Kurt Langbein über das Leben mit Krebs
Radieschen von oben
Medizinjournalist Kurt Langbein erhält die Diagnose Prostata-Krebs. Nachdem er jahrelang darüber berichtet hat, wie man diese hartnäckige Krankheit besiegen kann, muss er sich mit einer neuen Rolle, mit der als Patient anfreunden. Das Schreiben war für ihn Teil eines therapeutischen Prozesses.
8. April 2017, 21:58
"Du musst wirklich etwas tun, weil ich habe den Eindruck, so sehe ich dich nicht mehr lange." Diesen eindringlichen Rat erhält Kurt Langbein von einem befreundeten TCM-Arzt, den er nach seinem hohen PSA-Wert, einem möglichen Indiz für Prostatakrebs, aufsucht. Das ist der Anfang von vielen unangenehmen Untersuchungen, bei denen Langbein beschreibt, wie er als Patient durch Stationen und Abteilungen zwischen Warteraum, Krankenbett und Bestrahlungszimmer durchgeschleust wird.
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Warum gibt es für derlei lebenswichtige Momente nicht eigene Räumlichkeiten und Mediziner mit Ruhe und Zeit für die Fragen des Lebens?
Das fragt sich Kurt Langbein, als er das erste Mal mit der Diagnose Krebs konfrontiert wird.
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Als ich aufgerufen wurde, hatte ich das Privileg, eine einfühlsame Ärztin zu treffen. Aber auch das war eher eine Stakkato-Abhandlung als ein Gespräch. Für mich stand das ganze Leben auf dem Spiel, und das sollte sich nun in zwei, drei Minuten endgültig wenden? Aus Sicht der Ärzte und Pfleger sieht das sicher anders aus, sie hetzen von Notwendigkeit zu Notwendigkeit. Aber die Heilkraft der Zuwendung, des Aufbauens und Mutmachens bleibt so völlig auf der Strecke.
Das Leben vernichtender Exzess
Langbein schreibt viel über die Geschichte und die Entwicklung der Krebsforschung, mit der er sich schon lange vor seiner Diagnose befasst hat. Über den Krebs als König aller Krankheiten, als Exzess des Lebens, der das Leben vernichtet. Obwohl an Krebs weniger Menschen als an Erkrankungen von Herz und Kreislauf sterben und viele lange mit einer hoffnungslos wirkenden Diagnose leben, löst das Wort "Krebs" nicht nur bei Kurt Langbein großes Unbehagen aus.
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Krebs hat etwas besonders Beängstigendes: Bei keiner anderen Krankheit vernichtet ein Teil des Körpers - jene verrückt gewordenen Zellen - den anderen gesunden so systematisch und planvoll. Krebszellen sind unsterblich, wie die Stammzellen, die nach einem unendlich komplexen Bauplan alle unsere Körperzellen kreieren und nachbauen.
Kurt Langbein ist überzeugt: Der Krebs hat nur dann ein leichtes Spiel, wenn das Immunsystem durch psychische Belastungen geschwächt ist, auch wenn klassische Risikofaktoren vorliegen. Der Journalist beschreibt die verschiedenen Therapiemöglichkeiten und zieht den Schluss, dass jene Mediziner, die bei Krebsbehandlungen ganzheitliche Ansätze verfolgen - also einen klugen Mix aus moderner Schulmedizin, Psychologie und alternativen Methoden praktizieren - überdurchschnittlich erfolgreich sind.
Mit der Angst allein gelassen
Langbein schildert sehr persönlich, wie sich sein Körper und dadurch der Umgang mit Familie, Freunden und Mitarbeitern verändert.
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Ich schlafe schlecht, geistere ab drei Uhr früh in der Wohnung herum, mache dann das Frühstück. Ich uriniere Blut, ich ejakuliere Blut, im Stuhl ist jede Menge Blut. Ich erinnere mich an die Worte des Wiener Urologen, der die Stanzerei als völlig problemlos und beliebig oft wiederholbar bezeichnet und meine Frage nach Narbenbildung und Gefahr der Verbreitung von Tumorzellen empört in Abrede gestellt hat.
Langbein betont, wie wichtig eine Navigation durch das Krankheitssystem für Patienten wäre, die so oft mit Angst und Fragen alleine bleiben. Er erzählt, wie er sich auf seine Wegbegleiter stützt, die während der Therapie Mut machen und wie er mit Traurigkeit, Akzeptanz und ohnmächtiger Wut umgeht.
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Selbst von Ohnmachtsgefühlen geplagt, steht man fassungslos vor der Wut der nächsten Menschen, die sich mit ihrem Zorn aufbäumen gegen den Verlust an Geborgenheit durch die Schwäche des Beschützers - und gegen die heftige Angst, selbst so unvermittelt wie der eigentlich Betroffene von den eigenen Körperzellen aufgezehrt zu werden.
Spontanheilungen, Placebos und Glaube
Der Journalist befasst sich mit Spontanheilungen, Placebos und damit, wie sich Glaube und positive Einstellung auf das Immunsystem und somit auf den Heilungsprozess auswirken können.
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Das Gehirn ist der selbstständige, eigenwillige Apotheker des Körpers, je nach persönlicher Erwartung und Empfindung und nahezu ohne Kontrollmöglichkeit durch den bewussten Verstand, verteilt es seine Drogen im Organismus.
Langbein wechselt zwischen Kapiteln, in denen er viele Forschungsstudien erklärt und medizinische Dinge vereinfacht darstellt und emotionalen Passagen, die Verzweiflung, Zuversicht und den Verlauf der Krankheit schildern. Das Buch zeigt, wie der erfahrene Journalist sich plötzlich in der Rolle des ängstlichen Betroffenen wiederfindet und sein Wissen über Krebs den Erfahrungen des eigenen Körpers gegenübersteht. "Radieschen von oben" ist weder beschönigend noch mitleidig geschrieben, sondern einfach sehr direkt.
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Ich bin irgendwie erleichtert, aber gleichzeitig auch angestrengt. Denn ein Thema lässt mich nicht mehr los: das Sterben. Und zwar nicht das Sterben, das ich als Journalist beobachtete oder als Angehöriger erlebte, nein, mein eigenes. Und das fühlt sich ganz anders an. Ich kenne gute Bücher, ich habe mit klugen Menschen darüber gesprochen, habe Verwandte begleitet und war sogar mit der TV-Kamera dabei. Aber jetzt ist alles anders - ein sprunghaftes Wechseln zwischen Verleugnung, Verzweiflung und ruhigem Hinnehmen, ein kaskadenhaftes Herumturnen zwischen Plattitüden und tiefen Empfindungen.
Krebs ist eine komplizierte Entgleisung des Lebens, schreibt Langbein, mit einfachen Rezepten weder zu verstehen noch zu heilen.
Service
Kurt Langbein, "Radieschen von oben. Über Leben mit Krebs", Ecowin Verlag
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Langbein & Partner