Literatur

Tagebuchartige Einträge III

Von: Verena Gotthardt | 9. April 2020, 21:14

Texte, die am Ende eines Tages entstehen

3. April 2020

ich liege also da, diesmal draußen auf dem balkon – kalt ist’s, aber damit muss man rechnen, wenn man im april auf dem steinboden liegt – und schaue den wolken zu. zum ersten mal seit langer zeit. ich schaue so richtig lange zu. bis es dunkel wird. dann erst stehe ich auf und muss husten.


4. April 2020

ich schaue raus aus dem fenster und rein bei den nachbarn und sie schauen raus aus dem fenster und rein bei mir. wir wissen genau wann wir zu mittag zum essen das zimmer verlassen um in die küche zu gehen.



5. April 2020

war kurz draußen. habe bemerkt, dass die blumen blühen und die sträucher und die wiesen und die bäume: so bunt. mich sofort gewundert, dass der frühling also wirklich nicht auf uns wartet.


6. April 2020

heute einen brief gelesen: lieber onkel, du musst bestimmt schon böse sein, dass ich nichts von mir hören lasse, aber was gibt es schon zu schreiben.


7. April 2020

endlich, so etwas wie eine routine gefunden. obwohl jeden morgen die selbe frage aufkommt: »ok und jetzt?«


8. April 2020

wenn man also auf die straße geht um sich in seiner nachbarschaft die füße zu vertreten, dann bleibt man vor den stammplätzen stehen und zeigt mit dem finger hin und denkt sich: »da bin ich immer gesessen« oder »dort! dort habe ich meine jugend verbracht« oder »ich kann mich noch erinnern – letztes jahr zu dieser zeit ein eis gegessen. genau da«.


9. April 2020

sozusagen leben wir seit kurzem in der vergangenheit. schauen uns noch einmal bilder vom letzten sommer an, als wäre es das jetzt gewesen.

Übersicht:
Literatur

Übersicht:
Ö1 Kulturforum