Literatur

Weltenwertewende Teil10

Von: Dr. Ingeborg Wressnig | 28. Mai 2020, 14:07

"Die Weltenwertewende." Ein Corona Tagebuch.

"Vom Lachen zum Weinen und wieder zurück."

"Wenn die Sucht nach dem „Paradies“ krank macht, kann das Bessere schnell zum Feind des Guten werden".

16. Mai
So ist der Mensch. Keiner will sich ändern.
So lange haben wir auf unser Bier gewartet, gejammert und uns nach den Menschen gesehnt.
Um 17 Uhr war der Stadtspaziergang geplant.
Um 16 Uhr fing es zu tröpfeln an.
Um 17 Uhr war es kühl.
Bequemlichkeit war angesagt. Neues Handeln wurde nicht riskiert.

Kaum ist das Überleben gesichert, schon spielen die eingeschliffenen Muster im Gehirn ihr gewohntes Netzwerk-Spiel.

Wo Schatten ist, muss auch Licht sein

Wer war ich „Dahoam“ im Lockdown?
Ich war ungeschminkt, kaum frisiert, eingehüllt in bequeme Kleidung. Ich war weder zu groß, noch zu klein, zu dick oder zu dünn, zu schön oder zu hässlich, krisenfest.
Im Unterschied zur Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek. Sichtlich war sie keine „gestandene Figur vom Fach und nicht genug krisenfest.“ Zitat: Herbert Föttinger.
„Kulturschaffende und Intellektuelle haben halt eine laute Stimme.“
Ja, wenn das Wörtchen „halt“ nicht wäre. Rechtzeitig den Mund zu halten ist auch eine Kunst. Viele Menschen hören ihren Tonfall in der Stimme nicht, wenn sie ihren Mund aufmachen.

Apropos Mund halten. Strache ist wieder da. Das haben wir noch gebraucht. Corona allein scheint zu wenig zu sein, zumindest in Straches Gehirn.
Jetzt ist es Zeit, dass ich meinen Mund halte, den Pinsel in die Farben tauche und das „Schatten und Licht“-Bild vollende. Wenn nur das, was fertig ist, auch vollendet wäre.


17. Mai
Heute kommt ein Neffe meines Mannes auf Besuch. Mit Pölstern und Decken ausgerüstet, geht es in den Gastgarten zum Höchwirt.
Ich wundere mich über meine eigene Lustlosigkeit, jetzt wo schon so vieles möglich ist und noch mehr möglich sein wird. Wenn die Seele nicht will, „hast ka Leiberl".

Wo Schatten ist, muss auch Licht sein

Beim Anblick des Wienerschnitzels tritt Beruhigung ein. Das Überleben war nach mathematischen Berechnungen bis auf weiteres gesichert. Ich bin froh, dass wir die Mathematiker haben. Sie berechnen die Dynamik der Ausbreitung und Eindämmung des Virus. In Sekundenschnelle liefern sie Ergebnisse darüber, wie sich Maßnahmen gegen den Virus auswirken. Es ist Zeit, sich für ihre unermüdlichen Dienste zu bedanken.

Für den Gesundheitsminister steht die Gesundheit im Mittelpunkt. Für Helmut Marko der Rennzirkus. Der Zirkus will auf keinen Fall zur Kenntnis nehmen, dass er in der Liste der lebensnotwendigen Dinge so ziemlich an letzter Stelle steht.
„Die ganze Welt wird sehen, was der Formel-1-Auftakt, was Österreich fähig ist zu leisten.“
Für mich als Psychotherapeutin steht die Körper-Geist-Seele-Einheit im Mittelpunkt und es
gibt für viele Menschen neben jedem Fachgebiet Dinge, die man einfach nicht macht.
Ich denke an das „Strache-Video“, an die Leiharbeitsfirmen, die Menschen wie Sklaven behandeln oder Personen, die sich wie hungrige Hyänen übergriffig und untergriffig in den Internetforen auf Menschen stürzen, um sie zu zerfetzen, weil man glaubt, sich im Zaubertrank der Genialität baden zu können, um die eigenen Unzulänglichkeiten zu kompensieren.
Angenommen, die Pandemie hätte uns zu diesem Thema die Augen ein wenig geöffnet, hätte Sigmund Freud seine Freude daran gehabt. Meine Projektionen von den Projektionen des Gegenübers zu unterscheiden, das ist wahrlich eine Kunst. Der Wille sich selbst zu hinterfragen, eine Seltenheit.

18. Mai
Ich weigere mich seit drei Tagen, spazieren zu gehen.
Ich könnte mein Buch, welches mich schon vor der Pandemie beschäftigt hat, vollenden.
Mein Buch „Vom Lachen zum Weinen und zurück“ ist ein gesellschaftskritisches Märchen, in dem das Vorbild der Kinder uns lehrt, die Angst vor dem Fremden in uns selbstkritisch zu hinterfragen.

Genug ist genug.
Am frühen Morgen durchbohren, unter extremem Lärm, die Männer der Firma „Trockenleger“ unsere Betondecke, um ein Loch für einen Eingang zu unserer Dusche ins Badezimmer im 1. Stock zu finden. Alle Leitungen sind leck.
Vielleicht hätte uns eine Corona-Infektion nicht nur diesen durch Mark und Bein dringenden Lärm, sondern auch viel Geld erspart. Unser Haus ist sichtlich für 70 Jahre gebaut worden. Jetzt muss alles renoviert werden. Nächste Woche kommt die Holzfassade dran. Wir sind einfach zu alt geworden.

Wo Schatten ist, muss auch Licht sein

Wenn wir beiden „Oldies“ noch eine Zeit lang durchhalten, könnten Politiker aus der Krise gelernt haben. Sie könnten das Prinzip „Mobile Pflege vor Stationärer Pflege“ ernst genug genommen haben und wir könnten uns eine gut ausgebildete Pflegerin leisten, die stolz auf ihren Beruf ist und nicht ihre Familie zurücklassen muß.

Wo Schatten ist, muss auch Licht sein

Die Kinder dürfen wieder zur Schule gehen, ihre Freunde treffen, spielen.

Ich rufe meinen Bruder in Wien an. Gerald, falls du nach Graz kommen möchtest, wir könnten den Geburtstag von unserem Bruder Rudi feiern.
Gesagt, getan. Er kommt zu Christi Himmelfahrt.
O.k. Ich ruf die Oberschwester vom Altersheim meines Bruders an, vielleicht habe ich eine Chance, meinen Bruder aus dem Heim zu bekommen.
Oberschwester Sonja, darf ich am Mittwoch, am Nachmittag meinen Bruder für zwei Stunden zu mir nach Hause holen? Wir Geschwister möchten auf seinen Geburtstag anstoßen. Ich verspreche Ihnen, er wird unser Haus nicht betreten. Vom Parkplatz gehen wir direkt auf die Terrasse. Wir sitzen in großen Abständen, Desinfektionsmittel und ein paar Brötchen, eine Flasche Wein und eine Geburtstagstorte werden am Tisch stehen.

Wo Schatten ist, muss auch Licht sein

Wir Menschen haben ein Recht, einen Raum, den wir betreten, so vorzufinden, dass Geist, Körper, Seele in ihm gesund bleiben.
Schwester Sylvia gibt das OK. Ich freue mich auf unser „Geschwister-Treffen“. Mein Mann hat bereits die Geburtstagstorte bestellt. „Liebe Sonne scheine“. Hilf uns, unsere Herzen zu erwärmen, das Zauberhafte im Leben in uns zu speichern.

19. Mai
Das erste Klassentreffen der Kinder ist geglückt.
Heute ist Schluss mit dem Zuhausebleiben. Frisches Brot vom Bauernmarkt steigert die Gaumenfreuden. Wanderschuhe eingepackt und los geht’s, rund um die Platte. Der Waldboden verbreitete einen herrlich erdigen Duft. Margeritenwiesen säumen meinen Wanderweg. Die Holzbank zum Verweilen, ist frei. Ich beobachte die Kühe und Pferde auf ihrer Weide. Ich sehe weit und breit keinen Zaun. Die Tiere bleiben auf Abstand. Kein Tier stört das andere. Die Sonne kommt hinter den Wolken hervor und verzaubert die Landschaft in ein Bild von Licht und Schatten.
Ich freue mich auf die heiße Paradeissuppe, die mein Mann für Mittag vorbereitet hat. Ich höre ein Flugzeug und genieße mein Alter. Ich möchte weder für die AUA, noch als Politiker für das Dilemma in Österreich jetzt verantwortlich sein. Was mich im Moment weiterbringt, sind meine Wanderstöcke und meine Entscheidung, den Spaziergang fortsetzen zu wollen.


20. Mai
Jetzt beginnt der Streit um die Antikörpertests.
Merkel und Macron wollen den Weg in der EU mit einer „Schuldengemeinschaft“ vorgeben. Kanzler Kurz als Mitglied der „sparsamen Vier“ ist dagegen. Wie wird es mit dem EU-Budget weitergehen? Gier muss durch eindeutige Regeln oder Obergrenzen verhindert werden. Der „Wirtschaftsrucksack“ wird immer größer und schwerer. Der Gipfel kaum zu erreichen.

Wird uns ihr Medikament retten, Herr Penninger?

Wer oder was rettet mich? Morgen ist Christi Himmelfahrt, nicht nur für Jesus, sondern für alle Menschen. Die Christen feiern die Rückkehr Jesu Christi zu seinem Vater im Himmel.
Davor müssen die Menschen aber noch den Teufel in die Hölle jagen.
Welchen Teufel muss ich in mir verjagen, um in den Himmel aufgenommen zu werden? Die Angst vor der Ansteckung, vor dem Dahinsiechen muss ich besiegen.

Wo Schatten ist, muss auch Licht sein

Ich habe eine Patientenverfügung unterschrieben, noch bin ich nicht krank, vielleicht infiziert, aber lebenslustig.
Morgen wird es warm, die Sonne wird scheinen. Mein Bruder wird zum ersten Mal das Heim verlassen können und mein anderer Bruder von Wien anreisen. Seit Jahren hatten wir kein Geschwistertreffen zu dritt. Noch dazu mit einem eigenen Butler, meinem Mann.

Übersicht:
Literatur

Übersicht:
Ö1 Kulturforum