Besatzungsmächte , sonstiges

Onkel Rudolf, erzähl vom Krieg

Von: Johann Grabner | 26. März 2025, 14:32

Informant war der damals gut 15- jährige Bruder meines Vaters: Es geht um eine SS- Einheit in unserem Ort zu Kriegsende, Desertation und Arbeit für die Besatzer

„Onkel Rudolf, erzähl vom Krieg“

„Der Endsieg ist unser. Selbst wenn russische Soldaten in meinem Garten stehen, weiß ich: Wir werden den Krieg gewinnen!“ So im April 1945 die Worte eines fanatisierten Bauern aus der Nachbarschaft meiner Großeltern.
In Weitersfelden hatten sich Soldaten des sich auflösenden Regimes breit gemacht: eine Einheit der SS mit fünf Panzern, Kanonen und Granaten, mit Fanatismus in Uniform und jenem Mut, der aus den Mündungen der Gewehre kommt.
Einen der Panzer hatten sie im Hof meiner Großeltern postiert, wo sich mehrere Soldaten einquartiert hatten.
Die anrückenden amerikanischen Truppen standen bereits im benachbarten St. Leonhard.

Männliche Dorfbewohner jeglichen Alters hatten an der Aist sogenannte Panzergräben auszuheben. Auf der Brücke wurden als Hindernis für die Panzer Baumstämme platziert.
Mit dabei bei diesen Arbeiten: der jüngere Bruder meines Vaters, Rudolf, damals gut 15 Jahre alt.
Die Brücke wurde zur Sprengung vorbereitet. Einige mutige Männer haben noch vor Kriegsende die Sprengvorrichtung wieder entfernt.

Nachdem die Arbeiten an diesen „Verteidigungsanlagen“ beendet waren, hatte der im Ort ansässige Fuhrunternehmer, der einzige Besitzer eines Lastkraftwagens, die jungen Burschen in die Kaserne der Kreisstadt Freistadt zu überstellen, von wo aus sie nach einer kurzen Ausbildung an Gewehr und Panzerfaust als Teil des sogenannten Volkssturms in das sich nähernde Kriegsgeschehen geschickt werden sollten.
Onkel Rudi war mit den anderen Burschen dabei, die Kaserne zu betreten, als er sich kurzerhand entschied, zurück zum bereits in Richtung Heimatort abfahrenden Fahrzeug zu laufen und auf dessen Ladefläche zu springen. Er wollte nicht in die Statistik des sinnlos vergeudeten Lebens aufgenommen werden.
Kurz vor dem Ort sprang er vom Lastwagen.
Die Rückkehr ins Elternhaus hätte ob der dort einquartierten SS- Männer für Rudolf das Todesurteil bedeutet. Diese Männer hätten wohl keinen Augenblick gezögert, ihn zu erschießen. Immerhin hatte er Fahnenflucht begangen. Noch waren sie Herr über Leben und Tod. So versteckte er sich in der Nähe des Ortes, um das Ende des Krieges abzuwarten

Vom Nachbarort konnten jederzeit amerikanische Truppen heranrücken. Eine weiße Fahne wurde gemeinsam von Bürgermeister und Pfarrer am Kirchturm gehisst.
„Innerhalb von zehn Minuten ist die Fahne zu entfernen. Andernfalls holen wir sie mit dem Panzer herunter. Wir kapitulieren nie!“ Die Drohung des SS- Kommandanten verfehlte nicht seine Wirkung.
Die Botschaft vom Ende des Krieges wenige Stunden später verhinderte ein Inferno.
8.Mai 1945: Die SS- Soldaten verschwanden. Was blieb waren ihre Panzer samt Granaten und Gewehren, Helmen und Uniformen, Panzerfäusten und Pistolen.
Drei Kinder starben zwei Jahre später beim Spiel mit der Hinterlassenschaft dieser Soldateska.

Der Besatzung durch die deutsche Soldateska folgte jene der Befreier.
„Plötzlich wurde das Tor aufgestoßen. Eine Gruppe von Russen stürmte in den Hof und riss mir den Dämpfer (ca. 20 Liter umfassendes metallenes Gefäß zum Kochen von Erdäpfeln) aus der Hand, in dem ich gekochte Erdäpfel für die Schweine in den Stall tragen wollte. Begierig aßen sie alle auf. Derart hungrig waren sie.“
So der erste Kontakt mit den neuen Herrn laut den Worten meiner Großmutter.
Anschließend ging es in die Bauernstube.
„Wer schläft in den beiden Betten?“ „Bauer und Bäuerin!“ „Ab heute schlafen hier der Kommandant und sein Vertreter!“ So Worte des Offiziers zu meinen Großeltern.

Eine Siegerparade mit zehntausend Soldaten auf den Wiesen entlang der Aist wurde von den Sowjettruppen zelebriert: Der von ihnen aufgewirbelte Staub lag wochenlang auf Feldern und Wiesen.

Die Sieger benötigten Helfer.
Eines Tages fuhr eine Einheit auf dem Dorfplatz auf und hielt alle erreichbaren Jugendlichen an, mit ihnen zu kommen. Maschinenpistolen waren ein handfestes Argument, nicht zu widersprechen.
Die jungen Burschen wurden auf Lastwägen verfrachtet.
Rudolf ist einer von ihnen. Unter ihnen auch Franz, der wohl bärenstark, doch geistig zurückgeblieben war und gefürchtet ward ob seines Jähzorns. Weiters Franz Ebert.

Sie wurden in das einige Kilometer entfernte Lager unweit von Amesreith/ Gemeinde St. Oswald verfrachtet.
Dort hatten die Burschen mit Schaufeln Gräben auszuheben, in denen Treibstofffässer gelagert wurden: zum Schutz gegen allfällige Fliegerangriffe, wurden ihnen erklärt.
Wer diese potentiellen Angreifer sein sollten? Deutsche Flieger kamen nicht mehr in Frage. Amerikaner? Gerüchte über einen Krieg mit diesen machten damals die Runde.
Der Zwangsaufenthalt in diesem Lager war den Umständen entsprechend eigentlich ganz passabel: Genächtigt wurde in Militärzelten. Morgens gab es Tabak, mengenmäßig dem der Soldaten gleich, mit schwarzem Kaffee und Brot samt Butter. Wie generell in der Behandlung kein Unterschied gemacht wurde zwischen den jungen Burschen und den Soldaten der Sieger.
Es mangelte weder an Essen noch an Wodka, solange die Arbeit laut Befehl verrichtet wurde.
Die Wachposten mit ihren Maschinenpistolen schienen eher Staffage zu sein.
Bis zu dem Tag, an dem Franz nicht zum Appell erschien.
Franz Ebert, zum Anführer der eingefangenen Mannschaft bestimmt, musste sich auf die Suche nach dem Abgängigen machen. Mit Drohungen gegen Leib und Leben, sollte er ohne den Gesuchten erscheinen. Und Drohungen gegen seine Freunde, sollte er selber ebenfalls verlustig gehen. Eine bange Stunde folgte, ehe die beiden zur Erleichterung der als Geiseln Zurückgebliebenen auftauchten: Franz war von Franz Ebert unter einem Baum schlafend aufgefunden worden.
Die Freude der Jugendlichen, noch weiter für die Sieger zu arbeiten, war enden wollend. Ein Plan wurde ausgeheckt: abhauen.
In einem unbeaufsichtigten Moment suchten die Burschen das Weite, machten sich auf den Heimweg. Allerdings, ihre Sorglosigkeit ließ sie die Straße wählen.
In einem Waldstück, vielleicht ein oder zwei Kilometer vom Lager entfernt, wurden sie von den Russen wieder eingesammelt. Diese hatten ihr Fehlen bemerkt und waren ihnen gefolgt.
Die Gleichstellung mit den Soldaten gehörte ab jetzt zur Vergangenheit: Die Tabakration wurde gestrichen, die Essensration merklich gekürzt.
Drohende Mienen wurden aufgesetzt, die Maschinenpistolen entschärft; diese blieben auch während der Schaufelarbeit gegen die Burschen gerichtet.
Abends überlegte man erneut Fluchtpläne. Diesmal sollte es quer durch den Wald nach Hause gehen, abseits der Straße.
Einige Tage später, die Wachsoldaten hatten sich wieder an die Anwesenheit der Jugendlichen gewöhnt und waren nachlässig geworden, wurde der Fluchtplan umgesetzt.
Diesmal erfolgreich.

Noch einmal traten die Russen in Onkel Rudis Leben: 1955, gegen Ende der Besatzungszeit,
tauchten sie in Weitersfelden mit einer mehrere Hundert Stück Vieh umfassenden Herde von Westen her kommend auf.
Diese Herde sollte er mit Gleichaltrigen in einem mehrstündigen Fußmarsch bis in den nächsten Ort treiben, Unterweißenbach,.
Vorgehaltene Maschinenpistolen waren ein gewichtiges Argument, gegen das man nicht ankam.
Am Ziel angekommen, wurde dort Rast gemacht. Entgegen den gemachten Versprechen sollten die jungen Männer nun die Herde weiter bis Königswiesen treiben, zwei weitere Stunden oder mehr würde das dauern.
Unmut machte sich breit, Widerspruch war zwecklos. Die Argumente der Befehlsgeber waren stärker, immerhin bestanden diese aus besagten Waffen.
Im Durcheinander des Aufbruchs der Herde fanden die Jugendlichen Fluchtwege durch die Gassen und Winkel des Ortes.
Die mit Maschinenpistolen behangenen Russen werden wohl in Unterweißenbach Viehtreiber rekrutiert haben.

Die Freunde marschierten querfeldein heimwärts – die Rückholaktion ins Lager nach Amesreith war in bester Erinnerung, wenn auch schon fast 10 Jahre zurück. Aus Nadelbach kommend, kurz vor ihrem Ziel, sahen sie einen einzelnen russischen Soldaten die Straße entlang kommen. Er schien unbewaffnet zu sein, weder ein Gewehr noch ein Pistolenhalfter war zu sehen.
Als sie mit ihm gleichauf waren, sprachen sie ihn um Zigaretten an. Aus seiner Jacke zog er eine Stange mit zehn Päckchen „Austria 3“ hervor. Er öffnete ein Päckchen und machte sich daran, jedem eine einzelne Zigarette zu geben.
Die Burschen bedeuteten ihm jedoch: Njet. Nein.
Sie nahmen ihm die ganze Stange ab, gaben ihm einige einzelne Zigaretten zurück.
Der Russe fügte sich ob der Übermacht darein, um in der Sprache des Märchens zu reden. Ein solches war für die jungen Männer wahr geworden. Sie betrachteten die Zigaretten als „Bezahlung“ für den unbezahlten Treiberdienst.

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