Frauen, Mütter, Kinder
Kinderverschickung 1948 durch Volkshilfe
Von: Gertrude Liegl | 23. April 2025, 14:31
Ich bin im August 1937 geboren und habe viele klare Erinnerungen an die „Russenzeit!“ Habe im Laufe der letzten Jahre immer wieder Erinnerungen aufgeschrieben, daraus könnte man ein Bücherl machen.
Ich war zwar bereits in der 3. Volksschulklasse 1946 in KUMBERG (Steiermark, Bezirk Weiz) 3 Monate bei der Fleischer- und Gasthausfamilie HAIDINGER auf Erholung ( da ich brav war, haben sie mich nach den geplanten 6 Wochen behalten bis Schulschluss), dort ging es mir sehr gut und ich habe auch zugenommen. Musste als Einzige der vier T Mädchen , die von den Pflegeeltern in Kumberg ausgesucht wurden, in die Schule gehen und täglich Klavier üben. Das hat Papa so gewollt, und im Gasthaus stand auch ein Klavier. Meine beste Freundin von daheim war ganz in meiner Nähe beim Oberlehrer untergebracht, eine andere aus meiner Volksschulklasse daheim erholte sich bei den Bauern in unserer Ortschaft, die 4. Kannten wir nicht. Ich hatte sogar einen lieben, 2-jährigen „Halbbruder“ Ferdi.
Nach 2 Jahren war ich aber noch immer sehr zart und klein. So wurde ich im April 1948 für 3 Monate nach HOLLAND zur Erholung geschickt. Diesmal waren 2 andere Ternitzer Mädchen und einige Kinder aus Gloggnitz und Neunkirchen dabei. Die Trauer und Angst beim Abschied am Bahnhof von den Eltern war bald überwunden, als wir in Wien zu einem anderen Bahnhof gebracht und in einen Zug voller unterernährten österreichischen Kindern gestopft wurden. Man freundet sich da schnell an. Heimweh hatte ich eigentlich nicht. Ich glaube, wir waren die 1. Nacht im Zug, die 2. Bei der Grenze zwischen Deutschland und Holland, da mussten wir aussteigen und wurden „Ganzkörper“-untersucht. Das war unangenehm, dauerte lange und machte mir Angst. Aber dann fuhren wir in Bussen weiter bis ARNHEIM. Dort wurden wir für 1 Nacht von Pflegeeltern „ausgesucht“. Ich wurde wieder sofort genommen, von einer noch jungen Mutter eines kleinen Buben, sie sprach etwas deutsch, bewirtete mich großzügig und ich schlief wieder einmal in einem weichen, reinen Bett. Dort hätte es mir gleich für alle 3 Monate gefallen, aber ich musste mit den anderen weiter. Nächste Station für unseren Bus war DEVENTER! Wieder mussten wir aussteigen und wurden von den bereitstehenden Pflegeltern begutachtet und wieder wurde ich sofort ausgesucht. Diesmal war es eine grauhaarige, große DAME, die sehr gut deutsch sprach und gleich sehr lieb mit mir umging. Ich war scheu, ungewohnt schüchtern. Wir gingen zu einer Siedlung, wie unsere Reihenhäuser, alle mit Garten und ich hörte Kinder, das tat gut. Drinnen empfing mich der Verbundenheit und Liebe ausstrahlende „Onkel“, der Hausherr, und zu der Dame durfte ich Tante sagen. Sofort zeigte sie mir „mein“ Zimmer im Obergeschoß, das war eigentlich das Zimmer ihres zur Zeit in INDONESIEN kämpfenden, 19-jährigen Sohnes Gerrit. Dann gab es ein sehr großzügiges Abendessen, dazu kam auch GERDA, meine damals 17-jährige „Gastschwester“, die als Schuhverkäuferin in der Stadt arbeitete, mit ihrem Boy-Friend PIET, der gerade seine Matura gemacht und nach der HTL zu arbeiten begonnen hat. Ich wurde von allen so herzlich aufgenommen und fühlte mich schon daheim. Am Morgen gab es zum Frühstück Schokolade- und bunte Stäbchen, diverse Marmeladen und Honig, Weißbrot, Butter – ich wusste gar nicht, wo ich anfangen sollte zu meinem herrlichen Kaukau! Onkel und Gerda waren schon fort zur Arbeit. Vor der Schule kam noch rasch REINTJE, eine der Nachbarstöchter in meinem Alter, um mich zu begrüßen. Da es mein Papa so vorgeschlagen hat, fuhr TANTE mit mir (per RAD) in die Schule und meldete mich an. Ich blieb gleich dort, da der JAN in der selben Klasse auch in unserer Siedlung wohnte, und die beiden zeigten mir am Heimweg den „Abschneider“ durch ein Kornfeld, den ich aber gar nicht alleine gehen musste, da wir immer zu dritt waren. Vorerst konnte ich KEIN Wort holländisch, aber es war nicht schwer, da ich ja daheim schon bald ein Jahr lang englisch lernte, und am Ende meiner 3-monatigen Schulzeit in DEVENTER konnte ich perfekt Briefe schreiben und verstand auch die anderen Kinder und Verkäufer, auch am Fischmarkt, zu dem ich jeden Freitag mit Tante mitgehen durfte in die „Untere Stadt“ und einen mir bis dahin völlig unbekannten ROLLMOPS bekam! Die meisten Erwachsenen sprachen mit mir ohnehin deutsch. Nur in der ersten Tagen machte ich mir Sorgen um meine Ternitzer Klassenkameradin RUTH Brandstätter, die im Bus weiterfahren musste, aber Tante erfuhr bald, dass es ihr in UTRECHT ebenso gut geht wie mir hier. Unter den Kindern am Schulweg gab es nach der deutschen Besatzung so ein (verbotenes) Lied: „Du bist verrückt, mein Kind, Du musst nach Berlin! Dort, wo alle Verrückten sind, da musst Du jetzt hin!“ Mein Papa bat die Pflegeeltern auch in einem mitgegebenen Brief, ob es eine Möglichkeit gäbe, dass ich wenigstens 2-3 mal pro Woche irgendwo KLAVIER üben könnte. Die Noten waren ja eingepackt! Und da meine Tante aus einer angesehenen Familie kam, hatten ihre Eltern, OPA und OMA van Peters, ca. 20 Minuten entfernt lebend, einen schönen, alten Stutzflügel und betreuten mich nach dem üben wieder mit Süßigkeiten, die es bei uns gar nicht gab, und sprachen auch deutsch! Mir ging es also rundherum sehr gut, Heimweh kannte ich gar nicht. Später war ich sogar ein bißerl verliebt in den Jan, der hübsch und sportlich war.
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