Literatur

Wo ich Muße fand

Von: Pleterski | 18. April 2020, 18:18

Was ich mir für die Zeit der Isolation von einem jahrelangen Aufenthalt auf einer mediterranen Insel abschaute und schließlich verinnerlichte (Otium, lat.) Die Freuden des einfachen dörflichen Lebensstiles in Corona Zeiten.

Wo ich Muße fand

Die Römer Plinius und Seneca kannten einen Ort, an dem das Otium, die Muße zuhause ist. Damit meinten sie die tätige Muße. Mit östlicher Entrückung oder Askese hat die tätige Muße nichts gemeinsam. Ihr wohnt eine irdische, eine römische Seele inne. Und die ist sinnlich.

Wichtig war den alten Römern auch der Ort, an dem sich das Otium entwickeln kann. Er ist ein „locus amoenus,“ ein hübscher Ort am Land wie man ihn in den sanften Hügeln Mittelitaliens findet.

Der Verzicht auf Wein, Weib und Gesang schien den Dichtern nicht erstrebenswert. Ich liebe sie, die alten Römer, ihre Auffassung vom idealen Leben, vom Wesen einfacher Genüsse. In der Corona Krise, die Italien wie kein anderes Land traf, waren die Bürger Italiens die ersten, die in der Quarantäne die Fensterflügel öffneten um gemeinsam zu singen.

Das Gegenteil von OTIUM ist NEGOTIUM, die Geschäftigkeit. Die Corona-Krise hat uns dieser Geschäftigkeit beraubt. Dies könnte gut sein, doch viele von uns haben die Geschäftigkeit so verinnerlicht, dass sie den ungewohnten Zustand der Ruhe, Leere und Stille nur schwer ertragen.

Ich lebe zurückgezogen am Land an einem "Locus Amoenus" und vertreibe mir die Zeit, in dem ich mit mir querfeldein Golf spiele. Ich weiß dass ich privilegiert bin, an diesem Fluchtort, der seit Generationen in der Familie ist und den alle verließen um in die Stadt zu ziehen, von der Geschäftigkeit verlockt

Vor zwanzig Jahren zog ich, in einer persönlichen Krise, auf eine mit Steineichen und Oliven bedeckte, dalmatinische Insel. Ich isolierte mich damals bewusst. Ich blieb viele Jahre.
Die Menschen dort sprechen kroatisch, doch sie haben eine römische Seele. Das geschäftige Leben, Negotium, haben sie erfolgreich hinter sich, in Amerika, in Deutschland und Österreich. Nun sind sie wieder daheim, verbringen auf ihrer Insel ihre alten Tage in.....ja worin? In tätiger Muße.

Sie sind sich ihrer Endlichkeit bewusst. Die nächste Ärztin ist so weit weg, dass sie, wird sie gerufen, meist nur den Tod feststellt. Die meisten Bewohner haben irgendein bescheidenes Grundeinkommen. Sie sind keine Heiligen, haben ihre Macken, können einander oft nicht leiden. Sind Menschen. Nicht Konsumenten. Sie bestellen ihren Garten, sie führen ein paar Schafe spazieren, fischen das Mittagessen am Morgen aus dem Meer. Sie speisen um zwölf, halten Siesta, spielen Boccia um fünf und Karten um sechs. Täglich, wenn die Fähre anlegt, stehen sie an der Mole. nur um zu schauen, wer ankommt.

Nichts zu bedürfen ist den Göttern vorbehalten. Wer wenig bedarf, ist ihnen nahe“ Lukian (170 n.Ch). Als göttergleich habe ich die Inselbewohner empfunden und versucht, es ihnen nach zu machen. Ich näherte mich an, fand Muße. Ich brauchte ungefähr zehn Jahre dazu.

Doch dann begann sich, so manches zu wenden. Es gab keine Kinder mehr, da die Jungen die Insel verließen um am Festland im Tourismus zu arbeiten. Die Schule machte zu. Die Göttergleichen starben und der letzte Bauer hörte zu arbeiten auf. „Der Käse wird nicht mehr“, sagte er. Das Geld für eine Investition in modernes Käsemachen fehlte. Besser, sagte er ist es, Zimmer an Touristen zu vermieten.

Man holte Gastarbeiter aus Bosnien, fleißige Leute. Sie eröffneten Gaststätten, ein kleines Geschäft, das neben Toastbrot auch Bademode verkauft. Sie schoben die alten Steinhäuser weg und bauten neue aus Beton. Und weil die Touristen immer noch ausblieben, bekam die Insel ein Festival. Zwischen Mittel Juli und Mitte August wurde es laut, Tag und Nacht. Und es roch nach pommes frites

Einer von den noch lebenden Alten, war mein Nachbar Franco. Seelenruhig saß er unter der Weinlaube vor seinem Haus, flickte die Netze oder klaubte die von den Wespen übrig gelassenen Weintrauben sauber aus. Je nach Stimmung hatte er, ging ich an der Laube vorbei eine Weisheit parat. „Take it easy“ sagte er, wenn ich mich über etwas beschwerte. Oder „Enjoy. Every day can be your last.“

Im Winter 2016 flog Franco zu seinen Kindern nach Amerika. Im Mai 2017 kam er wieder. Ob es schön war? Er schüttelte den Kopf. Es war dasselbe wie hier, nur teurer. Und das Essen? Saufraß. Die Kinder? Alle am Arbeiten. Er war den ganzen Tag allein, das sei er hier auch, nur viel schöner.

Im Sommer 2018 ist er gestorben. Er hätte ins Krankenhaus sollen. Die Maschinen drohten. Die Injektionen. Die Ärzte. Der Geruch. Das Siechtum. Er hat den Transport verweigert und seinen Tod frei gewählt. In der Weinlaube fanden sie ihn.

Was hätte Franco wohl zu Coron gesagt? Dasselbe wie die fünfzig Alten die noch auf der Insel leben: Regeln einhalten. Mundschutz verwenden. Hände waschen. Und wenn es Dich doch erwischt: Take it easy. Be sure. Some day will be your last.

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