Literatur
Budapest - das nähere Paris
Von: Qualti | 12. Juni 2020, 08:08
Mit Worten zu den verschiedensten Orten. Heute steht Budapest auf dem Programm.
Das Paris des Ostens liegt anders als das echte Paris oder das des Nahen Ostens noch viel näher an Wien. Die Bauweise in Budapest ist der von Paris so ähnlich, dass selbst Gustav Eiffel seinen Turm als Donaubrücke zwischen den Ufern von Pest und Buda legte und so mit der Margaretheninsel architektonisch verband. Aber es sind die kleinen Dinge die Budapest zu dem Paris werden lassen, das die Konsumenten der Filmindustrie glauben lässt, an der Seine zu sein. Ich wartete unlängst in einer Straße im 13ten Bezirk auf einen Termin - während Corona wartet man nun einmal draußen - als ich eine Szene sah, die an einen Pariser Filmdreh erinnerte. Der Gehsteig verschmälerte sich kurz vor mir durch einen Hausvorsprung, der eine drei Meter breite und 10 Meter hohe Wand ins Blickfeld springen ließ. Diese exponierte Stelle war natürlich von einem Künstler bemalt. Sie zeigte eine 8 Meter lange Frau, die gemütlich stehend in einem adretten Minirock ein Buch ohne Titel las. Ihrem gemalten Schatten nach handelte es sich um einen Thriller. Ich als Statist - oder in dieser kurzen Beschreibung als Hauptcharakter - blickte mich weiter um und merkte, dass ich unbewusst hinter einem lässig am Gehsteig abgestellten Motorrad zum warten gekommen war. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand ein Anzugträger dessen Blick sich nach oben zu einer jungen Dame im dritten Stock richtete. Keine Worte. Nur Blicke, die wahrscheinlich einer Whatsappkommunikation gefolgt waren. Die Frau in einem cremefarbenen schicken Kleid war über die Fensterbrüstung gebeugt. Sie schien zu überlegen. Ihr Blick schweifte vom Anzugträger zu mir und sie begann, sich dem Zuschauer der Szene gewahr werdend zu lächeln. Einem inneren Ruck folgend, verschwand sie hinter dem weißen Vorhang um kurz darauf wieder mit einem Gegenstand aufzutauchen, der in ein Taschentuch eingewickelt war. Sie steckte dieses Knäuel in ein Sackerl, beugte sich noch einmal über den Fenstersims um zu sehen, dass nur der Anzugträger direkt unter ihr stand und schickte den Inhalt ihrer Hand nach unten. Dieser flog langsam nach links driftend nach unten. Der Anzugträger hob das Sackerl auf, grüßte die Dame am Fenster noch einmal mit einem Nicken und ging seines Weges. Er schien das Mädchen entweder schon so gut zu kennen, dass er sich die drei Stockwerke gespart hatte, die ihm vielleicht einen erneuten Abschiedskuss des Mädchens gebracht hätten. Oder aber er kannte sie noch so wenig, dass der Kuss - in Coronazeiten dauern Annäherungen nun noch länger - sowieso flach gefallen wäre und unerreichbar. So schnell die Szene begonnen hatte, so schnell war sie vorbei. Paris ist eine Idee, eine spezifische Vorstellung, wie es über jeden Ort eine gibt oder sie entwickelt werden kann. Für mich war es diese Szene, vor einem Motorrad stehend von einer an die Wand gemalten Frau auf ein Pärchen zu schauen, dass drei Stockwerke trennte und die doch irgendwie verbunden waren.
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