Literatur
Die Geschichte des Frühlings (Arbeitstitel)
Von: Nina Lechner | 29. Mai 2020, 23:21
Erzählung in progress über die Liebe und wie sie manchmal wächst oder sich verknotet, die Protagonisten sich aufeinander zubewegen oder sich voneinander entfernen lässt, auf jeden Fall sie aber zur Selbstfindung zwingt...
„Es geht um den Knoten“, sagte sie, während er ihr gegenüber saß, „das ganze Leben irgendwie geht es nur um den Knoten“, und er betrachtete ihren Nacken, den sie manchmal zeigte, wenn sie sich ein wenig beugte, die geknickte Formung ihrer Wirbelsäule, wenn sie, nervös, nach ihrer Tasche griff als ob sie etwas suchte, und stellte sich vor...
„Wir machen da Erfahrungen und binden bei jeder Erfahrung diesen Knoten ein wenig fester um uns. So wenigstens kommt es mir vor.“ Der Nacken. Er sollte ihn berühren. Jetzt. Er könnte ihn berühren. Seine Finger wären tatsächlich nicht weit von ihm. Sie hatte sicher eine feine, zarte Haut, und zwar überall, auch an den Stellen, an denen die Haut üblicherweise etwas ruppiger, fester war, würde sie weich sein, sie würde sicher überall weich sein, sie war so der Typ Frau, und er vielleicht sehr weich mit ihr... und. Er könnte ihn berühren, sofort. Er würde ihn wohl berühren, bald. Würde sie berühren, dieses zarte Etwas da vor sich, das sich wohl nicht ins Leben traute. Er würde ihr also zeigen, wie das ist. Wie sie ist, und was sie sein könnte, eines Tages vor ihm und ihm ergeben, sich selbst ergeben, denn alles, was da in ihr steckte, musste ja eines Tages heraus, aus diesem Wesen, das da so gefangen schien, zu viel Volt war in ihr, zu wenig Ampere, na ja sie müsste noch viel lernen, was die Wahrheit ist, aber vorläufig genügte im Leben mal einfach nur: schreien. Sie sich aus ihrem Körper hinaus schreiend. Konnte er sich einfach nicht vorstellen. Er nippte an seinem Café.
„Ich möchte diesen Knoten nicht mehr.“ Ein Blick aus ihren Augen jetzt, an der Cafétasse vorbei. Immer an der Cafétasse vorbei, nie ganz bei ihm, ihre unsicheren Augen, ihre Worte, die etwas wollten, aber was wollten sie von ihm? Es war schon etwas in ihnen.
„Also, ich hab keinen Knoten oder so.“ Er lächelte.
Jetzt lächelte sie auch.
„Na ja, ich meine vielleicht spüre ich ihn nur nicht. Vielleicht habe ich einfach eher mehr Glück gehabt.“
„Hm. Hätte ich auch gerne.“ So ein provozierender Blick. Na ja, sie weiß schon, was sie will. Was ich vielleicht wollen kann. Oder so. Er trank am Café. Jetzt eine Zigarette. Wäre echt fein. Aber sich einfach so seinen Süchten hingeben. Sie war Nichtraucherin, es gehörte sich da schon ein wenig Taktgefühl. Auch wenn sie gerade in einem Raucherbereich saßen, sie mit seinem Tabak zu stören, ihn ihr ob der Enge dieser Ecke, in der sie jetzt an wackeligem Tisch saßen, vielleicht direkt ins Gesicht zu blasen, war schon nicht Stil.
„Stört es dich vielleicht, wenn ich kurz draußen eine rauche?“
Sie nickte wohlwollend, so bereit, nichts kaputt zu machen. So bereit wohl, dass es ihm gut gehen würde, gut gehen müsste, mit ihr. Er stand breitbeinig auf. Das war nicht gut. Das war nichts. Wusste er schon. Frauen, die alles für einen geben. Die alles für einen geben, damit sie einen erhalten. Und dabei will ich doch gar nicht „erhalten“ werden, warum lernen sie es nicht? Warum lernen es manche wirklich nie? Seine Schritte nun zu Tür hin, eine Wohltat irgendwie. Jeder Schritt eine langsame Entfernung, begann er irgendwie zu merken. Eine Entfernung von ihr, die ihm gut tat, und das sagte eigentlich schon alles. Warum also noch weiter dieser Nachmittag. Einen Abend konnte er sich nun nicht mehr denken. Spazieren gehen in der Sonne und reden, Unterhaltungen vorschlagen (hatte er wohl schon die ganze Zeit getan, seit ihrer Begegnung, und was kam dabei heraus bei ihr? Ein Knoten.) Draußen staubiger Asphalt. Der Tag brachte ihn gut zur Geltung. Licht, Tageslicht, das brannte, das seinen Augen Aufmerksamkeit zuraunte. Na ja, überleg es dir halt. Noch kannst du es dir überlegen. Wie oft kriegst du eine so? Wie oft hattest du eine so schon? Kommt auch nicht vor, alle Tage, dieses Rehäugige da. Die meisten haben viel zu krassen Lidstrich, sie nicht. Der Lidstrich um ihre Augen sagt eigentlich schon alles, bei den meisten, aber bei ihr kann man das nicht behaupten. Was aber dann? Das zu wissen würde sich schon lohnen, könnte man finden. Fand er es? Eine Taube begann sich ihm zu nähern. Ihr leises Gurren scheuchte ihn wieder aus seinen Gedanken. Er scheuchte das Tier fort. Er wollte alleine sein. Noch kurz. Also echt. Auf den Jagdinstinkt lässt sich ruhig pfeifen, auch wenn das immer gerne so gesagt wird. So erklärt wird er als das Typische bei uns, dachte er. Ist es aber nicht, denn in Wahrheit geht es ja um ganz was Anderes. In Wahrheit geht es wohl um den Gedanken, den er schon vorher hatte, das mit dem „Erhalten werden“. Es ist, also würde jemand einen Preis ausrufen. „Zur ... gelangt ein Objekt... wer bietet mehr?“ und da sitzen sie, alle Damen, und eine jede streckt die Hände hoch und schreit „Ich! Ich!“ und es ist ganz so wie in der Volksschule, schau nur her, wie sie einander überbieten, eine jede will die Bessere sein, die Belohnung, Anerkennung kriegen für das beste Bieten, na wer ist die beste Schülerin?, entsetzlich. So hängen geblieben, irgendwo, irgendwie. So infantil.
Sie nun also sitzend. Drinnen. Wartend auf ihn. Ihn abwartend. Sich fragend. War das jetzt klug von mir. Warum nur muss ich immer reden? Warum nur über alles reden, es zerkauen, zertreten und zerwühlen, es ins Komplizierte hinein wühlen, wenn man alles doch so einfach machen sollte/können würde, warum nur aber stehe ich mir immer, wenn es entscheidend wird, immer immer selbst im Weg? Ihre Hände fuhren an ihren Hinterkopf und krochen langsam dort hinunter, da war was, das sie spürte, und es war etwas Hinterlassenes, etwas, das er ihr hinterlassen hatte, nachdem er hinaus gegangen war aus dem Lokal, etwas, das beachtet werden wollte.
„Und? Gehen wir noch kurz zum Kanal?“ Er war wieder da.
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