Woody Allen im Interview

"Kino ist Unterhaltung"

Nach seinem letzten Film, in dem das Thema Alter und Tod thematisiert wurden, scheint Woody Allen mit seinem neuen Film "Midnight in Paris" vom Sujet her wieder hoffnungsvoller zu sein. Doch im Interview in Cannes, wo der Film heuer außer Konkurrenz lief, verneinte der Berufspessimist postwendend.

Kulturjournal, 17.08.2011

Woody Allen: Ich hoffnungsvoller? Nein, sicher nicht. Auch mein neuer Film, den viele als hoffnungsvoll sehen, ist es nicht, sobald man ein bisschen an der Oberfläche kratzt. Es geht darin um einen Mann, der glaubt, dass sein Leben glücklicher wäre, wenn er in einer anderen Zeit lebte. Und als er die Gelegenheit dazu bekommt, sieht er, dass diese oder jene Periode gar nicht so berauschend ist und er sagt deshalb auch im Film, dass das Leben überhaupt unbefriedigend ist. Und wenn der Film auch eine romantische Patina hat, ist die Message dieselbe, die ich jedes Jahr mit mir herumtrage, nämlich die Düsterheit.

Christian Fillitz: Eine Reise in die Vergangenheit ist da auch keine Lösung?
Das stimmt. Wenn man an die Belle Epoque denkt, dann denkt man an Champagner, Pferdekarossen, an schöne Kleider, ans Maxim, das ist alles sehr romantisch. Aber wenn man in dieser Zeit Tuberkulose hatte, gab es keine Behandlung, und beim Zahnarzt gab es kein Betäubungsmittel, genauso wenig wie es eine Klimaanlage gab. Wenn sie krank waren, konnten sie nicht das Telefon nehmen und die Rettung verständigen. Das Leben war damals sehr hart. Durch Schönheit wird man getäuscht. Schönheit ist immer eine Einbahnstraße - zwischen Mann und Frau, in einer Epoche, oder auch in einer Stadt. Charme und Schönheit verbergen ganz schreckliche Dinge.

Glauben Sie, dass vielleicht die Zukunft etwas Besseres verspricht?
Die Zukunft, vom heutigen Standpunkt aus gesehen, sieht überhaupt nicht vielversprechend aus. Unser Planet wird wärmer, immer mehr Menschen leben darauf, es gibt Massenvernichtungswaffen. Auf der ganzen Welt gibt es Gruppierungen, die nicht miteinander auskommen, die Weltwirtschaft ist in einem fürchterlichen Zustand, die Zukunft ist nicht sehr rosig.

Faulkner hat gesagt, der Mensch werde nicht nur überleben, sondern auch die Oberhand behalten. Ich glaube das nicht. Der Nobelpreisträger Faulkner war ein großer Schriftsteller, aber ich glaube nicht, dass die Menschheit überleben wird. In ein paar hundert Jahren wird es nur mehr Ameisen geben. Die Menschheit wird als gescheiterte Art enden. Sie hatte eine Chance, sie hat die Erde übernommen, aber aus was für Gründen auch immer hat sie sie übervölkert, verschmutzt, zuerst die Umwelt und dann sich selbst vernichtet. Wenn Sie mich fragen, ob ich in 100 Jahren leben möchte, so antworte ich "nein". Wir sind jetzt möglicherweise am Ende des noch erträglichen Teils des Ganzen.

Diese Idee von einem Mann, der in einen Wagen einsteigt und in die Vergangenheit reist, haben Sie die schon länger gehabt?
Ja, ich habe mich schon länger damit beschäftigt, doch es ist bis jetzt bei der Idee geblieben. Und dann habe ich mich gefragt: Was passiert um Mitternacht in Paris? Damit hatte ich einen Titel, aber keinen Film. Und so stellte ich mir vor, Owen Wilson, der Hauptdarsteller, steigt in ein Auto, das ihn zu einer Party bringt. Dort trifft er eine Französin und sie haben eine Affäre. Und dann habe ich mir gedacht: Wie wäre es, wenn sie ihn zu einer Party bringen, und diese Party spielt sich in den 1920er Jahren ab? Und auf einmal hatte ich meine Story. Ich sah das Paris der 20er Jahre, mit Ernest Hemingway, Salvador Dali und Picasso, und von diesem Moment an war die ganze Geschichte war auf einmal ganz einfach. Bis dahin war es allerdings sehr schwierig.

Was denken Sie über all das, was über Carla Bruni geschrieben worden ist. War das eine gute Werbung für Ihren Film?
Ich glaube, die Presse war schamlos. Sie haben einfach Geschichten erfunden. Ich hatte überhaupt keine Probleme mit Carla Bruni, ich musste nicht viele Takes mit ihr machen, Sie war sofort gut. Ich habe auch keine Szenen von ihr herausgeschnitten, oder sie durch jemand anderen ersetzt. Sie war ein reines Vergnügen. Aber die Presse hat geschrieben: Er musste 50 Takes mit ihr machen, oder: ihr Mann, Präsident Sarkozy, hasste es, dass sie im Film vorkam. Ihr Mann hat es geliebt. Er ist gekommen und hat gesagt: Sie ist wundervoll, schauen Sie sie an, sie ist ein Naturtalent! Alles was geschrieben wurde, war gelogen.

In Italien haben sie zwei Fotos von Sarkozy und Carla Bruni zusammengestellt, die im Abstand von einem Jahr aufgenommen worden waren und wo es aussieht, als ob er wütend auf sie wäre. Es sind da wirklich fürchterliche Dinge passiert. In Wirklichkeit ist sie entzückend, beide sind reizende Leute, nicht wie Ludwig XIV. Sie reden über das Kino, sie sehen sich Filme an, sie sind charmant und sehr unkompliziert.

Im Film lassen Sie Gertrude Stein sagen, dass es nicht die Rolle des Künstlers ist, Verzweiflung zu suchen.
Ich bin mit Gertrude Stein nicht einverstanden, aber das ist es, was sie meinte. Für sie besteht die Rolle des Künstlers darin, einem einen Grund zu geben, für den man lebt. Denn obwohl das Leben traurig und tragisch ist, gibt es Gründe, es zu genießen. Ich meine, dass es die Rolle des Künstlers ist, abzulenken. Ein Mozart oder Leonardo Da Vinci lenken die Menschen ab, sie unterhalten sie. Hemingway oder Picasso unterhalten die Menschen. Intelligente Menschen können etwas aus ihren Werken herausholen. Weniger intelligente Menschen können damit nicht viel anfangen, aber intelligentere drehen nicht einfach den Fernseher auf und sehen sich Reality-Shows oder ähnlichen Schwachsinn an. Sie sehen sich Bilder von Picasso an oder hören die Musik Mozarts, aber sie machen dasselbe wie die, die sich eine Reality-Show ansehen: Sie unterhalten sich. Ein Künstler gibt einem etwas, das unterhaltsam ist.

Auch ein Bergman-Film, selbst wenn er düster ist, ist unterhaltsam, es macht Spaß, ihn anzusehen. Es gibt eine gute Story, auf die man sich einlassen kann. Und wenn sie aus dem Film herauskommen in die reale Welt, die schrecklich ist, wollen sie sofort wieder in den Bergman-Film verschwinden; oder vielleicht in einen Fred-Astaire-Film, wenn sie etwas Fröhlicheres wollen. Stellen Sie sich vor: Es geht ihnen schlecht und sie gehen in einen Fred-Astaire-Film. Eineinhalb Stunden lang. Die Menschen sind elegant, sie tragen Smokings, trinken Champagner, und er tanzt: Das ist wie ein Glas kaltes Wasser an einem heißen Tag. Sie kommen aus dem Kino und sind erfrischt. Und dann leben sie ihren schrecklichen Alltag. Aber es geht jetzt leichter, denn sie hatten eine Pause: Eineinhalb Stunden lang haben Sie an etwas anderes gedacht. Und das ist die Rolle des Künstlers: von den schrecklichen Dingen des Lebens abzulenken.

service

Woody Allen