Literatur

Weltenwertewende Teil2

Von: Dr. Ingeborg Wressnig | 3. April 2020, 17:56

Nicht nur für mich, sondern auch für die meisten Menschen, die nicht für das Überleben der Mitmenschen sorgen müssen.
Ich erstarre.
Wo Schatten ist muss auch Licht sein.

20. März

Ich merke meine Anspannung. Atme etwas hektisch, huste öfter. Ich vermeide die Morgennachrichten.

Der Hilfeschrei der italienischen Ärztin aus der Lombardei hat sich in mir festgekrallt.
Die Bilder der überfüllten Intensivstation, wo es zu wenig Personal und Schutzkleidung, Masken gibt, gehen mir nicht aus dem Kopf.

Atemgeräte fehlen.

Die erschöpf wirkende Ärztin hat in ihrem Leben noch nie so viel Menschen auf einmal sterben sehen. Ihr tägliches Trauma kann sie nicht bewältigen. Selbst wenn sie zu ihrer Familie nach Hause kommt, ist es ihr nicht möglich Kraft zu tanken.

Wenn es mich trifft bin ich tot. Seit zehn Jahren führe ich einen Kampf gegen meinen chronischen Husten.

Obwohl die Sonne scheint, schleicht sich die Angst vor der „Nicht Existenz“ immer präpotenter in meine Seelenlandschaft ein.
Ich will und muss meine eigene innere Grenze zwischen gesunder und krankmachender Angst schließen.

Ablenkung wäre eine Möglichkeit. Ich gehe in die Küche.
Der Geschirrspüler ist noch auszuräumen, die Zeit gut genützt. Die Wäsche kann ich waschen. Der Staubsauger wäre auch noch da. Ein Glück. Sinnstiftendes tun ist ein Schlüssel zur Bekämpfung von Angst.

Schau auf mich : “Gesunde Angst“, ich schau auf dich „Krankmachende Angst“.

Du musst das Belohnungssystem aktivieren.
Sport betreiben, Lesen, im Garten arbeiten.

Ich denke an meinen Bruder, der nun eingesperrt im seinem Altersheim, keinen Kontakt mehr haben darf. Die eine Schwester, die gute Seele wascht ihn und eine andere bringt ihm dreimal am Tag das Essen.

Rudi wie geht es dir heute. Eigentlich eine dumme Frage.

Ich kämpfe mit meinen Emotionen, den aufgestauten Gefühlen.
Ich versuche es mit :„Wir zwei Eingesperrten, wir halten durch……wir sehen uns wieder. Er schildert mir seine Situation und freut sich über das Fernsehprogramm. Seine Mengen von Antidepressiva scheinen zu wirken.

Mein Belohnungssystem funktioniert. Ich nehme mit guten Gewissen meine Wanderstöcke und verlasse das Haus.

Zu Mittag ein Hauch von Hoffnung.

Die Infektionen sind von gestern auf heute nicht gestiegen. Gerade jetzt müssen wir durchhalten, glauben sie bitte nicht, dass die Krise vorbei wäre, bitte halten sie gerade jetzt die Regeln ein, denen wir in den letzten Tagen gefolgt sind.
Themen wie Versorgungsängste, Verlust des Arbeitsplatzes, kommen gleich danach.

Das individuelle Schicksal funktioniert anders als das gesellschaftliche Schicksal. Primitive Mechanismen, wie Überagieren, Depression, Größenwahn sind die Antwort auf zu große Ängste.


Menschen brauchen Zuwendung, das Gefühl der Sicherheit und Hoffnung. Isolation ist die größte Angst.

21. März

OSTERN WIE NOCH NIE

Ein grünes Osterei zieht den Blick des Lesers, der Leserin in die Regionalzeitung: Die Regierung verlängert die drakonischen Maßnahmen zum Schutz vor dem Corona Virus bis nach den Osterferien.

Hallo, geht`s noch? Steht links unten. Cool down!

Musik auf den Balkonen.
Über die Macht des Humors in der Krise.

Gerade humorvoll fühlt sich mein Morgen nicht an.
Laut Wettervorhersage soll es regnen. Tut es aber nicht.
Alle Menschen sind aufgerufen 1 1/2 Meter Abstand zu halten. Tun sie aber nicht.
Im Bioladen gleich um die Ecke drängen sich die Jungen, ohne das zu befolgen, worum die Regierung sie gebeten hat.

Warum soll die Jugend auch Angst vor dem Tod haben. Die Alten und Risikogruppen sterben.

„Schau auf Dich, schau auf mich“ ist noch nicht bei allen angekommen.

Eine Kältewelle ist angesagt. Hoffentlich bezieht sie sich nur auf das Wetter und nicht die Herzen der Menschen.

Der heutige Tag fühlt sich träge an.
Aufstehen, wozu.
Duschen, wozu,
Anziehen, wozu.

Ein Funke Licht. Ich habe gestern ein Buch gekauft: „Auch du bist Unternehmerin, dein Unternehmen ist das Leben“.

Jalousie hochgezogen. Das Leben drängt sich ins Zimmer. Millimeter große oder auch kleine, grüne Blätter auf der Hainbuche lachen mich an. Die Blüten lassen sich vom Windhauch treiben.

22. März

Die Nervosität steigt. Ich meide möglichst jede Kommunikation mit meinem Mann. Die Nachbarin am Hügel hat um 17 Uhr ein Treffen mit zwei, alleinstehende Menschen organisiert. Sie bringt Gläser, Wasser, Saft, Wein mit. Der Abstand war eine Voraussetzung für die „Party“.

Ich gehe nicht hin. Ich war schon in aller Früh allein spazieren. Ich habe mich überwunden meinen Bruder im Altersheim anzurufen. Sein Gehirn scheint einzurosten.
Ich verdanke der Krista den Impuls, seine Nummer zu wählen. Sie ist eine Freundin aus meiner Kindheit. Wir sind gemeinsam in die Volksschule gegangen. Ihr Vater war Malermeister. Sie führte später einen Friseursalon und hatte mich heute kontaktiert, weil sie an meinen Bruder gedacht hatte.
Mein Bruder, wenn ich ihn für ein Mittagsessen vom Heim hole, erklärt mir jedes Mal ganz stolz, nachdem wir die Hauptstraße verlassen und die Nebenstraße zum Heim einschlagen, haben, dass der Friseur an dem wir vorbeifahren, jetzt, sein Friseur ist.

Der Zufall will es. Gerade dieser Friseur ist der Sohn meiner Volksschulfreundin Krista.
Das wollte sie mir erzählen und auch fragen, wie es meinem Bruder jetzt ginge.

Rudi, stell dir vor wer mich heute angerufen hat…….

Krista, kann ich mich nicht erinnern.

Friseur? Wo?

Beim Heim.

Weiß ich nicht.

Was machst du gerade. War die Schwester schon da? Ja sie hat gerade das Essen gebracht.

Dann will ich dich nicht weiter stören. Genieße das Mittagessen. Du weißt ich darf dich nicht besuchen kommen. Ja ich weiß der Virus. Aber wenn er vorbei ist, komm ich dich holen. Jetzt müssen wir beide durchhalten. Mach`s gut. Ich ruf morgen wieder an.

23. März

Melancholie fällt mir ein, wenn ich die Musik höre, die das Wetterpanorama heute untermalt.
Das Zauberhafte der weißen mit Schnee bedeckten Gebirgsketten, blitzblauer Himmel, vertreiben für Sekunden die Schwermut.

Leere Dorfstraßen und Plätze, geschlossene Hotels.
Die Zeit der Besinnung hüllt uns ein.

Ostern
Auferstehung des Lebens

Seit dem letzten Krieg, gab es wohl kaum so viele Gläubige, die wie im Moment. an der Osterbotschaft festhalten wollen.

Das Jahr der Besinnung


Buße tun
Elend aushalten
Sehnsucht

Inge, besinne dich auf deine eigenen Möglichkeiten und Grenzen als Unternehmerin deines Lebens.
Kreislauf des Lebens. Die Sonne geht auf und unter. Die Herzen erwärmen sich und erkalten. Die Bäume blühen, tragen Früchte und ziehen sich auf sich zurück, bis sie vom Frühling wieder wach geküsst werden. Vom Lachen zum Weinen und wieder zurück.

Heute ist es schön, aber kalt.

Ich freue mich. Endlich ist die Zeit gekommen.
Die Welt dankt denen, die kaum wahrgenommen wurden. Menschen, die im unermüdlichen Einsatz gegen das virale Damoklesschwert bereit sind zu helfen.

Die so gehassten LKW Fahrer Zusteller aller Art, Kassiererinnen, Pfleger Pflegerinnen, Mülldeponiearbeiter, Handlanger, Abwäscher, Dreck-Putzer, Altenpfleger, Behindertenbetreuer.

Ich werde heute darauf achten noch liebevoller mit mir und anderen umzugehen. Meine Verantwortung zu übernehmen, mir nicht anzumaßen mich über anderer Schicksale zu erheben. Unten bleiben, solidarisch sein.
Meinem Mann die richtigen Fragen stellen und einfühlsame Antworten finden.

Ich nehme meine Wanderschuhe aus dem Kasten und meine Wanderstöcke aus der Garage.
Auf geht es in den Wald. Der Anfang ist immer eine kleine Überwindung. Je länger ich mich dem Rhythmus anvertraue, desto leichter wird der Spaziergang. Da und dort fange ich Blätter Blüten, Farben für das Bild ein, das auf mich in meinem Atelier wartet um fertiggestellt zu werden.
Vielleicht wird es eine Serie für eine Ausstellung:
„Wo Schatten ist, muss auch Licht sein“

Heute treffe ich niemanden auf den Waldwegen.
Der Wind ist zu kalt, selbst für die Radfahrer. Auf dem Rückweg kann ich zum ersten Mal die steile Straße ohne mich immer wieder zu versichern ob wohl kein Auto von rückwärts kommt, in Serpentinen zügig zu Ende gehen.15 Minuten war ich schneller als gestern. Das Belohnungssystem funktioniert. Zu Hause wartet mein Mann mit einer Suppe und einem Salat auf mich. Die Stimmung hebt sich.

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