Der Garten Eden

Von: Johann Grabner | 11. Mai 2020, 17:55

Der Garten Eden

Der Baum in der Mitte des Gartens, seine Saft gewordenen Äpfel und des Gartens Duft im Winter. Davor der Flammenengel mit Straßenbaubescheid und Motorsäge.
(Bild zum gleichnamigen bereits eingereichten Text)

Garten Eden

An der Ausfahrt unseres Dorfes in Richtung Freistadt kurz vor dem auf einem Stein dokumentierten Kilometer 21,5 hat Gott der Vater den Garten Eden gepflanzt.
Er ließ aus dem Erdboden allerlei Bäume aufsprießen, lieblich zum Anschauen und gut zur Nahrung
Die Bäume des Paradieses standen in voller Blüte, alles leuchtete in einem prächtigen Weiß, als ich erstmals diesen Garten betrat, an der Hand von meiner Mutter.
Des Gartens Dach war ein kühlender Schatten unter den Bäumen, unter denen die schillernden Käfer fast so zahlreich waren wie die Gräser, zwischen denen sie sich tummelten.
Nachts nistete ein Himmel voller Singvögeln in den Zweigen.
Jener Baum, bekannt vom Apfelgeschenk der Schlange an Eva, stand exakt in der Mitte des Gartens, von Bienen umsummt, mit einer Fülle an Pfauenaugen, Admiralen und Distelfaltern in den Blättern.
Als Saft flossen seine Äpfel durch die Jahre meiner Kindheit.
Ängstlich habe ich mehrmals Ausschau nach der Schlange gehalten. Sie blieb verschwunden. Nur manchmal besuchte sie mich in meinen Träumen, niemals jedoch in diesem Garten.
Verschwunden auch der Flammenengel. Überflüssig geworden angesichts der fehlenden Schlange.
Winters schnitt mein Vater junge Zweige von den Bäumen, um der Hasen Zähne Nahrung für die kalte Zeit zu bieten. Zu Frühlingsbeginn lag das blitzeblank abgenagte Holz knochenbleich unter den Bäumen.
Eine Futterstelle für Rebhühner und Fasanen belebte den Garten auch winters mit Gekreische und Geflattere.

Mit meinem Vater habe ich an einem verschneiten Spätherbsttag vom Baum des Paradieses den letzten Apfel gepflückt. Ehe man es schloss, das Paradies.
Keine nackte Eva, schüchtern ihre Scham bedeckend. Wär auch zu kalt gewesen im ersten Schnee.
Keine Stimme die rief: Wo warst du Adam?

In einer kleinen Kiste trug ich die letzten Äpfel heim, mein Vater schulterte die hölzerne Stehleiter.
Hinter uns fiel die Tür zum Garten ins Schloss.

Ein neuer Flammenengel war aufgetaucht, mit Gesetz und Asphaltmaschine. Ein Straßenbauer, ein Bote des Betonierens.
Er ließ die Bäume fällen und eine undurchdringliche Decke über den Garten legen.
Ein Flammenengel mit Feuer und Schwert war nicht nötig, eine Rückkehr dorthin war ob der dicken Asphaltschicht ohnehin unmöglich.
Der Flammenegel konnte weiterziehen zu anderen Gärten.

Einen Winter lang duftete das Paradies noch durch unsere Stube: Bratapfelduft.
Als gäbe es den Garten noch immer.

Manche Skeptiker meinen, es hätte nie einen Garten Eden gegeben. Sie meinen, die Realität ist eine andere: Abgase von den Graswurzeln bis hoch in die Zellen des Firmaments und Motorengedröhn sei die Musik unseres heutigen Gartens.

Aber ich hatte eine Zeit lang das Privileg, diesen Garten bewohnen zu dürfen. Ich kann ihn bezeugen.

Übersicht:
Gärtnern für das Klima - Eine Ideensammlung