auf der Steinstiege, der bekannten, also praktisch zu Tode gebracht wurde und wollte das irgendjemandem mitteilen. Und damals, mit meiner sieben Jahren, ist mir gekommen der Gedanke, da muss in dem System was falsch sein. Und da sind erste Zweifel bei mir gewachsen.
Opa weinte bei Radioübertragung des Staatsvertrags
Horst Stadler, Jg. 1945 - 20. Mai 2025, 14:42
Ich hab einen Opa gehabt, eigentlich Großonkel, ich bin am Bauernhof groß geworden, er war einer, der sehr kritisch mit dem Hitler war. Aber er war so alt, dass er nicht mehr eingezogen worden ist. Er hat mir von der Nachkriegszeit erzählt. Ich weiß noch, dass er erzählt hat: am 15. Mai 1955 hat sich der Opa zwei Monate davor einen Volksempfänger gekauft. Hat eh kein Geld gehabt, aber hat ihn sich geleistet. Und dann bin ich am 15. Mai mit ihm auf der Ofenbank gesessen, und dann sind um 11 Uhr Leopold Figl und die Staatsvertragsunterzeichnungsmächte auf den Balkon übertragen worden, wo Figl die Worte gesagt hat „Österreich ist frei“. Mein Opa hat nie geweint und in diesem Augenblick hat er wie ein kleines Kind vor Freude geweint. Da war er 80 Jahre alt. Und seitdem bin ich ein glühender Verfechter der Demokratie, der Werte der Freiheit, der Vielfalt, weil ich merke, was für ein Schatz das ist, wenn man das verloren gehabt hat. Für mich ist das sicher in meiner Einstellung ein Wendepunkt in meinem Leben geworden.