Literatur, Kabarett

Das Abenteuer

Von: Maria Podlezak | 11. Mai 2020, 19:20

Da ein Van Gogh, dort eine Ente... Dinge wechseln den Besitzer, die Besitzerin.

Das Abenteuer

Jetzt hängt das Bild bei meinen Laufschuhen. Ich habe neben dem Kasten einen Korb, der ist voll mit Laufschuhen, dahinter an die Wand ist meine Beute genagelt, eine Ente. Kunstdruck/Italien/hinter Glas; etwas ausgebleicht und auch nicht recht teuer. Ich habe im Internet recherchiert. Nach wenigen Minuten konnte der Nullwert ermittelt werden. Der ideelle, der persönliche, der emotionale, der innere, nicht bezifferbare transkapitale Wert allerdings liegt etwas höher.

Ende März wurde ein Van Gogh gestohlen. Das ist finanziell von beeindruckenderer Bedeutung, vom künstlerischen Standpunkt betrachtet, zweifellos ebenfalls. Ich will aber meine Ente nicht beleidigen. Ein Druck, na gut, das mindert in jedem Fall.
Ich habe, wie neu-abnormal üblich, nachts die alte Donau umrundet, und nahe des untersten Zipfels laufe ich die Promenade, vorbei an der Häuschenzeile und eben nicht vorbei am Sperrmüll. Vor diesem Gärtchen-Türchen lehnen also Entenbild und leerer Holzrahmen. Lagerhaus oder Ikea, vermute ich. Holz, groß, nichts Altes. Es sind auch noch andere Sachen daneben gestanden, Holz-Jalousien beispielsweise, Brettlwerk und Stehlampenreste.
Es war dunkel, weil Nacht, es war kalt, weil Anfang April, sogar 1.April, was irgendwie witzig ist, und ich hatte zur dunkelblauen Mütze schwarze Hose, schwarze Jacke, Handschuhe an und einen Mund-Nasenschutz-Schalschlauch, schwarz, wegen Corona. Natürlich muss ich seltsam ausgesehen haben, ich war aber alleine. Heiß war mir auch, so kalt war es auch wieder nicht. Ich stehe vor Bild und Rahmen, denke: „Ah, Sperrmüll!“, nehme beides, sperrig, und laufe weiter. Ich laufe nun also mit einem gerahmten Entendruck-Bild und einem Holzrahmen, in Gedanken längst mit Selfmade-Kunst gefüllt, nach Hause. Das waren in etwa noch 5 Kilometer. Wenige Laufaugenblicke später ist mir der Van Gogh Diebstahl eingefallen. Wenn da jetzt jemand zur Krisenzeit zu Hause herumsäße und sich zuschüttete mit allem was den Titel ‚Nachrichten‘ oder ‚News‘ trägt, wüsste er jedenfalls vom Verbrechen an der Kunst. Dann dächte er sich, die Welt ist schlecht, die Menschen sind schlecht, aber bei uns, in Wien, in der Donaustadt, da an der schönen lieben, netten, kleinen unteren alten Donau ist die Welt noch in Ordnung und die Menschen sind gut. Alle sitzen brav zu Hause und schauen mit Maske Nachrichten, so wie unser Kanzler.
Der Jemand will einmal die gute neue frische Luft herein lassen und mit Sicherheitsabstand aus dem Fenster schauen : „… oh, wie schön, die Sterne kann ich sehen … Aber was ist denn das da unten? … auf dem kleinen Wegchen am Wasserchen unter unseren Laternchen? Ist da eine Polin nicht nach hause gefahren? Die muss noch abgeholt werden. Die stiehlt da noch in unserem schönen Ländchen mit dem lieben Kanzlerchen! 1450! 1450! Not! Not! Polizei! Kunstraub! Erschießen! Eine Verdächtige, sie trägt Vermummung!“
Gut, die Promenade hab ich überlebt, niemand hat aus dem Fenster geschossen, zwei große Straßen sind noch zu queren und eine Polizeistation zu passieren. Handschuhe ausziehen, die machen verdächtig. Kommen überhaupt Autos vorbei? Natürlich. Pro Straße eines, also gehen, nicht laufen. Selbstbewusst zum Fahrer blicken, Gesichtsschutz runter? Rauf? Was darf ich? Was muss ich? Was soll ich? Autos weg, beide. Beide, es war je ein Mann am Steuer, desinteressiert, beide, wahrscheinlich den Bericht über Van Gogh nicht gesehen, oder nicht gewusst, wer Van Gogh war, oder gewusst, wer Van Gogh war, aber wurscht? Egal, weiter, Polizeistation ist kameraüberwacht, also zumindest wieder eine Gehpause einlegen, besser nicht schwarz gekleidet, vermummt mit Bildern unter dem Arm vorbei laufen. Macht mich das Gehen verdächtig? … und so weiter.
Irgendwann bin ich zu Hause, ich lagere den Sperrmüll im Gartenkammerl, nicht im Haus. Das mache ich nicht aus juristischer Sorge. Nein! Ich sage nur: ‚CORONA‘! Vielleicht ist die Ente todbringend. Ich wasche mir gründlich die Hände, die Kleidung kommt sowieso in die Wäsche, und am folgenden Tag werden die Fundstücke gereinigt. Ich erzähle Erika mein Abenteuer. Interessant, bei Tageslicht und in Gesellschaft wirkt die ganze abenteuerliche Gefahr ein wenig lächerlich. Ich gehe in mein Zimmer und male ein buntes Bild.

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