Literatur

Supermarkt

Von: Der Einkauf im Supermarkt | 26. März 2020, 17:49

Eine alte Dame kommt mit ihrem Einkauf aus dem Supermarkt heraus und findet das Auto nicht. In ihrer Verzweiflung kommt ihr ein anderer Kunde zuhilfe, bis die Sache dann doch eskaliert...

Sie fuhr durch die Drehtüre aus dem Supermarkt heraus, langsam heraus. Beide Hände umfassten die Griffe am Gefährt. Der Rollator-Korb war vollgefüllt.
Unmittelbar vor dem Ende des Eingangsbereiches, in diesem Fall des Ausgangsbereiches, blieb die betagte Dame mit ihrem Wagerl stehen. Die Drehtüre blockierte. Einige Kunden wurden mit ihr eingeschlossen. Das merkte die alte Frau allerdings nicht. Ich kam bei ihr an. Sie blickte suchend herum, dann fragend zu mir gewandt: "Wenn ich nur wüsste, wo das Auto steht."
Ich konnte sie nicht so stehen lassen. "Ja was haben Sie denn für ein Auto" fragte ich sie. Sie schaute mich nachdenklich an und stellte fest: "Wenn ich das wüsste!"
"Kommen Sie etwas weiter, hier zur Seite" sagte ich zu ihr und nötigte sie, mit ihrem Rollator aus dem Ausgangsbereich wegzufahren, damit die inzwischen murrend und erboßt gestikulierenden anderen Kunden mit ihren Einkaufswagen ihre ungewollte Haft im Drehtürbereich verlassen konnten.
"Ich weiß nicht, wo das Auto steht" wiederholte sie und suchte mit trüben Blicken die Umgebung am Parkplatz ab.
Ich fragte sie nochmals, was sie für ein Auto habe.
"Na so ein kleines, aber mit vier Türen" fügte sie stolz hinzu.
"Welche Automarke ist es denn?" erkundigte ich mich. "Ein Opel, oder ein VW, oder ein Renault?"
"Das weiß ich nicht, - was Sie alles wissen wollen" empörte sie sich.
"Na, dann schauen wir halt einmal in den Autopapieren nach, sehen wir uns den Zulassungschein an" riet ich ihr.
"Ja, ja, - den Schein, schauen Sie nur."
"Den haben aber Sie" sagte ich zu ihr. "In der Handtasche vielleicht?"
Die Dame begann in ihrer Handtasche zu suchen. Sie kramte herum, gab auf, suchte in der linken Manteltasche, dann in der rechten. Dann blickte sie mich abwesend an und fragte: "Was suchen wir?"
"Den Zulassungsschein für Ihr Auto" antwortete ich.
Worauf sie mit der Suche wieder von vorne begann: erst durchwühlte sie wieder ihre Handtasche, dann stöberte sie in ihren Manteltaschen und zweifelte schließlich: "Hab ich sowas überhaupt?"
"Wenn Sie ein Auto haben, haben Sie bestimmt auch einen Zulassungsschein" klärte ich sie auf. In Anbetracht ihres hohen Alters und der damit verbundenen körperlichen Schwächen bot ich ihr an, "auf diesem Stockerl hier können Sie Platz nehmen" und half ihr, sich auf meiner Kühlbox niederzulassen. Diese ist sehr stabil, mit einem festen Deckel versehen, und ich habe sie immer dabei, wenn ich gekühlte oder tiefgefrohrene Ware zu kaufen beabsichtige.
Da saß sie nun. Ihren Rollator mit der Einkaufsware ließ sie nicht los. Ich hockte mich auf den Begrenzungsstein daneben und bedrängte sie weiter: "Wissen Sie, was für ein Kennzeichen Sie am Auto haben?"
"Ja wenn ich das wüsste, junger Mann, dann bräuchte ich Sie jetzt nicht" stellte sie logisch fest.
Der "junge Mann" brachte mich mit meinen guten Sechzigern etwas in Verlegenheit. Aber es ist halt alles relativ.
Als ich sie nach der Farbe des Autos fragte, ob sie diese wüsste, reagierte sie beleidigt: "Ja, freilich, was denken Sie von mir. Ich bin doch nicht blöd."
Und dann: "Ein graues Auto ist es."
Und als ich nochmals auf den Zulassungsschein zu sprechen kam, meinte sie entrüstet: "Na im Handschuhfach wird er halt sein, wo er hingehört!"
Eine Weile dachten wir gemeinsam nach und überlegten, was wohl getan werden konnte.
Aus dem Kaufhaus, welches auch ein Restaurant angeschlossen hatte, kam ein auch nicht mehr ganz junger Herr, in seiner Linken ein Tablett haltend, auf dem sich zwei Tassen Kaffee befanden, mit seiner Rechten stützte er sich auf einen Stock. Zittrig hielt er uns das Tablett herunter mit der Frage: "Kaffee?"
"Sie brauchen beide eine kleine Stärkung, denke ich."
Ich bedankte mich sehr freundlich und ergriffen, und reichte der alten Dame den Kaffee hin.
"Ist er heiß?" fragte sie, bevor sie vorsichtig daran zu schlürfen begann.
Es hatten sich inzwischen einige Schaulustige eingefunden und betrachteten diese Idylle, wie wir hier auf der Kühlbox, bzw. ich am Randstein sitzend, ein ebenso "betagter Kellner mit Stock" daneben stehend, Kaffeepause hielten.
"Was ist denn passiert?" erkundigte sich ein anteilnehmender Passant. "Ist ihr schlecht geworden?"
"Nein, ihr Auto findet sie im Moment nicht" klärte ich auf.
"Ihr Auta findts net, na so wos" entrüstete sich ein etwas jüngerer Zeitgenosse.
"Ah, des Auta habns ihr gstohln" rief ein anderer Mann.
"Dera Oitn haums des Auta gstohln" tat eine weitere weibliche Person kund.
Der Kreis der Interessenten wurde immer größer, die Mutmaßungen immer abenteuerlicher. Und so hieß es bald: "So a Gemeinheit, so a oide Frau auszuräubern. Und ihr a nu des Auto stehlen, Polizei! ruafts de Polizei."
Eine nicht ganz zarte, etwas korpulente, also eine schwer übergewichtige Frauensperson so um die Vierzig, äußerte sich, die Hände in ihre Hüften gestemmt: "De Hundsbeitl bring i um, waunn is dawisch!" Dabei kamen die Totenkopf- und andere reizvolle Tätowierungen an ihren Unterarmen gut zur Geltung.

Ein älterer Herr, sicher nicht jünger als die hier ruhende Dame auf der Kühlbox, näherte sich gemächlich, an einem Stock gehend. Unmittelbar vor uns "Kaffeepause Haltenden" blieb er freundlich lächelnd stehen und erkundigte sich: "Na, meine Liebe, hast eine neue Bekanntschaft gemacht? Und der Einkauf? Hast alles? Dann könnten wir ja gehen!"

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