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1945-1958 Zwei-Personen-Story, Stadt-Land.

Georgette Pipal 4749 - 27. März 2025, 11:22

Schulheft, VS NÖ Tag der Fahne, 1957

Er: Peter Pipal, Geburtsjahrgang 1947, aufgewachsen bei, mit Großeltern und Eltern in einem Haushalt, Seilerstätte, Wien.
Sie: Georgette Pipal, geb. 1949 Klagenfurt, aufgewachsen in Heimen und Spitäler (Erinnerung, kollektives Topfsitzen) in Wien und NÖ, 1954/56 Adoptivfamilie.
Er: Ein wohlbehütetes, wohlgenährtes, übergewichtiges Kind; die Meinung der abgemagerten Groß-Eltern, man braucht Reserven für alle Fälle.
Sie: 1951 abgenommenes, abgegebenes Besatzungskind (Vater Brite, Mutter Deutsche in Ö.), in Kinder-übernahmestelle der Stadt Wien, Lustkandelgasse gelandet; Eltern und Adoption unbekannt; nach später Recherche via Jugendamt Wien 1997 und Rotes Kreuz 2014 Daten zur eigenen Person erhalten.
Er: Als Kind striktes Verbot, wegen Verletzungsgefahr, Gebäuderuinen zu betreten; im Hof Seilerstätte 8 wurde Federball gespielt, im Winter gerodelt, auch im nahen Stadtpark; on top im Wohnhaus wurden Hühner und Hasen gehalten, das Nebenhaus war eine Ruine, im Wohnblock gab es eine Garage für russische USIA Angehörige und private Nutzer. „Die Russen“ waren freundlich zu den Kindern, also keine Furcht. Der Vater Jg. 1926, mit 19 aus dem Krieg aus Italien zurückgekehrt, war dann bei einem USIA Betrieb als Kraftfahrer beschäftigt, 1955 nach dem Staatsvertrag wurde der Vater arbeitslos, aber bald wieder bei Straßenbaufirma weiter beschäftigt. Die Frauen, Mutter berufstätig Büro, und Großmutter im Haushalt, waren die fleißigen Seelen der Familie.
Sie: Erlebte das ganze Dorf und Umgebung als Abenteuerspielplatz. Die A. Mutter erzählte, sie sei 1946 mit dem 10jährigen Neffen 50 km zu Fuß gegangen, mit Rucksack und Tasche, um Lebensmittel für die Schwester und ihre Kinder einzuholen. Auffällig, dennoch zum gewohnten Alltag gehörend, Männer mit 1 Bein und Krücken und auch welche mit schwarzen Augenbinden; am Land sowie in der Stadt.
Er: Historisch und real sehr nahe am Geschehen; mit Großvater immer wieder bei Wiederaufbauereignissen live dabei, u.a. Heinrichshof/Opernringhof, Marienbrücke/ Donaukanal; im Belvedere am Staatsvertrag-Tag und Radioübertragung; bei Lieferung der neuen Stephansdom-Glocken ebenso viele Menschen unterwegs vorort und positive Stimmung; schulisch ab 1953 sehr gut unterrichtet und informiert, u.a. von Geschichtelehrer Dr. H. Zilk
Sie: „Das große Schweigen“ überall, von allen Seiten, in allen Bereichen, Gemeinde, Schule, Familie,... Verhalten der Menschen war eigenartig, angespannt geheimnisvoll, so empfand sie das, zunehmend interessiert bis neugierig. Antworten gab es keine. In der Schule Fähnchen bastelnd hervorgehoben wurde der 26. Oktober der „Tag der Fahne“, damals noch kein schulfreier Nationalfeiertag.
Mein Mann so wie ich erlebten diese Zeit sehr gemaßregelt sowie geordnet, katholisch sozialisiert; materiell hatten wir wenig, es war dennoch genug.
Ab 2000 aufmerksame Wahrnehmung der historischen Vergangenheit und Gegenwart. Zeitgeschichte ahoi!
„Krieg“ produziert und hinterlässt Geschichten, Schicksale mit Folgen für mehrere Generationen!!

Scho-Ka-Kola

Giorgio, Jahrgang 1943 - 27. März 2025, 00:43

In Bludenz waren französische Besatzungssoldaten, vorwiegend Marokkaner, stationiert. Herr Giorgio aus Bürg bei Bludenz erzählt am Ö1-Telefon von einer schönen Kindheitsüberraschung.

Die Landkarte der Vergänglichkeit

Johann Grabner - 26. März 2025, 20:13

Dieser Text thematisiert die Erinnerungen meiner Mutter an das Ende des 2. Weltkriegs in der Nähe von Bad Zell, damals Zell bei Zellhof.

-- Die Landkarte der Vergänglichkeit (Ausschnitt) --

Großelterndackel heißen immer und ewig Waldl („Woidl“ gesprochen), mögen sie noch so oft von Jägern gemeuchelt werden oder sonst irgendwie verlustig gehen: Ihre Inkarnation hört stets auf denselben Namen – soweit sie bereit ist zu hören.

Einmal gab es eine Zeit, da hat der Waldl nicht Waldl, sondern Hasso geheißen. Und dieser war ausnahmsweise, der Name verrät es bereits, kein Dackel, sondern ein Schäferhund.
Das Hasso-Zeitalter fällt mit der Anwesenheit der Russen zusammen. Also mit jener Zeit, als die Befreier vom Faschismus das Land besetzt hielten.

Meine Mutter, damals noch im Hause ihrer Eltern wohnend, wusste aus dem Hasso-Zeitalter beiläufig das zu berichten:
Eines Tages fuhr ein Lastwagen mit Russen vor ihrem Hofe vor, hielt an, und die mitfahrenden Uniformierten sprangen von der Ladefläche. Meiner Großmutter gegenüber vorgebend, das Haus nach Bildern des schnauzbärtigen Gröfaz (=größter Feldherr aller Zeiten) durchsuchen zu müssen, Befehl ist Befehl; und der Kampf gegen den Gröfaz beginnt beim Kampf gegen sein fotografiertes Konterfei, das nun verboten war, nachdem sein 1000-jähriges Reich nach zwölf Jahren das Zeitliche gesegnet hatte.
Wohl hatten sie nirgends ein derartiges Bildnis entdecken können. Doch zum Kuckuck, zwei Hosen aus dem großväterlichen Kasten trug einer unter dem Arm; waren ihm anscheinend faschistisch vorgekommen: Folglich beabsichtigte er, diese Beinkleider mitzunehmen.
Wem das absolut nicht gefallen wollte, war die Großmutter. Worte gingen hin und her, begleitet von einem gewissen Gezerre um die Hosen.
Waldl, vulgo Hasso, hatte das alles argwöhnisch beobachtet, bis er schließlich - ein Wächter ist eben ein Wächter, Maschinenpistolen behangener Russe hin oder her - den Hosenträger von vorne ansprang.
Dieser, auch nicht von Pappe, zückte seine Waffe und wollte dem Hasso ans Leben. Die Großmutter, sich in die Schusslinie stellend, versprach die Hosen Hosen sein zu lassen – womit sie ihres Bellers Leben gerettet hatte. So nahmen die Hosen ihren Weg in Richtung Sowjetunion.

Womit über die Ära Hasso noch längst nicht alles gesagt ist: Mitte Juni 1945 hatten die Russen in Zell bei Zellhof wie auch andernorts amerikanische Truppen abgelöst, die zwar zu Kriegsende diesen Teil des Landes befreit, sich aber nach der Niederlage der Gröfazler einem Abkommen zufolge über die Donau zurückgezogen hatten.

Am Tage des Einrückens der Russen hatte meine Mutter mit ihren damaligen 17 Jahren nichts Besseres zu tun, als mit dem Fahrrad nach Zell bei Zellhof zu radeln, mit der Absicht, dieses und jenes zu besorgen. Samt Armbanduhr und Jungfräulichkeit hielt sie dem Markte zu. Die Russen, das wusste jeder vom Frischgeborenen bis zum Uropa, raubten alles was nach Uhr ausschaute – Taschenuhren, Armbanduhren, Kuckucksuhren, Sonnenuhren, Kirchturmuhren; ebenso frech entwendeten sie Fahrräder – ob Herren- oder Damenräder war ihnen einerlei. Zu ihrem Beutegut zählte vor allem die Unschuld junger Frauen.
Meine Mutter radelte trotz händeringender, händezusammenschlagender, kopfschüttelnder, Warnungen ausstoßender Nachbarinnen und Nachbarn munter auf Zell zu. Mit dem Zeitmessgerät am Arm, das sich in gewissen russischen Sammlerkreisen einer großen Beliebtheit erfreute.
Radelte an einem kantinedampfenden, Pferde bewieherten, russisch gestikulierenden Soldatenlager vorbei, radelte gemütlich vorbei, um nicht zu sagen langsam: Zu schnelles Fahren hätte sich kaum mit ihrer Neugier vertragen.
Radelte so am Lager der Soldaten vorbei, sagen wir einmal unbehelligt, vielleicht sogar unbeachtet.
Rollte auf ihrem Damenrad in den Ort hinein, kaufte dieses und jenes, um daraufhin fröhlich wieder heimwärts zu treten.

Kaum hatte sie das russtikale Lager in die Gegenrichtung passiert, folgten ihr zwei Soldaten zu Pferd. Hatten sie alsbald eingeholt die beiden, Offiziere hoch zu Ross, erkundigten sie sich nach dem Weg nach Gutau, und „Bitte und danke schön“ trabten sie ihrem Ziele entgegen.
Jeweils an der nächsten Kreuzung auf sie wartend, erkundigten sich die beiden noch zweimal „Bitte und danke schön“ bei meiner Mutter, ob sie nicht vom rechten Weg abgekommen wären.
Meine Mutter kam so zuhause an, wie sie dieses verlassen hatte. Inklusive der gekauften Waren, versteht sich.

In Hassos Zeitalter fällt auch dieses Ereignis – die Russen sind da wieder einmal nicht unbeteiligt:
Einmal wöchentlich, so will es die mütterliche Geschichtsschreibung, tauchte ein Russe am großelterlichen Hof auf: der „Soviel Eier soviel Schilling“- Russe. Er hatte den Auftrag, für seine Vorgesetzten einzukaufen, in diesem Falle, Eier.

Die Russen, diese fleischgewordenen Bösewichte, Inkarnation frechen Gesindels, Prüfstein der Mühlviertler Gutmütigkeit, hatten hierzulande gestohlen, geraubt, vergewaltigt und weiß Gott welche Untaten begangen. Betraten sie jedoch meiner Großeltern Heim, so wandelten sie sich in freundliche, Küss-die-Hand- gnädige -Frau-Kavaliere, in redliche Eier kaufende Händler. Einen Schilling pro Ei.
Der Soviel- Eier-Soviel-Schilling –Russe bekam seine ungeborenen Hühner, bezahlte brav soviel Eier soviel Schilling und eilte heim ins russisch gestikulierende Lager, um seine erstandene Ware in eine wohlschmeckende, krafteinflößende, dotterstarke, fettpreisende, eiweiß-strotzende Speise zu verwandeln.
Erschien dieser Soldat in ihrer Stube, sprach meine Großmutter zu ihrem Herzen: Jubiliere!
Immerhin, es fuhren Schillinge in ihre Geldtasche ein; und die waren zu dieser Zeit rar gesät, sehr rar sogar.
War das ein Sonntag, Halleluja noch einmal!

Aus dem Nachbarland, der Tschechoslowakei wurden zu jener Zeit unzählige Menschen vertrieben, oder sie flohen von dort, um ihrer Vertreibung, zuvorzukommen, nur weil ihre Muttersprache dieselbe war wie jene des gröllenden, Endsieg verkündenden Schnauzbarts.
Zumeist nächtens erschienen sie vor dem großelterlichen Hof, klopften an Fenster oder Tür, um ein Nachtlager und Füllstoff für ihren Magen zu erbitten. Die Gewährung dieser Bitte gehörte zu den Selbstverständlichkeiten des Hauses.
Fragen nach dem Woher und dem Wohin zu stellen wäre nicht in den Sinn gekommen: Da war ein hungriger Magen, ein müder Mensch. Das waren die Tatsachen.
Fragen machten nicht satt, gewährten keine Erholung.
Zu Kriegsende hatten hier genauso durchziehende SS-Männer ein paar Tage Erholung gefunden. Hatten in dieser Zeit einander ihre Tätowierung aus der Achselhöhle geschnitten.
Nun waren Sudetendeutsche die Hilfe Suchenden.
Wanderten diese Vertriebenen tagsüber weiter, so trugen sie Gabel, Rechen oder Sense mit sich, um allenfalls misstrauischen russischen Soldaten nicht verdächtig vorzukommen: Sie sollten für ansässige Bauern gehalten werden, unterwegs zur Feldarbeit.

Im alleinstehenden Bauernhaus meiner Großeltern waren die letzten Kriegsmonate und die Zeit danach mehrere Ausgebombte aus Wien untergebracht gewesen. Hatten sich hier mit aller Selbstverständlichkeit wie den butterüberladenen Broten und dem Sonntagskaffee, den fetttriefenden, kalorienüberbordenden Schnitzeln, den Rosinen durchtränkten Germ-Honig-Dahinschmelze-Guglhupfen meiner Großmutter, Marke Direktimport aus dem Paradies, aufpäppeln können.
Würde eines Tages bekannt werden, dass sich selbst der Liebe Gott diesen Guglhupf in sein Reich über den Schäfchenwolken hat liefern lassen, würde mich das nicht im Geringsten verwundern.

Die Gastschläfer ruhten in der guten, alten von Speckduft gegerbten, tarockspielgeeichten Stube, mit der Pendeluhr als Herzschlag des Lebens.
Eines Nachts hatte wieder eine der Frauen aufgeschrien: „Bauer, Bäuerin, da schauen Leute zum Fenster herein!“
Kurz darauf schon saßen die neugierigen Fremden am Tisch bei Suppe und Brot, eine Gruppe mit der Angst als Reisegepäck.

Nächtliche Besuche waren keine Seltenheit. Manche betraten das Haus jedoch durch die Hintertür, um es durch diese wieder zu verlassen, unbeobachtet, mit vollen Händen.
So hatten eines Nachts ein paar Männer den Braunen mit seiner fliegenden Mähne aus dem Stall geholt, des Großvaters Liebling. Und taten so, als würden sie nicht daran denken ihn wieder herzugeben; vielmehr hatten sie felsenfest vor, mit ihm zu verduften.
Wer bitte schön hätte sie aufhalten können.
Aber da war der So- viel-Eier-So- viel-Schilling-Russe. Dessen entsann sich mein Großvater. Diesen samt seinen Freunden aus dem mit Wodka gesegneten Lager würde er zu dieser nachtschlafenen Zeit herbitten, sollte sich die Diebsbagage nicht sofort eines Besseren besinnen.
Augenblicklich kehrte das Pferd dorthin zurück, wohin es zu dieser lichtscheuen Zeit gehörte: in Großvaters Stall.
Anzumerken ist allerdings: Am nächsten Morgen meldete ein Bauer aus der Nachbarschaft sein Pferd als gestohlen.

Mit riesiger Eierspeis die Russen ins Haus geladen

Stefan Wiedl, Jahrgang 1945 - 26. März 2025, 15:51

Mit 50 zusammengeschnorrten Eiern und Bergen von Brot, mit Wodka und russischen Sprachkenntnissen hat mein Vater die Russen in unserem Haus empfangen, wie sie am 24. April in Deutsch Wagram eingetroffen sind. Meine Mutter war hochschwanger und sie wurde versteckt am Dachboden. An unserem Haus wurde eine rote Fahne angebracht. Wir hatten wir dann einen Offizier untergebracht, der war Deutschprofessor in Leningrad und der hat sich sehr gut mit meinem Vater verstanden. Der Offizier hat seine Frau und seine Tochter nach Österreich eingeladen, mit ihr bin ich dann gemeinsam zum Geigenunterricht gegangen. Meine Mutter hatte dann sogar eine Hausgeburt mit der Unterstützung eines russischen Sanitätsoffiziers.

Kamele im Waldviertel

Helga Gruber, Jahrgang 1941 - 26. März 2025, 15:19

Vater war in Gmünd bei der Bundesbahn beschäftigt, Mutter war Schneiderin. Im Jahr 1945 bis 1946 war die Familie in Höhenberg bei Bauern untergebracht. Dort kamen die Russen hin. Es gab dort einen kleinen Gemeindeteich. Die Mutter als Wienerin war die einzige, die schwimmen konnte. Sie hat immer erzählt, dass sie fast ertrunken ist, weil sie was schnauben gehört hat und sich umgedreht hat. Im Wasser war ein Kamel hinter ihr! Ich hab ihr das nicht geglaubt, bis Hugo Portisch in einer Doku berichtet hat, dass vom Kaukasus nicht nur Soldaten mit Pferden gekommen waren, sondern auch welche mit Kamelen.

Onkel Rudolf, erzähl vom Krieg

Johann Grabner - 26. März 2025, 14:32

Informant war der damals gut 15- jährige Bruder meines Vaters: Es geht um eine SS- Einheit in unserem Ort zu Kriegsende, Desertation und Arbeit für die Besatzer

„Onkel Rudolf, erzähl vom Krieg“

„Der Endsieg ist unser. Selbst wenn russische Soldaten in meinem Garten stehen, weiß ich: Wir werden den Krieg gewinnen!“ So im April 1945 die Worte eines fanatisierten Bauern aus der Nachbarschaft meiner Großeltern.
In Weitersfelden hatten sich Soldaten des sich auflösenden Regimes breit gemacht: eine Einheit der SS mit fünf Panzern, Kanonen und Granaten, mit Fanatismus in Uniform und jenem Mut, der aus den Mündungen der Gewehre kommt.
Einen der Panzer hatten sie im Hof meiner Großeltern postiert, wo sich mehrere Soldaten einquartiert hatten.
Die anrückenden amerikanischen Truppen standen bereits im benachbarten St. Leonhard.

Männliche Dorfbewohner jeglichen Alters hatten an der Aist sogenannte Panzergräben auszuheben. Auf der Brücke wurden als Hindernis für die Panzer Baumstämme platziert.
Mit dabei bei diesen Arbeiten: der jüngere Bruder meines Vaters, Rudolf, damals gut 15 Jahre alt.
Die Brücke wurde zur Sprengung vorbereitet. Einige mutige Männer haben noch vor Kriegsende die Sprengvorrichtung wieder entfernt.

Nachdem die Arbeiten an diesen „Verteidigungsanlagen“ beendet waren, hatte der im Ort ansässige Fuhrunternehmer, der einzige Besitzer eines Lastkraftwagens, die jungen Burschen in die Kaserne der Kreisstadt Freistadt zu überstellen, von wo aus sie nach einer kurzen Ausbildung an Gewehr und Panzerfaust als Teil des sogenannten Volkssturms in das sich nähernde Kriegsgeschehen geschickt werden sollten.
Onkel Rudi war mit den anderen Burschen dabei, die Kaserne zu betreten, als er sich kurzerhand entschied, zurück zum bereits in Richtung Heimatort abfahrenden Fahrzeug zu laufen und auf dessen Ladefläche zu springen. Er wollte nicht in die Statistik des sinnlos vergeudeten Lebens aufgenommen werden.
Kurz vor dem Ort sprang er vom Lastwagen.
Die Rückkehr ins Elternhaus hätte ob der dort einquartierten SS- Männer für Rudolf das Todesurteil bedeutet. Diese Männer hätten wohl keinen Augenblick gezögert, ihn zu erschießen. Immerhin hatte er Fahnenflucht begangen. Noch waren sie Herr über Leben und Tod. So versteckte er sich in der Nähe des Ortes, um das Ende des Krieges abzuwarten

Vom Nachbarort konnten jederzeit amerikanische Truppen heranrücken. Eine weiße Fahne wurde gemeinsam von Bürgermeister und Pfarrer am Kirchturm gehisst.
„Innerhalb von zehn Minuten ist die Fahne zu entfernen. Andernfalls holen wir sie mit dem Panzer herunter. Wir kapitulieren nie!“ Die Drohung des SS- Kommandanten verfehlte nicht seine Wirkung.
Die Botschaft vom Ende des Krieges wenige Stunden später verhinderte ein Inferno.
8.Mai 1945: Die SS- Soldaten verschwanden. Was blieb waren ihre Panzer samt Granaten und Gewehren, Helmen und Uniformen, Panzerfäusten und Pistolen.
Drei Kinder starben zwei Jahre später beim Spiel mit der Hinterlassenschaft dieser Soldateska.

Der Besatzung durch die deutsche Soldateska folgte jene der Befreier.
„Plötzlich wurde das Tor aufgestoßen. Eine Gruppe von Russen stürmte in den Hof und riss mir den Dämpfer (ca. 20 Liter umfassendes metallenes Gefäß zum Kochen von Erdäpfeln) aus der Hand, in dem ich gekochte Erdäpfel für die Schweine in den Stall tragen wollte. Begierig aßen sie alle auf. Derart hungrig waren sie.“
So der erste Kontakt mit den neuen Herrn laut den Worten meiner Großmutter.
Anschließend ging es in die Bauernstube.
„Wer schläft in den beiden Betten?“ „Bauer und Bäuerin!“ „Ab heute schlafen hier der Kommandant und sein Vertreter!“ So Worte des Offiziers zu meinen Großeltern.

Eine Siegerparade mit zehntausend Soldaten auf den Wiesen entlang der Aist wurde von den Sowjettruppen zelebriert: Der von ihnen aufgewirbelte Staub lag wochenlang auf Feldern und Wiesen.

Die Sieger benötigten Helfer.
Eines Tages fuhr eine Einheit auf dem Dorfplatz auf und hielt alle erreichbaren Jugendlichen an, mit ihnen zu kommen. Maschinenpistolen waren ein handfestes Argument, nicht zu widersprechen.
Die jungen Burschen wurden auf Lastwägen verfrachtet.
Rudolf ist einer von ihnen. Unter ihnen auch Franz, der wohl bärenstark, doch geistig zurückgeblieben war und gefürchtet ward ob seines Jähzorns. Weiters Franz Ebert.

Sie wurden in das einige Kilometer entfernte Lager unweit von Amesreith/ Gemeinde St. Oswald verfrachtet.
Dort hatten die Burschen mit Schaufeln Gräben auszuheben, in denen Treibstofffässer gelagert wurden: zum Schutz gegen allfällige Fliegerangriffe, wurden ihnen erklärt.
Wer diese potentiellen Angreifer sein sollten? Deutsche Flieger kamen nicht mehr in Frage. Amerikaner? Gerüchte über einen Krieg mit diesen machten damals die Runde.
Der Zwangsaufenthalt in diesem Lager war den Umständen entsprechend eigentlich ganz passabel: Genächtigt wurde in Militärzelten. Morgens gab es Tabak, mengenmäßig dem der Soldaten gleich, mit schwarzem Kaffee und Brot samt Butter. Wie generell in der Behandlung kein Unterschied gemacht wurde zwischen den jungen Burschen und den Soldaten der Sieger.
Es mangelte weder an Essen noch an Wodka, solange die Arbeit laut Befehl verrichtet wurde.
Die Wachposten mit ihren Maschinenpistolen schienen eher Staffage zu sein.
Bis zu dem Tag, an dem Franz nicht zum Appell erschien.
Franz Ebert, zum Anführer der eingefangenen Mannschaft bestimmt, musste sich auf die Suche nach dem Abgängigen machen. Mit Drohungen gegen Leib und Leben, sollte er ohne den Gesuchten erscheinen. Und Drohungen gegen seine Freunde, sollte er selber ebenfalls verlustig gehen. Eine bange Stunde folgte, ehe die beiden zur Erleichterung der als Geiseln Zurückgebliebenen auftauchten: Franz war von Franz Ebert unter einem Baum schlafend aufgefunden worden.
Die Freude der Jugendlichen, noch weiter für die Sieger zu arbeiten, war enden wollend. Ein Plan wurde ausgeheckt: abhauen.
In einem unbeaufsichtigten Moment suchten die Burschen das Weite, machten sich auf den Heimweg. Allerdings, ihre Sorglosigkeit ließ sie die Straße wählen.
In einem Waldstück, vielleicht ein oder zwei Kilometer vom Lager entfernt, wurden sie von den Russen wieder eingesammelt. Diese hatten ihr Fehlen bemerkt und waren ihnen gefolgt.
Die Gleichstellung mit den Soldaten gehörte ab jetzt zur Vergangenheit: Die Tabakration wurde gestrichen, die Essensration merklich gekürzt.
Drohende Mienen wurden aufgesetzt, die Maschinenpistolen entschärft; diese blieben auch während der Schaufelarbeit gegen die Burschen gerichtet.
Abends überlegte man erneut Fluchtpläne. Diesmal sollte es quer durch den Wald nach Hause gehen, abseits der Straße.
Einige Tage später, die Wachsoldaten hatten sich wieder an die Anwesenheit der Jugendlichen gewöhnt und waren nachlässig geworden, wurde der Fluchtplan umgesetzt.
Diesmal erfolgreich.

Noch einmal traten die Russen in Onkel Rudis Leben: 1955, gegen Ende der Besatzungszeit,
tauchten sie in Weitersfelden mit einer mehrere Hundert Stück Vieh umfassenden Herde von Westen her kommend auf.
Diese Herde sollte er mit Gleichaltrigen in einem mehrstündigen Fußmarsch bis in den nächsten Ort treiben, Unterweißenbach,.
Vorgehaltene Maschinenpistolen waren ein gewichtiges Argument, gegen das man nicht ankam.
Am Ziel angekommen, wurde dort Rast gemacht. Entgegen den gemachten Versprechen sollten die jungen Männer nun die Herde weiter bis Königswiesen treiben, zwei weitere Stunden oder mehr würde das dauern.
Unmut machte sich breit, Widerspruch war zwecklos. Die Argumente der Befehlsgeber waren stärker, immerhin bestanden diese aus besagten Waffen.
Im Durcheinander des Aufbruchs der Herde fanden die Jugendlichen Fluchtwege durch die Gassen und Winkel des Ortes.
Die mit Maschinenpistolen behangenen Russen werden wohl in Unterweißenbach Viehtreiber rekrutiert haben.

Die Freunde marschierten querfeldein heimwärts – die Rückholaktion ins Lager nach Amesreith war in bester Erinnerung, wenn auch schon fast 10 Jahre zurück. Aus Nadelbach kommend, kurz vor ihrem Ziel, sahen sie einen einzelnen russischen Soldaten die Straße entlang kommen. Er schien unbewaffnet zu sein, weder ein Gewehr noch ein Pistolenhalfter war zu sehen.
Als sie mit ihm gleichauf waren, sprachen sie ihn um Zigaretten an. Aus seiner Jacke zog er eine Stange mit zehn Päckchen „Austria 3“ hervor. Er öffnete ein Päckchen und machte sich daran, jedem eine einzelne Zigarette zu geben.
Die Burschen bedeuteten ihm jedoch: Njet. Nein.
Sie nahmen ihm die ganze Stange ab, gaben ihm einige einzelne Zigaretten zurück.
Der Russe fügte sich ob der Übermacht darein, um in der Sprache des Märchens zu reden. Ein solches war für die jungen Männer wahr geworden. Sie betrachteten die Zigaretten als „Bezahlung“ für den unbezahlten Treiberdienst.

Erleichterung

Simone Karlhuber - 26. März 2025, 14:23

Schrecksekunden für meine Mutter bei der Grenzkontrolle auf der Nibelungenbrücke

Erleichterung!

Ich bin im Jahr 1950 in Linz geboren. Die Donau war damals die Grenze zwischen amerikanischer und russischer Besatzungszone. Wir wohnten südlich der Donau, also in der amerikanischen Zone. Auf der anderen Seite, in Urfahr, hatten Verwandte meines Vaters ein kleines Lebensmittelgeschäft, wo meine Eltern manchmal etwas zu essen holen konnten. Eines Tages wollte meine Mutter mit mir als zweijährigem Kind wieder einmal die Brücke überqueren. Zu ihrem großen Schreck nahm der russische Grenzsoldat mich ihr wortlos weg und verschwand mit mir in dem Kontrollhäuschen. Nach bangen Minuten kam er mit mir auf dem Arm heraus: ich strahlte und hatte ein Stück Schokolade in der Hand! Diese Szene hat sich meiner Mutter tief eingeprägt, sie hat sie mir öfters erzählt.
Die Nibelungenbrücke bildete bis 1955 die Grenze zwischen den beiden Zonen, bis 1953 gab es die Brückenkontrollen.


Simone Karlhuber

Die Sicht von unten

Dr. Helmut Friedrichsmeier - 26. März 2025, 11:14

KIndheitserinnerungen aus dem Salzkammergut (1948-1955)
Unter dem Titel "Die Sicht von unten" .
In Buchform erschienen im Verlag Bibliithek der Provinz.

Kurzgeschichten über alle Bereiche des damaligen Lebens, z.B.: Einquartierungen von Soldaten und Flüchtlingen, Weiterleben des "Führer-Mythos", Kriegsinvalide, prägende Kindheitserinnerungen an die Besatzer, Zonengrenzen und die Probleme/Gefahren bei deren Überquerung, Wiederbelebung des Tourismus mit einfacher Infrastruktur, etc.

Die Nachbeben des Heimatverlusts

Daniela Müller - 26. März 2025, 10:07

Beitrag in den Salzburger Nachrichten vom 29.8.2015

Als 1969 Geborene kann ich über die Zeit 1945 - 1955 freilich nichts sagen. Darüber, dass auch mein Leben im Schatten der Flucht meiner Großeltern aus dem damaligen Jugoslawien stand - sie waren Donauschwaben - durfte ich in den vergangenen Jahrzehnten einiges erfahren. Vor allem, was es betrifft, nicht bearbeitete Traumata zweier Generationen aufzuarbeiten, die allzu früh gestorben und manche davon nie wirklich in ihrer neuen Heimat angekommen sind. Meine Familiengeschichte sehe ich als Lehrbeispiel aus Norbert Elias' "Etablierte und Außenseiter". 2015 durfte ich für die Salzburger Nachrichten, für die ich als freie Redakteurin arbeite, einen Beitrag verfassen, siehe Anhang. Heute denke ich, dass es gerade meine Familiengeschichte war, die den Berufswunsch Journalistin in mir geweckt hat.

Wertvolle Fracht

Werner Merkatz, Jahrgang 1947 - 25. März 2025, 23:36

Auf dem Leiterwagen seines Stiefgroßvaters ging es für Werner Merkatz als Kind regelmäßig in den Wald - doch so manches blieb den Blicken der russischen Soldaten dabei verborgen