Das politische Haar

Von: Martina Gasser | 27. Juni 2024, 10:49

Eine schwarze Schere, nach unten geöffnet, auf schwarzem Bildhintergrund: anstelle der Schraube, welche normalerweise Scheren zusammenhält, ist das Symbol für Frauen abgebildet und hält die beiden Schenkel der Schere zusammen. Unterhalb der Schere befinden sich neun verschieden geflochtene und abgeschnittene Zöpfe, ebenfalls auf schwarzem Hintergrund.

Seien wir ALLE Feministinnen und Feministen und setzen wir uns für eine (weltweit) bessere und gerechtere Gesellschaft für alle ein!

Menschenrechte sind Freiheitsrechte! Wenn Frauenfreiheitsrechte nicht geachtet werden, ist die gesamte Gesellschaft unfrei und es leiden – neben den Frauen – Minderheiten und Kinder.

Kurzes Haar bei Frauen gilt historisch als unanständig und unweiblich (z.B. Bubikopf der 20er Jahre), wird als Angriff auf patriarchale Domänen verstanden (Framing als „Mannfrau“) und wird von Frauen immer wieder als Akt des Widerstands gegen patriarchale oder gesellschaftlich untragbare Zustände eingesetzt.

Trotz aller Kämpfe um diese Rechte, finden wir uns heute in einer Welt wieder, in der in den wenigsten Ländern Frauenrechte konsequent durchgesetzt und gelebt werden. In vielen Ländern werden Frauen und Minderheiten brutal unterdrückt, völlig entrechtet und sind im privaten wie im öffentlichen Leben ungeschützt jeglicher Brutalität gegen Psyche und Körper ausgeliefert.

Im Zuge der iranischen Proteste gegen das Regime seit dem Jahr 2022, ausgelöst durch den gewaltsamen Tod der jungen Jina Mahsa Amini nach ihrer Verhaftung durch die „Sittenpolizei“, da sie ihr Hijab-Kopftuch nicht „vorschriftsmäßig“ getragen haben soll, begannen Frauen im Iran ihre Hijabs abzulegen und damit martialische Strafen und Totschlag in Kauf zu nehmen. Manche Frauen stellten Videos ins Netz, auf denen sie ihre Haare aus Protest gegen diese Unterdrückung abschnitten. Das Haar steht für die Weiblichkeit schlechthin, aber auch für die „gefährliche verführerische Wirkung“ auf Männer, weshalb es aus Sicht der „Sittenpolizei“ unbedingt bedeckt werden muss, um Männer davor „zu schützen“.

Das Abschneiden der Haare wird zu einem Akt der politischen Selbstermächtigung der Frauen, mit der sie zeigen, dass sie selbst über Ihre Körper verfügen. Zugleich entledigen sie sich ihrer stigmatisierenden Weiblichkeit. Das Abschneiden der Haare ist auch eine alte Geste der Trauer, wenn der Mann einer Frau stirbt. Diese Geste wird neu kontextualisiert und drückt die Trauer über die ermordeten Frauen und Mädchen aus.

Es ist ein mächtiges Zeichen gegenüber einem brutal patriarchal unterdrückenden Regime, das von einigen extremistischen Männern beherrscht wird, die offenbar große Angst vor (dem Intellekt der) Frauen haben.

Martina Gasser thematisiert mit ihrer Installation – ausgehend von der iranischen Protestbewegung und der Geste des Haar-Abschneidens – das Politische des (weiblichen) Haars. Das Blond der Zöpfe in der Installation ist dem Material (Hanffasern) geschuldet. Es sind alle Haarfarben aller Frauen dieser Welt gemeint!

Die eingereichte Arbeit ist eine Installation aus Hanffasern, Karton, Stacheldraht, Bändern und Stoff (siehe auch auf der Webpage unter martinagasser.eu/exhibitions_projects).

Webseite
https://www.martinagasser.eu

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