Bühne

In den Scherben käuflicher Glückseligkeit

Von: Gabriele Kögl | 14. Mai 2020, 13:28

Jakob und Anja leben zurückgezogen in einer feindlichen Welt. Als sie plötzlich Gutscheine bekommen, möchte Anja diese Gutscheine einlösen. Sie erfahren, was sich im öffentlichen Raum verändert hat und unter welchen Bedingungen man nun überlebt.

anja:
immerhin habe ich gutscheine bekommen!

humpelnde frau äfft sie nach:
aha, sie haben gutscheine
bekommen...wir haben alle mit gutscheinen
angefangen...anfangs lassen wir uns
freiwillig quälen, weil es nichts kostet...
gutscheine täuschen immer vor,
dass sie nichts kosten...
und bis wir bemerkt haben,
wie teuer sie sind,
haben wir den preis längst bezahlt...
schauen sie mich an...
na, wie habe ich mich ausgestattet?
wie komme ich rüber?
tschibo hat mich hinausgestattet,
mit seinem out-door-design

früher bin ich da auch hineingegangen

...mit aufrechtem gang...
so wie es sich gehört...mit einem fuß, den ich
vor den anderen gesetzt habe...

sie klackt mit der krücke, den gang vorzeigend

ich habe es mir gründlich besorgt:
vom apfelspalter über den müslispender,
vom körperfettrechner bis zum batterientester,
vom felgenbaum bis zu den bettsocken...
ich habe nichts ausgelassen,
was mein unbefriedigtes leben hätte erleichtern können...
ich war süchtig nach praktischen dingen,
ich war süchtig nach praktisch allen dingen,
ich war süchtig nach praktisch allem,
was ein ding war...
ich habe mir müsli gekauft,
weil ich einen müslispender hatte,
ich habe mir ein auto gekauft für den
felgenbaum...ich habe pures fett gegessen,
um dem körperfettrechner eine lebensberechtigung zu geben...

sie atmet schwer, ist überwältigt von der erkenntnis
als ich meine sucht erkannte,
war es bereits zu spät...

sie sieht anja eindringlich an

und wissen sie, womit es begonnen hat?
mit einem gutschein...
für eine schale löskaffee...

anja fragt betroffen, etwas verlegen:
und wie ist das... mit den ... krücken...
passiert?

humpelnde frau:
wer einen job macht, so wie ich,
der hat sich die härte seines brotes längst
zum verdienst gemacht...
ich habe mich bis zu einer
manuellen küchenmaschine verdingt...
lassen sie ihre zunge im mund zergehen
und stellen sie sich eine
manuelle küchenmaschine vor...
ob ich mit der kraft meiner hände den kochlöffel antreibe
oder mit einer kurbel, die den kochlöffel antreibt,
wo bleibt da der unterschied,
der einen kauf dieses gerätes rechtfertigen würde...
und trotzdem...bis in meinen ruin hinein habe ich mich
von meiner sucht nach praktischem ausbeuten lassen,
und nun stehe ich hier und kann nicht anders...
ich muss zugeben, dass mir diese nutzlose praxis
zur religion geworden war...

anja:
das ist alles nicht schön,
und noch weniger ist es gut,
aber wie sind sie zu ihrem so
überzeugend dargestellten
krüppeldasein gekommen...
zu dieser meisterhaften behinderung,
wenn ich es meinem eindruck angemessen
ausdrücken darf...

humpelnde frau:
ich bin der neuen verkaufsstrategie zum opfer gefallen...
man musste für die kunden,
die man soweit ausgelaugt hatte,
dass sie gestrandet waren,
eine neue strategie entwickeln...
man musste sie wieder auf die beine stellen,
zumindest so weit,
dass sie wieder konsumieren können...
man hat krücken und rollstühle genommen...
man hat sie jeden angemessenen preis verspottend
ins programm genommen...
man hat schuhe mit doppelten böden versohlt,
damit sie einen klumpfuß vortäuschen sollen...
man hat die klientel mit unschlagbaren preisen verhöhnt...
man wollte den kunden wieder auf die beine helfen,
nachdem man sie bis zum umfallen ausgesaugt hatte,
man wollte sie als konsumenten nicht verlieren...
und dass mit bettelei ein gutes geschäft zu machen sei,
ist eine alte weisheit,
die sich täglich beweist,
die sogar in einer billigen oper
erfolgreich ihren zuschlag bekommen hat...

anja :
dieser art des geldverdienens könnte man sich
doch gleich anschließen,
ohne die art des umwegs
über den kaufrausch zu gehen...

humpelnde frau:
meine widerstandskraft hat mich
lahm gemacht...nun erhumple ich mir
mein leben...

anja ist irgendwie begeistert:
gutsein mit gutscheinen,
das wäre die lösung für meine losung...
ich könnte sie einlösen,
ohne mich durch meine bedürfnisse minimieren zu lassen...
ich erstehe mir einfach einen rollstuhl,
ich laufe fahrend durch die welt...
jede schiefe ebene wird mir ein
brauchbares hindernis sein...
ich werde ausdruck heucheln,
ich werde beeindruckend sein...
ich kaufe mir praktisch mit meinen gutscheinen
die ausstattung für meine weitere existenz...
ich zerlege sie in eine arbeitsmaschine
wie in ein portfolio von aktien...
ich fange gleich dort an,
wo SIE aufgehört haben...
ich werde IHRE fehler nicht machen,
ich werde aus aus IHREN fehlern lernen...
ich werde von anfang an dort beginnen,
wo SIE aufgehört haben
ich werde versuchen, mich auf den umgekehrten
weg zu bringen...
meine zukunft wird in einem silbrig glänzenden rollstuhl auslaufen...
ich werde die echten gefühle meiner mitmenschen
an mir vorbeiziehen lassen und ihnen
gute gelegenheiten für ihre gewissenserleichterung geben.

die humpelnde frau läuft weiter hin und her, sie verläuft sich richtiggehend auf ihrem arbeitsgerät... sie macht es derartig geschickt, als hätte sie nicht nur die fähigkeit zu einem aufrechten gang, sondern auch den sinn für jede orientierung verloren:
sie brauchen uns...
sie brauchen uns wie den täglichen hummer...
sie brauchen uns für ihre gewissenserleichterung...
wir sind sozial ausgerichtete behelfseinrichtungen...
wir sind soziale gesichtspunkte...
wir verhindern das platzen von kapitalanlegerkörpern
wir erschweren das bersten von aktienhändlerköpfen...
wir sind das ausgelagerte gewissen...
wir sind beichte und absolution zugleich...
wir sind eine zur erleichterung vorgesehene
einschlägige einrichtung...

anja:
aber ein schlag gegen das gehirn
muss nicht gleich in einem gehirnschlag enden...
es spielen sich noch ganz andere kritierien
in einem kritischen rollenverhalten ab...
da könnte ein jeder daherkommen
und einen x-beliebigen konzernkörper verantwortlich machen
für sein dissonantes lebenskonzert...
ich meine, nicht jede kakophonie ist auf dem mist
eines musikkonzerns gewachsen...

humpelnde frau:
als angeborener ästhetin...
als reine denkerin... bin ich
immer für saubere
lösungen gewesen ...aber wenn verkaufs- und
gewinnkonzepte wie viren
übertragen werden, dann bekomme ich es
mit dem virus der angstmacherei zu tun...irgendwann
wird der virus den ganzen wirt
gefressen haben...der tod des wirts ist das
ende einer jeder jausenstation, da kann einer noch soviel
ausgeben wollen für einen
anständigen happen...

anja:
man muß konsequent im denken sein
und dort aufhören,
wo der gedanke am schönsten ist...
ein gutes ende ist immer eine illusion,
weil wir nichts als gut empfinden,
wenn es endet...

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