Literatur

Weltenwertewende Teil3

Von: Dr. Ingeborg Wressnig | 3. April 2020, 17:57

Nicht nur für mich, sondern auch für die meisten Menschen, die nicht für das Überleben der Mitmenschen sorgen müssen.
Ich erstarre.
Wo Schatten ist muss auch Licht sein.

24. März

Heute ist Dienstag, Putztag. Der neue Milbenstaubsauger wird ausprobiert. Leider nicht von meiner Putzhilfe, der guten Seele, nein von mir.
Mutig hole ich beide, den Teppichsauger und Staubsauger aus der Garage. Eigentlich müsste ich die Pflanzen gießen, die noch immer unter künstlichem Licht ihren Winterschlaf verbringen.
Heute nicht. Ich habe ja noch drei Wochen Zeit.

Ich schmeiße die Sesseln hin und her, aus Wut wieder einmal für die Dreckarbeit zuständig zu sein. Die ganze Welt, vor allem mein Mann soll es hören, wie fleißig ich bin.
Was heißt da Dreckarbeit. Ein paar Haustiere hast du. Der Lungen Arzt hat dir einen Allergietest verpasst und er war positiv. Staub und Milbenalergie.

Wenn ich meine Vormittagsrunde im Wald drehe und mein langjähriger Hustenreiz durch den Wald schallt, laufen die wenigen Menschen, die mir entgegenkommen auf die andere Seite des Weges.
In der Krisenzeit habe ich Vorrang. Sonst der Radfahrer oder die jungen Menschen in Grüppchen, die mir entgegenkommen.

Die Maßnahmen wirken, meint die Regierung, aber es wird nach Ostern nicht zu Ende sein.
Danke, dass 95 Prozent der Bevölkerung sich an die Aufrufe der Regierung halten.
Danke an alle, die jetzt alles tun, um die Pandemie zu überwinden helfen.

Auch ich sage Dank und verneige mich vor denen, die jetzt für uns alle da sind um die hilfreichen Energien zu bündeln.
Mein Belohnungssystem funktioniert nach wie vor sehr gut. Nach zwei Stunden Haushaltsputz, bin ich stolz auf meine Entscheidungsfähigkeit und vor allem meine sauberen Teppiche und Böden.

Wenn das drei Wochen anhält, schaff ich das. Wenn das 3 Monate anhält fehlt mir die Phantasie für eine Antwort. Da kommt die Angst hoch.
Da hilft auch die Empfehlung der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie nicht mehr:
„Liebe Mitbürger/innen. Dass sie in Quarantäne mit ihren Pflanzen, Tieren und Haushaltsgeräten reden, ist normal. Deswegen müssen sie sich nicht bei uns melden. Eine fachliche Hilfe sollten sie erst aufsuchen, wenn diese ihnen anfangen zu antworten.“

Noch erheitert mich die Geschichte.
Vor allem diese:
Was hast du denn heute gemacht?
Gar nichts
Das hast du doch schon gestern gemacht.
Da bin ich nicht ganz fertig geworden.

Vielleicht sollte ich auch über eine Geschichte nachdenken, die nicht nur mich sondern auch andere in diesen Tagen aufzuheitern vermag.



25. März

Anpassung, ist die Kunst der Stunde.

Der Normalzustand ist vorbei.

Wo ist mein Pass, meine Identität, wer bin ich, wo will ich hin.

Das „guten Morgen“ zwischen meinem Mann und mir klingt traurig, erschöpft.

Die Angst wird stärker,
Die größte Fähigkeit in Krisenzeiten ist die Fähigkeit zur Kreativität im Sinne der Anpassung. Wo bist du, Helferin in der Not?

SOS : Mehr Geld für die Pflege zu Hause. Zu Hause geht es den Alten, Behinderten Kranken am besten. Noch bin ich kein Pflegefall. Das kann sich blitzartig ändern. Der Virus schlägt ein und das Pflegepersonal aus dem Osten darf nicht mehr über die Grenze.
Wer will schon in Österreich Altenpflege lernen.

Wo Schatten ist muss auch Licht sein.

Vielleicht bekommt dieser Beruf nun die öffentliche Würdigung, die ihm zusteht und das nötige Geld für interessante Aus und Weiterbildung. Meine Augen werden größer, die Hoffnung steigt.

Heute ist Schneefall angesagt.
Heute möchte ich keine negativen Nachrichten auf mich niederprasseln lassen.
Nur nicht stürzen beim Spazieren gehen. Nur nicht Radfahren. Noch achtsamer sein, auch im Haushalt.
Eines will ich auf keinen Fall, ins Spital, auf die Notfallambulanz gebracht werden.

Apropo, Tage der Besinnung. Ich lese gerade ein Zitat von Karl Valentin:

„Heute in mich gegangen. Auch nichts los.“

Der Schmerz ist nicht mehr zu bändigen, die Tränen kollern. Ich lausche dem Gefangenenchor von „Nabucco“ auf Youtube. Ein Quarantäne Konzert des Chors der Oper aus Rom.

„Flieg Gedanke, flieg….“ so besingen die in Babylon gefangenen Hebräer ihre verlorene Heimat. Ein Danke von den in Wohnungen eingesperrten Choristen an all die, die an vorderster Front gegen den Corona Virus kämpfen.

Weltweit mit allen unseren Sinnen schaffen wir die Kraft für Erneuerung nach der Pandemie zu bündeln.

Ich rufe meine Freundin an und bedanke mich, dass sie an mich gedacht hat. Sie hat ihren Mann voriges Jahr verloren und sitzt allein zu Hause. Ihre Tochter ist Neurochirurgin und arbeitet in mit Schutzmaske und Schutzkleidung auf der Intensivstation.




26. März 2020

Ich wunder mich über den ungewohnt langen Schlaf, der mir heute Nacht geschenkt wurde.
Neugierig ziehe ich an der Schnur der Jalousie und welche Überraschung, es schneit. Ich blicke über die schneebedeckten Dächer der Stadt. Der Frost passt zur Lebenssituation.

Die Wirtschaft fürchtet den totalen Zusammenbruch.
Mein Mann und die Großfamilie fürchten sich vor dem Ruin des Familienunternehmens. Seit 1873 hat das Warenhaus dank engagierter und mit unternehmerischen Fähigkeiten ausgestatteter Menschen, überlebt. Im Herzen der Stadt, als Begegnungsort für Menschen aus aller Welt gedient.
In zwei Wochen kann es aus sein. Nicht nur für die Investoren auch für alle Angestellten.

Ich drehe den Fernseher auf.

Eine weiße Kerze wird ins Fenster gestellt und entzündet. Ein Licht brennt.
Übertragung des Gottesdienstes in der Andreaskapelle des Bischofshauses. Der Erzbischof erscheint.

Der Friede sei mit Euch,

Danken und beten.
Erbarme dich Herr

Lesung aus dem Buch Exodus. Das Volk läuft ins Verderben. Herr warum ist dein Zorn gegen die Ägypter so groß?

Kinder würden andere Fragen stellen. Herr wozu soll das alles gut sein, wem soll es dienen.
Sie würden sich in Helden und Heldinnen verzaubern und gegen das Böse kämpfen und am Ende dieses besiegen.


27. März

Die Jetzigen Regeln werden noch bis frühesten Mitte Mai dauern.
Immerhin, bis zum Wonnemonat Mai.

Arm sind all die Menschen in kleinen Wohnungen, ohne Fernsicht, Balkon, so wie ich.
Auf engstem Raum, möglicherweise mit vielen Kindern, müssen sie ohne Gewalt
ihren Alltag ausbalancieren. Die Regierung kümmert sich um neue schnelle Ansprechpartner für: „Notfälle bei Gewalt.“
Ich denke an schwangere Frauen. Welche Ängste muß das Ungeborene bereits im Mutterleib mittragen.

Ich denke an „Die Rangordnung der Liebe“. Gerade in Krisenzeiten ist sie von großer Bedeutung:
Zuerst kommt der Schutz des Lebens. Das Alter allein darf nicht ausschlaggebend sein. Dann das möglichst beste Leben. Das jüngere System hat Vorrang, die Kinder brauchen die Eltern die Großeltern die Kinder. Die Kranken die Gesunden.
Wo Schatten ist muss auch Licht sein.

Die Natur erholt sich. Das Wasser wird klarer, die Luft besser, die Menschen bescheidener, dankbarer, höflicher.
Das Verbindende wird das Trennende besiegen. Hoffnung oder Naivität?

Ich bleibe noch auf meiner Terrasse. genieße das Licht. Noch drängt mich Nichts, weder innerlich noch äußerlich.
Mein Mann studiert die neuesten Nachrichten, weil wir die Hoffnung nicht verlieren dürfen.
Ich lasse meine Gedanken in den Computer fließen.
Arbeite an meinem Buch : „Vom Lachen zum Weinen und zurück“ weiter.


28. März

Mehr Infizierte, mehr Verletzte.
Sorgen sind wie Gespenster, nur wer an sie glaubt, fürchtet sich vor ihnen. (Bodo Schäfer) Stress entsteht im Kopf. Jedes Hormon ein Schauspieler, eine Schauspielerin. Lebensbedrohliche Herausforderungen bewirken Kampf und Fluchtreaktionen.

Nicht vergessen: Mindestabstand, Hände waschen, Kinderobsorge, Symptome, Freizeitaktivität. Ich vermisse die Seelenhygiene, die Anerkennung des „Zauberhaften“ im Leben und in uns.
Atem anhalten, Ruhe bewahren.

Der Papst, der Mann in Weiß und der leere Erdkreis.
Es regnet in Strömen. Es trommelt auf den Travertin. Papst Franziskus will trösten. Mit einem Gebet, einer Predigt und dem Segen: urbi et orbi.

Alles wartet, nicht unbedingt mehr auf Gott, sondern auf Medikamente und einen Impfstoff.

Das Gute im Schlechten: Nicht das Gegenüber, die Kultur, die Religionen, die Nationen, sondern der Virus ist der Feind.

Die kritische Phase beginnt zu Ostern. Derzeit nur 12 Asylwerber am Tag. Wohin geht die Wende?

Ist eine neue Wertewelt im Entstehen.

Sonntag 29. März

Ruhetag
Sekunden des Glücks, der Freiheit, ein Gefühl getragen zu werden.
Wer trägt mich?
Wen trage ich? Wer will von mir getragen werden? Wer verweigert sich, von mir getragen zu werden?

Die Sonne wärmt mich. Es wird Zeit, dass der Regen kommt. Bitte verlass uns nicht. Gerade in Krisenzeiten brauchen wir dich.

Eine Sonne so warm und weich wie auf der Pilgerfahrt nach Kataragama, und doch das wusste ich genau, Kataragama steht für einen ungewissen Ausgang.

Eine Rückenstärkung täte jetzt gut. Wo ist ein Glücksbringer?

Wo Schatten ist ,muss auch Licht sein.

Menschen in Kataragama kämpfen nicht mehr mit den Waffen des Krieges. Der Sufist behandelt alle als Brüder und Schwestern. Eine grundlegende Gleichheit als Mensch, die auch mir ich wünsche.
Am Ende bestimmt „Die Göttin über die Zeit“ alles. Aber vor dem Tod gibt es genügend Zeit für die Liebe, die Verbindung, die Vereinigung. Nur für die Liebe lohnt es sich durchs Feuer zu gehen. Das ist der Weg, den auch wir immer wieder aufs Neue suchen müssen.

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