Besatzungsmächte , sonstiges
Kriegsende in Wien
Von: Elisabeth Wappelshammer | 24. März 2025, 10:25
2004 habe ich Erinnerungen meines Vaters (1927-2004) aufgenommen. Das Transkript enthält auch längere Ausschnitte zum Ende des 2. Weltkriegs in Wien. Sie zeigen, wie unübersichtlich diese Zeit war, zumal seine Mutter, meine Großmutter, Jüdin war.
Kurzer Ausschnitt aus dem Transkript:
Am 13. Februar 1945 sind wir (im 10. Bezirk) ausgebombt worden. Von der Straße aus gesehen ist links eine Bombe rein, die Wohnung selbst war nur ganz leicht beschädigt, die Eingangstüre, Möbel, Geschirr und so weiter war alles intakt. Wir mussten raus und haben eine Zeit lang beim Stani-Onkel gewohnt, einige Tage, dann bekamen wir eine Zuweisung als Wohnobjekt – Geschädigte für ein großes Untermietzimmer bei der Frau Brezina, die damals ihren Mann im Felde als vermisst sah, der ist nicht mehr zurückgekommen. Ihre Mutter, ihr Sohn, der Walter, der ein, zwei Jahre jünger war als ich, wir haben uns sehr schnell angefreundet. Eine der Blödheiten meiner Mutter und meiner Schwester war, dass sie überall gesagt haben, dass wir jüdisch waren. Das mit dem Judenstempel war nur, weil meine Schwester in die Schule gegangen ist und, masochistischer weise mit dem Lehrer gesprochen hat. Das hat sie auch gemacht bei meiner Lehrfrau in der Schneiderei und auch bei der Frau Brezina. Wozu weiß ich nicht, deppert. Dass man das trotzdem überlebt hat, sind Zufälle. Dort war plötzlich eine ganz andere Situation hinsichtlich der Luftangriffe, dort sind keine Bomben gefallen. Das war in der Mariahilfer Straße. Während wir in Favoriten bei Fliegeralarm Karawanen von Menschen, Frauen mit Kinderwagen, Leute mit Rucksäcken, in die Stadt hineingehen gesehen haben, da gab es Katakomben. Die boten Schutz gegen die Bombenangriffe. Aber dort sind die Leute gestanden und haben geschaut. Dann hatten wir eine Zeit lang Durchfall, so eine Art Paratyphus, weil in Favoriten die Wasserzufuhr nicht mehr funktioniert hat, weil eine Rohrleitung von den Ziegelteichen gelegt war. Da hat man mit Kübeln Wasser geholt. Das hat ganz sauber ausgeschaut, war aber verseucht. Wir haben uns abgewechselt, aufs Klo zu gehen, was die Frau Brezina irritiert hat. Dann habe ich so eine Mittelfellentzündung gekriegt, beim Bombenangriff bin ich im Bett geblieben, weil ich ziemlich Fieber hatte. In den Keller bin ich nicht gegangen, die Wohnung war im 4. Stock. Die Ostfront näherte sich immer mehr Österreich und Wien. Wie dann Wien so halb eingekreist war um den 10. April herum und die Russen reingeschossen haben mit allen möglichen Kanonen, auch tagsüber, da wurde es den Leuten schon mulmig. Mein Eindruck damals war, lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Da war noch ein Erlebnis in diesen Tagen, dass ich mit meiner Mutter und anderen Frauen beim Eingang gestanden bin Mariahilfer Straße 115, und plötzlich „plack, plack, plack“ sind drei Geschosse eingeschlagen. Da waren ziemlich viele Menschen, zum Teil waren die angestellt bei Palmers, denn erst in den allerletzten Tagen wurde der Einkauf auf Textilien auf Marken freigegeben. Wir sind zurückgewichen in den Eingang, und dann bin ich nach vor, und der Staub, der sich dann senkte, und die Straße war menschenleer, innerhalb von Sekunden, und einige lagen am Boden und stöhnten. Das war gegenüber auf dem Gehsteig. Da bin ich rübergelaufen, wollte mich um einen Mann kümmern, doch der sagte: „Nein, meinen Buben zuerst“. Das war ein zirka 10-, 11jähriger Bub, der ist auch am Boden gelegen, den habe ich mir geschnappt, bin ins nächste Haus rein, der hatte einen Splitter im Hintern, das war nicht so schlimm. Der Mann wurde von einem älteren SA-Mann nachgebracht, da haben wir ihn auf ein paar Sesseln gelegt. Das Bombardement hat nicht aufgehört, da sind da noch mindestens vier Granaten eingeschlagen. Das war von den russischen Bodentruppen. Von einem Dachfenster oder von der Wohnung aus haben der Walter und ich auf den Laaerberg hingesehen, und da hat man Mündungsfeuer gesehen. Wir haben mit der Uhr gestoppt, wie lange es dauert bis man die Explosion hört. Das waren zehn Kilometer oder so.
In diesen Apriltagen bin ich in den Keller gegangen, und der Keller war sehr gut ausgestattet, das war ja ein nobles Haus, wir hatten es besonders gut. Da gab es ein etwas größeres Kellerabteil so als Hauptquartier, mit Tisch und Sesseln. Wir haben Karten gespielt, ich und einige Männer, und haben so die Zeit hinter uns gebracht. Dann gab es in diesem Haus einen Mann im ersten Stock, der war Besitzer eines Automatenbuffetts zwischen Kaiserstraße und Gürtel, der hat gesagt: „Kommt, ich zeige Euch was“. Da sind wir auf seinen Balkon hinausgerobbt und haben dem Krieg zugeschaut. Da war auf der Kaiserstraße ein Straßenbahnzug der Linie 5 abgestellt als Hemmung gegen die Angreifer. In dem Straßenbahnzug waren Russen, und die haben mit Maschinengewehren in Richtung Innere Stadt geschossen. Da ist zurückgeschossen worden, und da habe ich gesehen, wie zwei Rotarmisten einen Verwundeten in das Automatenbuffett geschleppt haben. Ich glaube, Schuster hat er geheißen. Da gab es in der Wohnung der Brezina gegenüber eine verwitwete Offiziersfrau, eine alte Dame, und die war eingesetzt von der Hausgemeinschaft als Luftschutzwartin, und die hat mich zu ihrem Stellvertreter ernannt. Da bin ich in dieser Funktion in der letzten Nacht noch, als die Russen bis zum Ring und Kai vorgestoßen sind, einige Male durch das Haus bis zum Dach. Beim ersten Mal ist ein Mann mit mir gegangen, der hat nach dem ersten Stock umgedreht, das war ihm zu gefährlich. Es war ein Feuerwerk sondergleichen. Da war die Gefahr eines Brandes groß. Frage: Was hätte man da tun können? Löschen und wenn nicht, zeitgerecht abhauen. In der gleichen Nacht ist im großen Eckhaus Webgasse ein Brand ausgebrochen, das hat lichterloh gebrannt, aus allen Fensteröffnungen heller Feuerschein, und unten vermummte Gestalten. Man hat sich ja dementsprechend angezogen. Am Tage vorher noch kommt der Schuster zu mir und sagt: „Wir haben da im Haus einen Herrn, der hat gerade verlauten lassen im Keller, er zieht eine SA-Uniform an und wird aus dem Fenster schießen, um den Tod zu suchen. Und kommen sie bitte her“. Und ich hatte einen Revolver, ich war bereit, den abzuknallen, wenn es sein müsste. Weil das ja gefährlich war, weil die unter Umständen dann mit schweren Geschützen geschossen hätten. Da ist der Herr Schuster tätig geworden, vielleicht hat er in mir den Abenteurer gesehen. Da sind wir rauf in den ersten Stock, sind rein in die Wohnung, die Türen mussten bei Fliegeralarm immer offen bleiben, da fanden wir den Mann, ein hagerer älterer Mann, 65 schätze ich jetzt mal, in Zivilkleidung. Der hat sofort begriffen, was wir wollen, und hat gesagt: „Na ja, ich komme schon“. In dieser Nacht, wo die Russen vorgestoßen sind, haben wir stundenlang ein Rumpeln gehört, das war ein russischer Panzer, der gegen einen Hydranten gefahren ist, der dann leicht umgebrochen ist, und dann stehen geblieben ist, der hat stundenlang geschossen, bis er selbst dann geknackt wurde. Das hat man am nächsten Tag gesehen, die Schussöffnung, die sind alle draufgegangen. Beim Abzug am Tag zuvor, wo das noch deutsch war, da haben die Deutschen in Grüppchen und einzeln, die Soldaten, das waren vorwiegend ältere, sich zurückgezogen Richtung Ring, und die Hausbesorgerin mit einem tschechischen Namen, ist mit einem Krug Wasser und einem Glas gestanden, und hat Wasser angeboten. Da ist einer stehen geblieben, der war so um die 40, mit sehr deutschen Akzent, der hat getrunken und hat gesagt: „Ich werde mein Leben so teuer als möglich verkaufen, ich habe noch zwei Handgranaten“. Dann ist er weiter gegangen. Wie dann die Russen da waren, ist dieselbe Hausbesorgerin gestanden und hat den Russen Wasser angeboten. Eine tüchtige Frau, sehr human.
Webseite
https://text-coaching.net/
Übersicht:
Besatzungsmächte , sonstiges
Bundesland:
Niederösterreich
Übersicht:
Gemeinsam erinnern