Literatur

Weltenwertewende Teil8

Von: Dr. Ingeborg Wressnig | 7. Mai 2020, 13:58

"Die Weltenwertewende." Ein Corona Tagebuch.

"Vom Lachen zum Weinen und wieder zurück."

"Wenn die Sucht nach dem „Paradies“ krank macht, kann das Bessere schnell zum Feind des Guten werden".

1. Mai

Der Tag der Arbeit gleicht mehr einem Tag der Arbeitslosigkeit. Auch die Maibäume wachsen heuer nicht in den Himmel.
„Es ist Zeit aufzuwachen und die richtigen Schlüsse zu ziehen.“

Die Krise zwingt uns dazu, uns neu zu definieren. Wir erkennen, dass der Nationale Schulterschluss auch ohne Sozialdemokratie geformt werden kann. Die Zeiten sind anders.

Wo Schatten ist, muss auch Licht sein.

Wer oder Was hält das Gesundheits, das Wirtschaftssystem am Laufen?
Wir brauchen nicht nur nationale sondern vor allem europäische und dann internationale Solidarität.
Jetzt gilt es „das Tal der wirtschaftlichen Tränen“ zu durchreiten.

Das Lied der Arbeit vor 150 Jahren, wo die Arbeit als „Hohe Braut „verehrt wurde, bekommt bei Menschen, die im Moment keinen Arbeitsplatz haben wieder einen würdigen Platz. Der Bräutigam müsste aber der Braut und umgekehrt die Braut dem Bräutigam helfen, das jeweils Beste was im Gegenüber steckt zu entdecken und zur Entfaltung zu bringen.

Wo Schatten ist, muss auch Licht sein.

Nach der digitalen Sturm und Drangphase, werden wir uns wieder nach der analogen Qualität des miteinander sehnen.
Ich bin schon lange so weit.
Ich sehne mich nach realen Erlebnissen, Gesichtern, Momente der Verbundenheit mit meinen Kindern, Enkeln, Freunden,
der morgigen Öffnung bei Kastner und Öhler und dem glücklichen Strahlen in den Augen meines Mannes.

Gleich am Morgen wasche ich die Wäsche, sauge die Teppiche, mache in der Küche Ordnung, bevor das Abenteuer „Grazer Stadtbummel“ beginnt.
Eine Mischung zwischen Angst und Freude macht sich in mir bemerkbar. Angst vor leeren Straßen und Geschäften. Freude über die Begegnung mit dem einen oder anderen Verkäufer, Verkäuferin, die ich schon seit 40 Jahren kenne. Ein Wiedersehen, dass bis vor kurzem noch unrealistisch schien.
Der Anblick des Portiers mit seinem Mundschutz in der Tiefgarage, bringt die Realität des Jetztzustandes in mein Gedächtnis zurück. Wo ist mein Mundschutz.
Desinfektionsmittel steht vor der Türe und ein Zettel mit der Bitte, den Mundschutz umzunehmen. Irgendetwas in mir blockiert mich, bremst meine Lust einzukaufen.

Die Angst vor Nähe behindert mich einen Verkäufer/in anzusprechen oder die Ware zu berühren. Unsicherheit drängt sich in mir auf.

Es fehlt der Blick von der Café Terrasse auf den Schloßberg und die Dächer von Graz. Ohne Gastronomie kommt keine wirkliche Stimmung auf.
Es fehlen die Touristen, es fehlt der Stolz auf die schöne historische Stadt und die Menschen die hier wohnen und arbeiten. Der Stolz auf den Begegnungsraum, von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen, im Herzen der Stadt.

Die Spielwarenabteilung hilft mir meine depressive Stimmung zu durchbrechen. Ich schicke ein Foto an meine Enkelkinder. In Graz alles o.k. die Spielwarenabteilung gibt es noch. Es wird Zeit, dass ihr kommt.

Die ein und andere Verkäuferin erkennt mich, trotz Vermummung und lacht mich an, ich lache zurück. Gott sei Dank, ein Neuanfang.
Ich kaufe mehr symbolisch, als wirklich notwendig, eine Gesichtscreme.

Wo Schatten ist, muss auch Licht sein.

Die Verkäuferin ist schon 20 Jahre im Geschäft und teilt mir mit, wie glücklich sie ist, heute dabei sein zu können.
Ich verlasse das Haus und konzentriere mich auf den Weg auf den Hausberg. Der Anblick der leeren Geschäftslokale, die zur Miete angeboten werden, schmerzen. Das Eisgeschäft ist offen. Ich leiste mir ein Eis. Die Eis Verkäuferin freut sich und gibt mir sehr sorgfältig verpackt zwei kleine Plastiklöffel in einem Papiersäckchen.
Am Beginn des Weges auf den Schloßbeg sehe ich einen jungen Mann mit Rucksack vor dem Christuskreuz, das in der letzten Kurve vor dem Uhrturm steht, beten.
Ich zucke zusammen. Die Sirenen erschallen. Samstag 12 Uhr. Gott sei Dank kein Bombenalarm. Gleich danach läuten die Glocken der Liesel und des Doms. Ein Wettkampf der Klänge.

Wo Schatten ist, muss auch Licht sein.

Der Wettkampf des Handels wurde bei uns heute wieder eingeleitet. Die Lust zu kaufen fehlt noch. Das Geld dazu auch.

3.Mai

Sonntag

Bei mir zu Hause: Geänderte Öffnungszeiten „Heute geschlossen“


4. Mai

Bin ich schon zu lange mit mir allein unterwegs, oder brauche ich noch mehr Tage der Besinnung. Meine Kraft schwindet.
Ich mag nicht mehr weitergehen, koste es was es wolle. Ich möchte niemanden, sehen, hören, sprechen. Was ist los mit mir?
Ich will weder meinen Garten, noch mein Haus pflegen. Weder Freunde, noch meinen Mann. Ich bin selbst pflegebedürftig.
Ich will an der Hand geführt werden, wie ein kleines Kind, versorgt mit Essen Trinken Spielen.

Ich brauche „Junges Blut“. Alles was ich denke, sage plane hat keine Bedeutung mehr. Meine Zeit ist abgelaufen. Der Raum gehört den Jungen.

Eine kleine Ziegelmauer schützt mich vor dem Abgrund. Die Festungsmauer zum Herbersteingarten hinter mir, schützt mich vor den möglichen Angriffen aus dem Hinterhalt.
Weltenwertewende.
Meine kleine Welt ist im Begriff zusammenzubrechen.
Meine, bis jetzt gelebten Werte sind in Gefahr.
Die Wende macht mir zu schaffen.

Was steht mir zu?
Nichts kann sein, ohne dass vorher etwas da war.
Das bedeutet für mich, dass ich mein Leben geschenkt bekommen habe.
Ein Geschenk auf Zeit.
Wer war ich, wer bin ich, wer will ich noch sein?
Die irdischen Ressourcen gewähren nicht Luxus für alle.
Die Streubombe Corona konfrontiert uns mit den Folgen unserer Gier. Wir müssen Federn lassen.
Noch stecken wir mitten drin
Mir fehlt die Stimme, die mich tröstet. Die Hand, die mich streichelt. Die sinnstiftende Tat die mich lebendig hält.

Wo Schatten ist, muss auch Licht sein.

Ich suche das Licht.

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