Literatur

NULLPUNKT

Von: Hruod Seekind | 27. März 2020, 10:05

Julia Mikusch: Stimme
geb. 1995 in Kärnten. BA Schauspiel (3. Jahrgang) an der MUK Wien.

Andrea Edlbauer: Sopransaxophon
geb. 1990 in Oberösterreich. MA Saxophon an der MUK Wien.

Gregor Fussenegger: Violine · Viola
geb. 1993 in Wien. BA Viola an der MUK Wien.

Hruod Seekind: Idee · Text · Stimme · Produktion
geb. 1997 am Attersee. Studium der Philosophie an der Universität Wien.


NULLPUNKT

In einer Zeit, die sich das Versprechen unbegrenzter Möglichkeiten zum obersten Leitmotiv gewählt hat, scheint auf der Ebene des Individuums kaum etwas so unmöglich wie die genuine Erfahrung von Stille. Denn Stille, das ist nicht nur die Abwesenheit von äußeren Geräuschen. Wirkliche Stille erfordert vielmehr auch das Ruhen der eigenen Gedanken. Sogar dann also, wenn die äußeren Umstände einen Augenblick der Stille erlaubten, müssen wir uns oft eingestehen, dass wir unsere inneren wirren Stimmen nicht beruhigen, unseren eigenen Lärm nicht eindämmen können. Unser Hörspiel setzt genau bei diesem Unvermögen ein. Vom anfänglichen Lärm des Jahrmarkts, über die verzweifelten Versuche sich aus dem spöttischen Spiel der eigenen Gedanken zu befreien – und dem unvermeidlichen Scheitern daran, gipfelt das Geschehen in der Aussage der Protagonistin, dass die vermeintliche Stille unerträglich sei. Diese Aussage mag plump wirken, aber die Protagonistin erkennt darin, dass sie erst durch das Gewahrwerden und Aussprechen des eigentlichen Problems das Problem selbst überwinden kann. Das Aussprechen der Unerträglichkeit wird hier zum befreienden Ausdruck des »Es geht auch anders«.

Begleitet von diesem Konzept haben wir uns im Jänner dieses Jahres mit unserem Hörspiel NULLPUNKT für den Ö1 Kurzhörspielwettbewerb TRACK 5 beworben. Zu unser aller Leidwesen erfüllte unser Beitrag aber nicht die Kriterien des Wettbewerbs – Der Satz »Es geht auch anders« kam in unserem Stück nicht wörtlich vor. Umso mehr freut uns dieser Aufruf an alle Kunstschaffenden ihre jetzt nicht gesehenen und nicht gehörten Stücke für die Radiobühne vorzubereiten. Und auch wir wollen diesem Aufruf nun antworten, um unsere Arbeit an diesem Hörspiel nicht endgültig abschreiben zu müssen. Vielleicht, so die Hoffnung, findet es hier doch noch sein Publikum.

In diesen Tagen erleben wir eine Stille auf den Straßen, wie wir sie noch nie kannten. Doch gerade jetzt ist von einer genuinen Erfahrung von Stille – in der nicht nur das öffentliche Leben zum Stillstand gekommen ist, sondern auch die eigenen Gedanken ruhen – weniger zu spüren als je zuvor. Die äußerliche Stille wird von der Sorge um unsere älteren oder kranken Angehörigen, um unsere eigene Gesundheit und um unser künftiges Auskommen schlichtweg übertönt. In diesen Tagen zieht sich eine ganz neue, wenn auch unfreiwillige Bedeutungsebene in das Stück ein.

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