Besatzungsmächte , Versorgung
Zuckerlamm und "Deutsches Schwein"
Von: Martha Pöll | 9. April 2025, 21:12
Erste 10 Lebensjahre unter russischer Besatzung in Mödling
Zuckerlamm und "deutsches Schwein"
Erinnerungen habe ich ab meinem dritten Lebensjahr, also ab 1948/49. Ich lebte mit meinen Eltern im Haus meines Großonkels, da das Haus meiner Eltern von russischen Soldaten in Beschlag genommen worden war. Die Miete mußten meine Eltern natürlich trotzdem bezahlen.
Die Russen, die auch in der Villa meines Großonkels die besten Räume belegten, waren für mich Alltag. Sie waren da und wohnten nur durch eine Tür getrennt im Haus. Eine Majorin wohnte in der Mansarde. Mit der durfte ich einkaufen gehen, auch in das USIA-Geschäft, das nur für Russen war. Und zu Ostern hat mir ein russischer Major ein Zuckerlamm geschenkt!
Auch in den Nachbarhäusern waren Russen mit ihren Familien einquartiert. Die Frauen waren alle dick und saßen bei warmem Wetter in violetter und hautfarbener Unterwäsche herum, auch auf den Wiesen im nahen Wald.
Ein kleiner russischer Bub im Nachbarhaus war in orginal russische Uniform gekleidet und wenn meine Mutter und ich vorbeigingen, rief er uns nach: "Du deutsches Schwein!" und warf Steine auf uns.
Aber in einem anderen Nachbarhaus war ein russisches Mädchen namens Olga ca. in meinem Alter und mit dem habe ich gespielt. Sie rief mich immer zum Zaun: "Majda idissuda!" Was hieß: "Magda, komm her!"
Mein Vater arbeitete in einem Installationsbüro für
Gas, Wasser und Elektro. Er war Ingenieur und die Firma mußte viel für die Besatzung arbeiten.
Da hat es immer Probleme mit der Verständigung gegeben, besonders beim Bezahlen. Darum hat mein Vater Russisch gelernt, privat, neben der Arbeit. Vielleicht hat er auch befürchtet, daß es später keinen eigenen Staat mehr geben würde und daß aus der Besatzung ein Dauerzustand wird. Er wurde oft, auch sonntags, von Russen mit dem Auto geholt. Oft waren es skurile Einsätze. "Es rinnt Wasser aus einem Kasten!" Daß der Kleiderkasten eine WC- Türe verdeckte und das Wasser dorther kam, wußte niemand. Denn das WC hat keiner jemals vermißt! Da hatten wir immer zu Hause etwas zu lachen.
Und die russischen Soldaten bezeichneten das WC als "Strickzimmer", da die Spülungen damals noch großteils mit Strick oder Kette zu bedienen waren. Als WC benutzt wurden bevorzugt Gärten oder Badewannen.
Ich erinnere mich an die von den Russen gespendeten Erbsen und Linsen, die wir am Küchentisch säubern mußten, bevor sie einer zweiten Säuberung im Wasser unterzogen wurden.
Meine Eltern hatten nach 1945 zuerst einen Schrebergarten, da wurde Gemüse angebaut. Später dann bauten sie das Gemüse im Garten hinter der Villa des Onkels an. Da waren auch viele Obstbäume und an der Hauswand ein Weinspalier. Wir konnten vieles vom eigenen Garten essen.
Das Einkaufen war sehr zeitaufwendig, man mußte überall Schlange stehen. Aber viele Geschäfte hatten auch am Sonntag vormittag offen z.B. das Milchgeschäft, die Trafik und auch das Zuckerlgeschäft meiner Oma. Anfangs, als es noch gar keine richtigen Waren gab, hat sie selbst Powidl gemacht und verkauft. Später gab es auch Orangen, die vor allem von den Russinnen gekauft wurden.
Und als 1955 dann alle abzogen, fielen die Russinnen meiner Oma unter Tränen um den Hals. Es hat ihnen sehr gut bei uns gefallen, glaube ich
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