Im Grunde unseres Herzens sind wir Hippies

Von: G.G. | 5. Dezember 2020, 21:33

Flug von Indien nach A exakt zum Lockdown März; Freunde; ein Geburtstagsfest verläuft im Nichts , verlorene Orientierung in der Heimatstadt

Traum vom 24.11.2020:

Bei diesig dämmrigen Wetter schleppte ich meinen Koffer samt Begleitung (Anm.: eine mir nahe Person, aber ohne zuordenbare Identität) über die großen Betonplatten des Rollfeldes eines mittelgroßen Flughafens. Ich wollte oder sollte wieder nach Hause. Da sprach mich von der Seite ein älterer Herr in einer eleganten Dienstuniform und Dienstkappe mit Kordel an: „Gestatten Sie, mein Name ist Anton Meggenburg, ich bin der Direktor des Flughafens. Ihr Flug geht bereits in 15 Minuten und das schaffen Sie auf dem regulären Weg durch die Kontrollen nie. Kommen Sie, steigen sie in meine Limousine. Ich bringe sie direkt zum Flugzeug.“ Ich sah zur Überprüfung der Uhrzeit auf mein Handy, doch da stürzten Ziffern und algebraische Zeichen wild durcheinander. Eine Uhrzeit ließ sich nicht ablesen.

Ich fühlte mich überwältigt von dieser Freundlichkeit und dem Zuvorkommen und irgendwie richtig glücklich und versöhnt mit der Welt, dass es sowas einfach noch gibt. Dass Herr Meggenburg etwas schleimig Schmieriges in seiner Art Aufzutreten hatte, machte mich kurz mißtrauisch und ich dachte mir, Wo ist denn da der Haken?, aber ich war zu glücklich über die angebotene Hilfe – und wie er seinen Namen aussprach! – nämlich Englisch: Änton Mäggnbörg. Da war auch kein Anthony vorangestellt, nein, er blieb beim dezenten Änton. Sehr überzeugender Typ. Wäre er noch einen Funken fescher, die Haut nicht gar so speckig und rotfleckig, nicht ganz so verlebt, dann könnte er gut Werbeclips für Kaffeekapseln drehen.
Anton Meggenburg ließ seine Limousine mit uns über das Flugfeld gleiten. Irgendwo da hinten im Diesigen, da wartete bereits unsere Maschine. Meggenburg hielt mal links, mal rechts kurz an, um mit seinen Bediensteten zu plaudern und nach dem Rechten zu sehen. Schließlich waren wir mehr als eine halbe Stunde unterwegs und unsere Maschine war längst weg. Ich rief meine Mutter an, dass ich erst mit dem nächsten Flug komme und sie jammerte ins Telefon: „Jetzt kommst du erst recht wieder später als ausgemacht!“

Zu Hause angekommen traf ich auf einem Parkplatz auf Margrit und Susan die mir in Feierlaune freudig entgegenbrüllten: „Die Wurm hat heut’ Gebuuurtstaaag! Wir sehen uns eh später dort am Fest, oder?“
„Ja, wo wohnt sie denn, die Wurm?“.
„Die wohnt in einem großen, schönen Haus am Guadn Markt. Nur wissen wir selber nicht wo das ist und Hausnummer haben wir auch keine.“
„Ah, ich weiß wo das ist. Der Guade Markt ist ein feines Platzerl mitten in der Stadt. Nicht allzu groß. Die find’ ma schon. Ich muß nur schauen, wo die Kirche ist, dann finde ich auch den Markt.“
„Bis späääter!“
(Anm.: im Traum war Saalfelden, wo ich in den 80ern mehrere Jahre gelebt hatte, mein Zuhause und ich hatte wegen der überbordenden Neubauten Orientierungsprobleme. Lebe seit 1989 in Wien)

Margrit und Susan sausten los. Margrit fuhr einen wahnsinnsgeilen Cadillac. Lang, kantig und so alt, dass der ehemals feuerrote Glanzlack wie ein sonnengebleichter Tonziegel matt schummrig glühte. Margrit, eine ins Alter gekommene Hollywooddiva, ich schätzte sie auf 75, vielleicht max. 77, ein Kaliber und Weib wie Sopia Loren, saß grundsätzlich selbst am Steuer. So, wie sie alles rund um sich herum lenkte, bestimmte und dirigierte. Ganz gleich wo sie auftauchte, Madam hatte das Sagen. Vielleicht fünfzehn Jahre jünger als Le Conducteuse, mit blondem Pagenschnitt, hüpfte Susan mit dem Handy in der Hand wie ein aufgekratzter Teenager hinten am Rücksitz von einer Seite zur anderen. Längs auf dem Dach des Cadillac saß, einem Hahnenkamm gleich, ein rechteckiger mit Textil bespannter Rahmen, fast so groß wie eine Matratze. Das Gewebe war handgestickt. Waagrecht ein Streifen weiß, ein Streifen Gold und dann wieder weiß. Wie eine Flagge und es hatte zusammen mit dem matt glühenden Cadi eine beeindruckend majestetische Ausstrahlung. Am hinteren Ende dieses Flaggenkonstrukts wehte eine dunkelbraune Perücke weit über die Heckscheibe. Die gut einen, eineinhalb Meter langen, mittlerweile von Fahrtwind und Wetter zu dreadlockähnlichen Würsten zusammengefilzten Strähnen waren das allseits bekannte und offizielle Zeichen für: IM GRUNDE UNSERES HERZENS SIND WIR HIPPIES.

Drei oder vier Stängel des Blaustengeligen Hahnenfußes (die Blüten waren auch blau!), dazwischen ein paar knallrote Pfefferonischoten, hab ich zu einem dünnen Strauß in ein knisterndes Zellophan gewickelt, oben ein paar Krümel Marihuana reingestreut und die Spitze zugedreht. Fast so groß wie eine Schultüte. Wegen dem Zellophan konnte man das sicher nicht rauchen, dennoch war das ein Joint – definitiv. Ein gelungenes Verlegenheitsgeschenk für Christine.

Susan, Margrit und ich trafen uns pünktlich am Guadn Markt. Durch ein schmuckes Gartentürl gings gleich dahinter in den schmalen Hauseingang. Dann spähten wir in den Vorraum – eine lange, leergeräumte Schulgarderobe mit staubig rotem Linoleumboden. „Do wohnt die Christine?“, fragte Margrit sichtlich verunsichert. Nach dem Gang gings labyrinthartig über Treppen in einen Innenhof und der war atemraubend. Ähnlich dem Durchhaus, wo man von der Lerchenfelderstraße zur Neustiftgasse queren kann, ein mit Arkaden und Balustraden dicht bepackter Hof. Heimelig, städtisch, mit prunkvollen Fassaden. In der Mitte des Hofes wucherte exotisches Grün mit kleinen kreisrunden Blättern über mehrere Stockwerke und so dicht, dass man kaum zur gegenüberliegenden Fassade sehen konnte.

Wir stiegen die letzte Treppe zu Christines Wohnung hoch, die Treppenaufgänge lagen alle frei im Innenhof, als ich auf dem querliegenden Balkon in Reichweite über mir, einen schlafenden Schäferhund entdeckte. Vorsichtig entfernte ich die zwei halb durchgerosteten Geländersprossen ohne den Hund zu wecken und fragte mich dabei, wieso ich diese offensichtlich völlig unnötige Aktion machen mußte: Ja, auch das bin Ich.

Schließlich landeten wir durch Christines Wohnung hindurch auf eben diesem Balkon neben dem Schäferhund. An einem alten Küchentisch saßen dort entspannt plaudernd ein junges Paar und Kinder. Es war aber nicht klar, ob das nun eine Familie sei oder eine bunte WG und wo ist überhaupt Christine? Scheiße, dachte ich, ich hab das Geschenk, den Joint vergessen! Soll ich die ganze Odyssee jetzt nochmal zurück? Nein, egal, Christine sind die Geschenke sicher nicht so wichtig. Die freut sich, dass wir da sind.

Auf der Kante des Küchentisches, ein bißchen abseits, saß aufrecht und still ein Baby in weißem Frotteeoverall mit Kapuze. Ich setzte mich direkt davor, nahm das kleine Ding und legte es behutsam vor mir in meinen Schoß. Wir blickten uns gegenseitig tief in die Augen und ich sagte im Stillen zu mir: Gut, dass wir früher schon einen Faden zueinander gesponnen haben. Das macht es jetzt leichter.

Übersicht:
Schicken Sie uns Ihre Lockdown-Träume