Literatur

Tagebuchartige Einträge

Von: Verena Gotthardt | 27. März 2020, 15:35

Texte, die am Ende eines Tages entstehen.

20.März 2020

ich erinnere mich noch genau an letzte woche. es scheint mir so lange her zu sein. das draußen war noch weiter weg, als nur bis zu meinem fenster. zwei fliegen gesellen sich zu mir in mein zimmer. ich schaue sie eifersüchtig an. die freiheit zu haben in der sonne herum zu summen und sich in ein gebäude, in eine wohnung, in ein zimmer zu verirren, macht mich wütend. ich bewege meine arme wild um mich. raus. raus!



21.März 2020

einem alten mann angeboten für ihn einkaufen zu gehen, der mich nur misstrauisch angeschaut und sich gleich humpelnd von mir entfernt hat, nachdem er mir klar gemacht hat, dass »er die regeln befolge und nichts passieren könne, wenn man genug abstand einhalten würde«. ich bin dann zurück zu mir, die stufen hoch. gleich wieder runter – eine extra runde, dann wieder hoch. die türe geschlossen, gehofft, dass ich vergessen habe die post hoch zu bringen aber das habe ich nicht. die wochenzeitung unter meinem arm setzte ich mich auf den eingesessenen sessel in meinem zimmer. sitze heute schon viel tiefer, kommt mir vor.


22. März 2020

heute ist nichts geschehen. bin aufgewacht und habe so getan, als würde ich frühstücken. dann so getan, als würde ich sport machen und zu mittag so getan, als würde ich kochen und essen. viel später dann kaffee getrunken, obwohl ich doch faste. heute geht alles. heute ist wieder sonntag, so wie die ganze woche schon.


23.März 2020

der wind war heute das erste mal seit langem wieder richtig frostig. es tut in den augen weh. wie im winter vor acht jahren, wo einem noch kalt wurde. wie es aussieht, habe ich mich dazu entschieden einen kleinen garten auf meinem tisch zu pflanzen. vor einigen wochen gesehen, wie ananaspflanzen aussehen und seither nicht mehr aufhören können daran zu denken.


24. März 2020

wissen, dass sich heute nicht wirklich von gestern oder morgen unterscheidet und, dass das gras diesmal nirgendwo grüner ist, als vor der eigenen haustür.


25. März 2020

Samuel Beckett schreibt: ich fühle.


26. März 2020

ich weiß schon gar nicht mehr wie ich sitzen soll. zum lesen stehe ich immer öfter auf. lese an die wand gelehnt, irgendwo in meiner wohnung. am besten in der küche oder im bad. damit ich aus meinem zimmer raus komme. schaue so aus als würde ich auf den bus warten.

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