Fluchtgeschichten, Heimkehrer

Flucht, Vertreibung und Gefangenschaft

Von: Karolina | 24. März 2025, 23:02

Flucht vor den Russen.
Kriegsgefangenschaft.
Vertreibung aus Südmähren.
Überleben in Wien.

Ich bin 1953 geboren. Ich berichte über Erzählungen , die ich in meiner Kindheit in meiner Familie über die Zeit nach dem Krieg gehört habe.

  1. Die Geschichte meiner Mutter und ihrer Mutter, die 1945 vor den Russen flohen : Ein paar Jahre vorher waren sie aus Wien ins Burgenland gezogen. Jetzt flohen sie vor den Russen, über die man furchtbare Dinge hörte, konnten nur wenige Dinge mitnehmen und fuhren in einem Viehwaggon, der immer wieder an andere Züge angehängt wurde, mit anderen Familien an ein unbekanntes Ziel, wussten nie, wo sie am nächsten Tag aufwachen würden. Schließlich landeten sie in OÖ, wo die Amerikaner zuständig waren. Dort lebten sie jahrelang in einer Baracke. Geschichten auch von Luftangriffen, Sirenen und Tieffliegern und das Laufen zu einem Luftschutzkeller hörte ich. Von der Angst sprach meine Mutter, und dass sie aus Angst immer etwas essen musste. Es gab aber wenig, rationierte Lebensmittel, Butter, Brot, Mehl, Zucker nur mit Essensmarken. Sie konnte mit der Schneiderei Geld verdienen. Ihr Bruder war in Russland gefallen. Ihr Vater war aus politischen Gründen ein Jahr im Gefängnis. Darüber wurde nur flüsternd gesprochen, wir Kinder sollten das nicht hören. Ich ahnte etwas, wusste aber nicht Bescheid. Durch den Krieg ist mir meine Jugend gestohlen worden, sagte meine Mutter öfters. Wir konnten nicht wirklich leben. Sie war 1945 erst 22 Jahre alt.
  1. Die Geschichte meines Vaters, der 3 Jahre lang in russischer Kriegsgefangenschaft war: Er erzählte von Hunger, vom Stück Brot, das man einmal am Tag bekam, das sich zu einem winzigen Stück zusammendrücken ließ. Einige sparten sich das Brot auf, wurden dann aber bestohlen, was zu Streit führte. Eine ganz dünne Suppe mit nichts darin gab es auch. Viele Gefangene wurden krank, überlebten nicht. Er betonte aber immer, dass die Russen selbst auch sehr arm waren und nichts zu essen hatten. Schwere Arbeit musste geleistet werden. Davon wurde mein Vater später befreit, da er Techniker war, was die Russen sehr schätzten. Er sollte statt dessen aus alten kaputten Maschinenteilen etwas Neues bauen. Er musste ihnen sagen, dass dies nicht möglich ist . Seine Eltern erfuhren in einer kurzen Nachricht brieflich von ihm , dass er noch am Leben war. Er kam ausgehungert und mit aufgedunsenem Gesicht nach Wien zurück. Seine Mutter musste ihm den Essenstopf aus der Hand reißen, weil sie dachte, das plötzliche viele Essen werde ihm schaden. Er fand bald in OÖ Arbeit und lernte dort meine Mutter kennen. Gemeinsam zogen sie ca. 1950 nach Wien zurück. Sie hatten keine Wohnung, die Eltern meines Vaters zogen ins kleine Gartenhaus und überließen meinen Eltern die Zimmer-Küche Wohnung. Mit der Unterstützung meiner Mutter schloss mein Vater seine Ausbildung in der Abendschule neben seiner Arbeit ab. Sie las für ihn Bücher und erzählte ihm abends den Inhalt, wobei ihm schon die Augen zufielen. Meine Eltern mussten sehr sparsam leben, wollten die Kriegsjahre hinter sich lassen und eher vergessen, was gewesen ist.
  1. Die Geschichten der Verwandten meiner Mutter: Eine große Verwandtschaft, alle aus Südmähren stammend, aus demselben Dorf die meisten. Sie wurden 1945/46 von dort von den Tschechen vertrieben, viele zogen nach Deutschland, einige lebten dann im Weinviertel und einige in Wien. Sie haben alles verloren, ihr Haus, ihre Äcker oder Weingärten und litten darunter, ihre alte Heimat auch lange Zeit nicht besuchen zu können. Es gab ja den Eisernen Vorhang. Die Vertreibungen waren sehr brutal, Männer wurden eingesperrt und misshandelt.
Die Geschichte meiner Urgroßmutter wurde erzählt, die schon länger ihren Mann verloren hatte und etwas "seltsam" geworden war. Sie wollte ihr Haus nicht verlassen und wurde von den Tschechen vergewaltigt und erschlagen. Einige Menschen flohen zu Fuß, manche mit einem Pferdewagen, nur mit dem Notwendigsten in einer Tasche. Sie mussten sich ganz neu ihr Leben aufbauen.
Wir sind Heimatvertriebene, wir haben unsere Heimat verloren, das verstehst du nicht, sagten sie zu mir. Ich verstand als Kind die Zusammenhänge überhaupt nicht, es erklärte mir auch niemand. Zwischen den Verwandten gab es durch das Erlebte einen großen Zusammenhalt, sie kamen aus Deutschland oft in Wien zusammen, um sich über die alte Zeit und Heimat auszutauschen, es gab sogar ein Buch über ihr Heimatdorf. Meine Mutter erzählte auch über dieses Dorf, das sie als Kind immer im Sommer besucht hatte. Sie war gerne dort.
Meine Verwandten bekamen keine oder nur geringfügige Entschädigungen für das Verlorene, wenn, dann erst erst viele Jahre später.
  1. Die Geschichten der Eltern meines Vaters: Sie lebten in Wien, hatten einen kleinen Garten und konnten dort Hühner und Hasen halten, auch Gemüse anbauen. Daher litten sie weniger Hunger. Meine Großmutter hatte später noch die Angewohnheit, Gästen riesige Kuchenstücke anzubieten und sie immer wieder zum Essen aufzufordern, da sie annahm, jede(r) müsse wie in den Kriegs- und Nachkriegszeiten Hunger haben.
1945 erlebten die Großeltern die Luftangriffe und Zerstörungen, zum Glück passierte ihnen selbst nichts. Von der Ankunft der Russen 1945 hieß es, sie hätten sehr gewütet, alles mitgehen lassen, was sie brauchten, schon mehrere Uhren am Handgelenk, hatten sie noch mehr gefordert. Die Menschen hatten große Angst. Die jungen Frauen versteckten sich, wurden aber von den Russen gefunden und vergewaltigt.
Der Krieg ist etwas Schreckliches, sagte die Großmutter immer. Alles, nur kein Krieg darf mehr kommen!
Ja, dem kann ich mich nur anschließen !

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