Literatur

Weltenwertewende Teil1

Von: Dr. Ingeborg Wressnig | 3. April 2020, 17:53

Nicht nur für mich, sondern auch für die meisten Menschen, die nicht für das Überleben der Mitmenschen sorgen müssen.
Ich erstarre.
Wo Schatten ist muss auch Licht sein.

„WELTENWERTEWENDE“

16. März
Ich sitze auf meiner kleinen Terrasse mit Blick auf Graz.

Heute ist es soweit:
Jetzt heißt`s „dahoambleiben“.
Nicht nur für mich, sondern auch für die meisten Menschen, die nicht für das Überleben der Mitmenschen sorgen müssen.
Ich erstarre.
Wo Schatten ist muss auch Licht sein.
Ein Geschenk Gottes oder ein Geschenk des Zufalls der Zusammenhänge.
Die Sonne scheint.
Das Vorhersagen für die zeitliche Entwicklung der Pandemie ist nahezu unmöglich. Auch wenn wir die Grenzen dicht machen, das Virus geht nicht an uns vorbei. Eine Naturkatastrophe ist eingetroffen. Eine gemeinsame Angst der „Nicht Existenz“ hat sich weltweitausgebreitet.
Totenstill ist es um mich herum. Kein Dröhnen der Stadt, kein Brummen der Flugzeuge. Keine Bewegung auf den Wetterpanoramabildern. Herrliche Berglandschaften ziehen, ohne Schifahrer an mir vorbei. Die Saison ist beendet. Alle Gäste werden gebeten das Land zu verlassen. Alle Österreicher/innen werden gebeten nach Hause zu kommen, falls das Land, indem sie sich befinden sie noch nach Hause fahren lässt.
Wo Schatten ist muss auch Licht sein.

Wir Menschen schießen nicht aufeinander, versuchen uns nicht mit Gehässigkeit und Profilierungsversuche auf Kosten andere zu inszenieren.
Das Volk schweißt sich Schritt für Schritt zusammen. Es funktioniert, selbst in einem demokratischen System, wie wir es in Österreich haben.
Wann hat das Parlament schon eine solche Diskussion gesehen? Wir stehen zusammen.
Das Engagement der Helfenden ist ein wunderbares beruhigendes Gefühl für mich, für uns alle. Es gibt Hoffnung, Vertrauen, psychische Widerstandskraft.
Traurig aber wahr. Wenn es ums Überleben geht entwickeln wir Achtsamkeit, Empathie, sind bereit zusammenzuhalten. Kaum ist das Überleben gesichert beginnt der Kampf um den Vorteil, dann ist uns wieder jedes Mittel recht.
Jetzt erst wird uns bewusst, dass wir alle auf der gleichen „Bühne des Lebens“ als ein Team auftreten müssen. Für meine Enkelkinder ist es eine Selbstverständlichkeit, dass „Das Gute“ über das „Böse“ siegt. Zauberkräfte und eine Träne der Freude dürfen dabei natürlich nicht fehlen. Gemeinsam werden sie als Heldinnen die Krise mit Freunden meistern. Ihre Fiktionen testen, ob sie im Kampf gegen den Feind hilfreich sind, oder schaden.
Ich gehöre zur Risikogruppe. Ich beobachte mich selbst. Woran glaubst du in der Krise. Wer oder was trägt dich, wer will und muss von dir getragen werden.

Der Zufall schenkt mir nicht nur Sonnenstrahlen, sondern auch Zeit mir Fragen zu stellen und auf Antworten zu warten.
Ich darf mein zu Hause genießen Dinge tun, die ich mir sonst nicht erlaube oder die ich wegen Faulheit ablehne.
Ich werde heute mehr Zeit als sonst im Badezimmer verbgingen.
Heute schenke ich der Pflege meines Körpers meine ganze Aufmerksamkeit.

Vielleicht folgt dann ein Spaziergang, die 500 Stufen der „Himmelsleiter“ auf den Hausberg.

Am Weg zu den 500 Stufen lese ich: „Bauen sie noch oder wohnen sie schon“.
Ein riesen Kran, ein tiefes Loch, ein Bagger.
Wenn die Verbreitung des Virus weiter so rasant steigt, muss sich die Baufirma einen neuen Slogan einfallen lassen.

Jetzt ist nämlich Entschleunigung angesagt. Besinnung auf das Wertvollste, das wir haben.
„Das Geschenk des Lebens“.
Ich danke meinen Eltern und all denen die vor mir da waren und mein Leben mitbestimmt haben und ich danke den vielen, die in der Krise für mich heute da sind.


17. März 2020

Das herrliche Licht von gestern ist nicht mehr vorhanden.
Gedämpfte Stimmung in meinem Herzen. Wie wird der Tag werden. Welche Nachrichten werden mir Angst machen.

Ein Freudenschrei entweicht meiner Kehle: Ich lese im Teletext.

Der IS empfiehlt seinen Anhängern das verseuchte Europa zu meiden.

Dem US Magazin „Homeland Security Today“ zufolge hatte der IS den Ausbruch des Virus in China zunächst noch als Strafe Gottes gefeiert.
Metamorphose der „Wahrheit“.
Schade, dass wir Menschen so oft stolpern und auf die Nase fallen müssen, bevor wir erkennen wie relativ unsere „Wahrheit“ ist.

Wie nütze ich heute die geschenkte Zeit.

Ich könnte einige Turnübungen mehr machen, länger Frühstücken auch länger Nachrichten schauen. Eigentlich brauch ich gar nicht aufstehen. Bis Mittag ist noch genug Zeit für einen Spaziergang. Vorher oder nachher darf ich dann den Geschirrspüler ausräumen und die Küche zusammenräumen.
Ich könnte für die Caritas Kleider und verjährten Spielesachen der Enkelkinder aussortieren.

Ich freue mich auf meinen Spaziergang. Frische Luft, relative Freiheit. Freiheit ist ja auch nicht viel mehr als eine Illusion. Wir brauchen sie aber, wer soll sonst für uns Verantwortung
übernehmen.

Ich darf die Schönheit, das Zauberhafte der Natur einfangen. Da und dort ein Foto schießen und am Nachmittag meine inneren Bilder mit Pinsel und Farbe auf die Leinwand verteilen.

Als Unternehmerin meines Lebens habe ich gelernt eine gute Balance zwischen Lust und Unlustprinzip zu finden, damit meine Lebenszufriedenheit wachsen kann.

Jetzt genieße ich den Tee, Toast mit Butter und bitterer Orangenmarmelade.

Bilder früherer Reisen huschen an mir vorbei. Erinnerungen an eine Gartenreise mit Freunden in Cornwall.
Sie sind nur eine der vielen Schätze, die in meiner inneren „Tankstelle der Zufriedenheit“ zum Anzapfen bereitstehen.

Die Kommunikation mit dem Partner ist in den letzten Tagen nicht leichter geworden. Jetzt erst merken wir, wie schnell wir uns mit unseren verschiedenen Verhaltensmustern auf die Nerven gehen.

Mein Mann bekommt Energie über die Nachricht der „Dummheit“ vieler Menschen.

Ich bekomme Energie über die Stille und Schönheit.

Beide brauchen wir aber einen Resonanzraum, indem wir Fragen stellen und Antworten bekommen können; und das alles noch auf respektvolle, wertschätzende, liebevolle Art und Weise.

Wie es Menschen auf engem Raum damit geht, möchte ich nicht miterleben. Nicht jetzt.

Ich warte bis aus der Stille in mir der Impuls für den nächsten Schritt kommt.

Die Kinder haben uns ein Video geschickt.
Wie es uns heute geht und was wir brauchen. Auch wenn wir auf Distanz sind, bleibt die Verbundenheit von Herz zu Herz, ein tröstlicher Gedanke.

18, März

Ich habe seit langem nicht mehr so gut geschlafen.

Vielleicht sollte ich doch einmal meinen Blutdruck messen.

Vielleicht mach ich mir in Zeiten der Krise weniger Stress als sonst?

Vielleicht ist es auch ein Gefühl von Schadenfreude, ein paradoxes Gefühl von „Gerechtigkeit“, das mich schlafen lässt.

Jeden, nicht nur mich kann der Virus treffen. In jeden Körper sich einschleichen und wenn er will diesen auch vernichten.

Die Regierung wirkt kompetent und bemüht sich ihr Bestes zu geben und verspricht niemanden zurück zu lassen. Möge es ihr gelingen. Sie hätte es sich verdient, wenn sie so weiter macht. Ein Team in der Krise. Ein Unterschied der einen Unterschied macht zu den Tagen davor. Da bestimmten Inszenierung, Abwertung, Klassenkampf und Dummheit den Diskurs im Parlament.

19. März

„Schau auf mich ich schau auf dich“

Heute haben auch die Vögel ihren Gesang eingestellt. Da und dort das Bellen eines Hundes.

Ich kann es nicht glauben, mein Mann geht spazieren. Eine halbe Stunde, so rief er vom Parterre in den ersten Stock herauf.



Wo Schatten ist muss auch Licht sein.

Ich habe keine Rückenschmerzen. Wie kann es sein, dass meine Faszien- Blockade so plötzlich verschwunden ist. Hat sie Angst vor dem Virus oder will sie mir helfen der schlimmen Zeit, die noch kommen wird, gelassener entgegenzublicken.

Vielleicht ist es auch das Vertrauen in die Zukunft, dass alles ein Ende hat. Auch die Pandemie,

Nur nicht aufgeben und zusammenhalten, predigt die Regierung.

Ich predige: Inge, täglich den Körper in Bewegung halten, den Geist herausfordern, die Seele baumeln lassen. Nur nicht krank werden und Spitalsbetten, die für den Viruspatient reserviert sind, unnötig belegen.

Noch genieße ich den Hausarrest. Ein Baum gegenüber beginnt seine weißen Blüten zu entfalten.

Wir schaffen es. Die Regierung stellt für die Wirtschaft ein Hilfspaket zur Verfügung. Arbeitsplätze müssen möglichst erhalten bleiben. 49000 Menschen haben sich in nur zwei Tagen arbeitslos gemeldet.

Wir gemeinsam Jetzt. Koste es was es wolle.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Homo sapiens so schnell bereit ist, sich zu ändern.
Die Chance zur Veränderung nützen, braucht seelische Anstrengung und wo nehmen wir diese Kraft so schnell her.

Auch bei mir zu Hause ist die Stimmung im Moment selten wohlwollend und unterstützend.

Wo Schatten ist ,muss auch Licht sein

In der Stadt, lese ich sind die Zigarettenstummeln auf den Gehsteigen und Plätzen nahezu ausgestorben. Angst vor der belastenden Vorerkrankung Angst vor dem Tod.

Keine entsorgten Fastfood Säcke in den Mistkübeln.
Angst vor dem Chinesischen Virus auf den eingeführten Lebensmitteln.

Wittgenstein hätte gesagt: „Macht euch nichts draus, ihr werdet es nie verstehen“.

Bedeutung kann sich in Sekunden ändern. Mehr Geld für die Türkei ist im Moment das geringere Übel.
Die Frage wer welche Grenzen schließt in Europa, um sich gegen illegale Einwanderer zu schützen hat wenig Bedeutung.

So schnell kann ein Sehnsuchtsland zu einem Höllenraum mutieren.

Selbst die von der Bettelmafia geschickten Sandler sind verschwunden.

Was werden wir lernen, was haben wir schon gelernt von denen, die vor uns den Notstand ausgerufen haben.
Was werde ich lernen. Was habe ich schon gelernt.

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