Literatur

Körpersprache

Von: Birgit Krenn | 1. April 2020, 16:02

Ein assoziativer Text über das Glück, lieben zu dürfen.

Jetzt geh ich hinein, trag mich in den Raum, stell mich dort ab und lass mich einfach sein – lebendig. „Meine Lebendigkeit“, kann ich dann denken, voller Besitzerstolz, als hätte ich sie mir eben erst erschaffen, aus Bruchstücken der letzten Jahre zusammenbastelt, mir zu eigen gemacht. Meine Lebendigkeit, in allem, auch im Schweigen. Jetzt gehört sie mir. Greifbar, herzeigbar. Fühl mich wie eine Installation, in Schwarz gehalten, mit warmen Zwischentönen. Material: Fleisch; Höhe: 1,60, na gut, etwas weniger. Nicht begehbar, aber angreifbar. Klingt nach Verwundbarkeit, besser befühlbar.
„Bitte beachten Sie die Weichheit der Haut, die leicht körnige Oberfläche, zu glatte Oberflächen sind langweilig, diese hier ist samtig und uneben zugleich. Wie Buchenrinde so spannend, mit geschlossenen Augen die Fingerspitzen darüber wandern lassen, ein Hochgenuss, meine Damen und Herren, treten Sie näher. Das ICH! Bitte beachten Sie den zum Himmel gerichteten Blick während des Sprechvorgangs. Ein klares Zeichen für Unkonzentriertheit, Langeweile und/oder Unsicherheit! Leicht durchschaubar, das Objekt. Ich bitte Sie, wir kennen doch alle die Zeichen der Körpersprache.“
Idiot! Ich hole mir Gedankenbilder vom Himmel. Vier Himmelsrichtungen, die mir zur Verfügung stehen. Von links oben, vorzugsweise. Himmelstüren aufgemacht, freier Blick auf neue Perspektiven.
„Unruhige Hände verstärken den Eindruck von Nervosität und Unsicherheit.“
Volltrottel! Keine Ahnung hat dieser Mensch. Festhalten muss ich die Bilder ja irgendwie, damit sie mir nicht in den Himmel zurück gleiten.
„Ja, die hält sich gern an etwas fest, damit ihr die Gedanken nicht auseinander treiben. Bündelt sie sozusagen in ihrer Hand, einem Kugelschreiber, einer Tischkante oder Sessellehne, was sie gerade zwischen ihre Finger kriegen kann.“
Obwohl … in der Schule, da hatte ich auch immer etwas in der Hand und die Gedanken sind mir trotzdem davongeflogen. Da hat es auch nichts geholfen, dass der Buchhaltungslehrer ein ganz ein Hübscher war, fast untypisch für einen Buchhalter, aber langweilig war er schon, das ist wahr, und wenn dann von Haben- und Soll-Seiten die Rede war, da drängt es sich doch auf, Haben und Sein zu denken, IST- und SOLL-Zustand, soll wohl nicht sein, sein oder nicht sein, Mel Gibson als Hamlet, sehr schöne blaue Augen, obwohl … eigentlich hatte ich das Gefühl, er spielt seinen Martin Riggs im alten Dänemark, nichts dagegen zu sagen, „Lethal Weapon“ hab ich schließlich auswendig gelernt, als ich noch jünger war und er auch, versteht sich, jetzt ist er alt und ich älter und mag ihn nicht mehr, „Air America“, Robert Downey jr. fand ich damals gar nicht ansprechend, das hat sich auch geändert, so ein entzückendes Lachen und dann in „Ally Mc Beal“, als sie sich das erste Mal küssen, da lächelt Ally, aber die haben das Lachen weggeschnitten und nur den Mund dagelassen, dabei ist das so menschlich, real nachvollziehbar, aber die ist ja auch zu weltfremd und romantisch. Vielleicht lächeln nur solche wie sie und ich beim Küssen, und sie ist gar nicht mal ... also doch nur Fiktion. Steh ich jetzt allein da? Dabei ist es doch so, wenn man glücklich ist, dann lacht man schon mal und komisch ist so ein Kuss dann trotzdem nicht, zieht man ja nicht ins Lächerliche, nur weil einem nach Lachen zumute ist. Und weggetragen wird man auch nicht, ich meine abgelenkt, weil man in Gedanken ganz wo anders ist, nur nicht bei dem, den man küsst, nein, bloß glücklich, schlicht und ergreifend zum Zerplatzen glücklich und ausschütten, nicht vor Lachen, aber die Anspannung vielleicht, die davor da war, vor dem Kuss, wenn er schon im Raum steht, ganz konkret und greifbar wird, obwohl noch gar nichts geschehen ist, aber man an nichts anderes mehr denken kann oder vielleicht überhaupt schon damit aufgehört hat zu denken, und das Herz einem nur noch bis zum Hals schlägt und in einem drin, da fühlt es sich an wie in einem Aufzug, der viel zu rasch nach unten fährt, ein kleiner Ruck, das Auf und Ab im Magen, wenn er abrupt stehen bleibt und weiter geht’s – russssch. Dann fällt man doch hinein in den Kuss, auch wenn man vorher noch gelächelt hat, obwohl nichts komisch ist und man auch nicht abgelenkt, ganz im Gegenteil, schon ganz beim anderen, schon aufgegangen in der Berührung einer Zunge, die nichts weiter tut als die eigene zu berühren, umspielen, erforschen, locken, streicheln, kitzeln, saugen, was auch immer, man fällt einfach hinein und spürt nur noch, was sie macht, diese Berührung in einem drin. Dabei hört sich „Zunge an Zunge“ doch irgendwie eklig an und man denkt gleich an die Affenmutti, die dem Affenbaby das Essen vorkaut und es dann in seinen Mund schiebt, aber die verwenden doch ihre Finger, die Affen oder nicht? Sagt man Finger, bei den Affen? Egal, die Frage ist doch: Was ist dran an einem Kuss, dass er uns so fertig macht? Vorausgesetzt, man wird von der richtigen Person geküsst, denn Kuss ist nicht gleich Kuss. Es gibt ja Küsse, die hätte man besser nie geküsst, aber vermutlich mehr, die man gerne geküsst hätte, aber es doch nie getan hat. Man muss sich doch das Einverständnis des anderen holen und selbst wenn man es bekäme, bleibt die Frage: Wie macht man das? Vor allen Dingen, wenn nicht Zeit genug und Ort und Zeit schon gar nicht zusammen passen. Der Kontext muss ja stimmen. Man kann nicht einfach so, vollkommen Zusammenhanglos, drauflos küssen. Sehr bedauerlich! Aber ich schweife ab, schon wieder, dabei hab ich mich festgehalten, an der Sessellehne; nur zum Nachdenken, ich schwör´s!
Körpersprache, Sternzeichen, Hormontypen der A-, B- und C-Klasse, Partnerprofile und matching points aller möglichen Klassifizierungen, damit wir uns gleich auseinander halten und zuordnen können. Einlassen. Gar nichts vorwegnehmen, einfach einlassen auf das, was da ist und alles vergessen, was man jemals gehört hat. Was Männer wollen und Frauen brauchen, was Frauen anzieht und Männer hält und dann gilt es plötzlich wieder für alle und nicht nur für den A- oder B-Typ.
Und wenn man jemanden richtig gern hat, einfach so, der zwar im Sternzeichen zu einem passt, aber sonst so überhaupt nicht, was tut man dann? Ihn einfach nicht mehr gern haben und sich einen suchen, der in allem zu einem passt, nur nicht im Sternzeichen – und wenn es nicht reicht?
Was spielt’s für eine Rolle, wir wollen erobern und erobert werden, nach bestimmten Regeln und Verhaltensmustern. Alles ganz einfach. Was in erster Linie zählt ist doch der Erfolg, selbst wenn das ICH dabei draufgeht. Noch Fragen? Kaufen Sie sich eine Vogue, Brigitte, Women, was auch immer. Da steht alles drin, auch das mit der Körpersprache.
Dabei geht’s gar nicht um das Wie, sondern nur ums Sein. Einfach sein. Mehr braucht’s gar nicht. – Sein lassen. Sein selbst nämlich und nichts mehr sein wollen. Schon gar nicht selbstbewusst, wenn aufgesetzt, dann schon lieber verwundbar, wenn’s denn schon so ist – angreifbar.
Jetzt ist es soweit. Jetzt wird deine Installation meiner Installation gegenüber in den Raum gestellt. Deine Installation ist größer als meine. Unpraktisch. Beim Küssen meine ich. Aber das ist ein vollkommen falscher Gedankengang. Denn wenn meine Installation deiner Installation gegenüber steht, dann ist das ein klassisches Beispiel für Zusammenhanglosigkeit. Da werde ich so zusammenhanglos, dass ich mich doch wieder festhalten muss an den Sessellehnen, damit ich mich wieder erinnern kann, wo ich bin. In einem Sessel nämlich, und mir gegenüber, ganz nah bei mir, in meiner Nähe, zu weit weg, zu nahe, ist deine Installation in ihrem Sessel und hält die Hände locker im Schoß verschränkt, während ich mich immer noch festhalte und auf das starre, was zwischen uns steht, und gar nicht verstehe, dass da überhaupt etwas ist und wo es wohl herkommt, aus dir oder aus mir? Oder bauen wir gemeinsam etwas auf, damit wir nicht völlig zusammenhanglos werden, uns von den Stühlen lösen und von den Wörtern, die wie Luftballons über unsere Köpfe hinweg an die Decke schweben, dort hängen bleiben, während wir aufeinander zutreiben, im Vakuum, schwerelos, wie Weltraummenschen, da kann man gar nichts dagegen tun, denn die Richtung ist schon vorgegeben. Vielleicht treiben wir ja nicht nur durch einen Raum und einen Augenblick, sondern durch unzählige Räume und Augenblicke, bis unausweichlich deine Lippen auf meinen, Zunge sucht Zunge, ganz selbstverständlich, während meine Installation deiner Installation gegenübersitzt – deren Hände immer noch, locker im Schoß verschränkt – und sich fragt, wie es sich anfühlt, das Du und wie es schmeckt, und ob es lachen wird, wenn wir einander erforschen, liebkosen, erobern, locken, umspielen, verschlingen dürfen und meine Finger nicht mehr das Holz des Stuhls umklammern müssen, sondern sich heben, auf deine Haut senken und deine Gesichtszüge durcheinander bringen, hineingreifen, dein Gesicht umschlichten, und es zu einem Gesicht machen, das mir gehört. Ich werde es in Besitz nehmen, aber dir nicht wegnehmen, weil das Du ja der Grund dafür ist, dass ich es berühren will, dass es mir gehören soll, für einen Augenblick, in dem es nur noch mich in deinem Gesicht gibt und nur dich in meinem Gesicht und ein befreites Lachen, weil das Glück meine Installation in tausend Stücke sprengt.

Übersicht:
Literatur

Übersicht:
Ö1 Kulturforum