Besatzungsmächte , Versorgung

2. Teil: Kriegsende mit russischer Besatzungsmacht

Von: Illi-2 | 22. April 2025, 11:28

Auszuge aus der Geschichte meiner Familie, die ich als Zeitzeuge (geboren 1933) für meine Kinder und Enkel geschrieben habe, um die Lebensumstände in früheren Zeiten nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Teil 2.

Das Kriegsende war eine gravierende Änderung. Ich kannte zuvor nichts anderes als das SN-Regime und ganz plötzlich war ich kein Hitlerjunge (Pimpf) mehr. Total ungewohnt und mir deshalb schwerfallend, war zum Beispiel die erforderliche andere Art des Grüßens, statt des alleinigen „Heil Hitler“ nun „Grüß Gott“, „Guten Morgen“ bzw. „Guten Abend“ oder sogar „Küss die Hand“! So passierte einem zum Beispiel oft noch lange, dass beim Eintritt des Lehrers in die Schulklasse automatisch die rechte Hand in die Höhe schnellte, so wie es einem jahrelang beigebracht wurde.
Man spürte eine allgemeine Veränderung der Stimmungslage, einerseits Freude, dass der Krieg zu Ende ist, andererseits aber Besorgnis, wie die Zukunft unter den Besatzungsmächten sein wird. Denn eine Verbesserung der Lebensumstände zeigte sich nicht, im Gegenteil, der Mangel an allem war noch gravierender. In meiner Erinnerung waren die nächsten zwei Jahre die härtesten, die ich erlebt habe. Wir Kinder mussten viel verantwortliche Tätigkeiten übernehmen, für die wir eigentlich noch zu jung waren. Aber dies erschien mir damals als selbstverständlich.

Als ich am Morgen des ersten „Friedenstages“ aus dem Fenster hinunter in unseren Hof schaute, blickte ich in die Mündung einer Kanone, die dort in einer frisch ausgehobenen Grube aufgestellt war. Darum herum zahlreiche russische Soldaten. Bald darauf ein stürmisches Klopfen an der Eingangstür unserer Wohnung und unsere ganze Familie stand voll Angst auf der anderen Seite. Erst viel später konnte ich ermessen, was für eine wahnsinnig schwierige, gefährliche Situation das für meine Eltern gewesen sein muss. Würde die Tür halten? Sollten wir besser öffnen? Was, wenn sie den Stößen nicht standhielt und die Russen dann nicht nur in der Wohnung, sondern auch noch verärgert wären? Glücklicherweise hat die Tür gehalten. Die Soldaten zogen weiter und verschafften sich wohl in anderen Wohnungen Einlass. Aber ein paar Tage später trommelten wieder Russen heftig an unsere Tür. Diesmal klärte unsere Großmutter die Situation souverän. Sie öffnete die Tür stellte sich vor die Russen, meinen dreijährigen Bruder auf dem Arm, und herrschte die Russen lautstark an, das Kind bräuchte Ruhe. Die Russen waren so perplex, dass sie betroffen zurückwichen, obwohl sie sicher kein Wort verstanden haben.

Meine siebzehn Jahr alte Schwester war zu dieser Zeit in der nahe liegenden Wohnung meiner Großmutter versteckt. Mit großem Entsetzen sahen wir gegenüber auf dem Balkon meiner Großmutter russische Soldaten. Ich wurde zur Erkundung hinübergeschickt, denn Kindern taten die Russen meist nichts. Ich hatte auch später nie Probleme mit ihnen. In Großmutters Wohnung hatte es sich ein russischer Offizier, wohl der Anführer der Russentruppe, in ihrem Bett bequem gemacht. Seine Bemühungen, die resolute Frau zu sich ins Bett zu bringen, waren erfolglos. Sie müsse sich doch um das leibliche Wohl seiner Leute kümmern, die müde und hungrig seien und was zum Essen bräuchten. Zahlreiche Soldaten hatten sich im anderen Zimmer der Wohnung, zumeist am Boden auf den Teppichen hockend, niedergelassen. In diesem Zimmer, in der Ecke hinter dem Kachelofen, war meine Schwester versteckt. Die Russen verlangten nach Alkohol. Meine Großmutter kam auf die Idee, mich dazu einzusetzen, die Russen zum Gasthof Dorn am anderen Ende der Stadt zu führen, von dem es hieß, dass es dort noch Schnaps gäbe. Die Aussicht auf Alkohol lockte sämtliche Soldaten aus der Wohnung und so geschah es, dass ich zwölfjähriger Stöpsel durch Leoben marschierte, hinter mir eine Schar alkoholgieriger russischer Soldaten und auch der Offizier war dabei. Währenddessen konnte meine Schwester, als alter Mann verkleidet, in unsere Wohnung zurückgebracht werden.

Nicht weit von unserer Wohnung war die Kaserne, in die nun die Russen eingezogen waren. Sie kannten wohl keine Toilette mit Spülung, damals noch mittels einer Ziehkette zu bedienen; deshalb wurde kolportiert, sie würden die von ihnen als „Strickzimmer“ bezeichnete Toilette auch zum Waschen benützen. Wie schon erwähnt, zumeist hatten sie Kinder gern. Ich konnte in der Kaserne problemlos aus- und eingehen, nutzte dies als große Chance, unsere Familie mit Essbarem, was sie mir meist freundlich zusteckten, zu versorgen. So wurde mir öfters meine 3-Liter-Milchkanne aus der Gulaschkanone vollgefüllt. Und beim Herumstreifen durch die Räume konnte ich herumliegende Brotreste einsammeln. Das hat uns nahrungsmäßig sehr geholfen, über diese Zeit hinwegzukommen.

Durch mein Herumstreichen in der russischen Kaserne habe ich mir aber auch Wanzen eingefangen, erkennbar durch blutige Flecken auf dem Betttuch. Das war alles eher als lustig! Wie wir sie bekämpft haben, weiß ich nicht mehr. Läuse, worunter viele klagten, hatte ich interessanterweise keine, wohl aber meine Schwester.

Ein Kuriosum: Wenn man in die amerikanische Besatzungszone einfuhr, wurde einem am Kragen zwischen die Kleidung mit einem Pulverzerstäuber das Infektionsmittel DDT hineingeblasen. So sorgfältig achteten die US-Amerikaner auf die Hygiene! Beim Übertritt von der englischen in die russische Zone wiederum wurden die Anzahl der Stempel im Pass gezählt. Wenn die Anzahl nicht stimmte, ich glaube elf oder zwölf waren vorgeschrieben, dann musste der Betroffene einen Tag für die Russen Holz hacken, wie mir erzählt wurde.

Die russische Besatzung „genossen“ wir drei Monate lang bis September 1945. Im Zuge der endgültigen Aufteilung Österreichs in vier Besatzungszonen kam die Steiermark jetzt in den Hoheitsbereich der Engländer. Damit versiegte das von mir besorgte Zusatzessen aus der Russenkaserne, so dass unsere Versorgungslage wieder schlechter wurde. Vor ihrem endgültigen Abzug leisteten die Russen noch „ganze Arbeit“, indem sie im Bestreben möglichst viel mitzunehmen, ganz einfach mit ihren Lastautos an die Häuser heranfuhren und aus den Fenstern der Wohnungen, die sie besetzt hatten, alles, was nicht angekettet war, Kleidung, Möbel, Lampen, etc., sah ich auf die Ladeflächen herunterfliegen, auch aus den obersten Stockwerken. Übrigens wäre es sehr unklug gewesen, damals auf der Straße eine Armbanduhr zu tragen, man kam mit Sicherheit ohne „Uri“ wieder nach Hause! Für mich ungefährlich, ich besaß noch keine Uhr. Das galt eben alles noch als Kriegsbeutegut, obwohl der Krieg eigentlich vorbei war. Ob sie mit diesen demolierten Dingen viel anfangen konnten, ist fraglich.

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