Gedanken für den Tag

13. Oktober 2012, 06:56

Die Mondscheinrede

Feierlich offiziell hat der 11. Oktober 1962, der Tag der Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils, begonnen, herzerwärmend wurde er beschlossen. Ein prächtiger Vollmond war eben über der Peterskuppel aufgegangen, als sich das erleuchtete Fenster des Arbeitszimmers von Johannes XXIII. öffnete. Rund um den Obelisken hatten sich ja zigtausend Römerinnen und Römer versammelt, vor allem Jugendliche, mit Fackeln in den Händen. Mit Liedern aus Sprechchören feierten sie den Tag des Konzilbeginns - und lockten den Papst ans Fenster. Spontan hielt er eine kurze Ansprache, die mich auch heute, 50 Jahre später, noch tief berührt. Johannes war von dankbarer Freude über diesen Tag erfüllt, und er sagte:

"Geliebte Kinder, ich höre eure Stimmen. Meine Stimme ist nur eine einzige, aber sie nimmt die Stimmen der ganzen Welt in sich auf. Man könnte meinen, sogar der Mond hätte sich heute Abend besonders beeilt, um dieses Ereignis mitzuerleben. Seht, wie er dort oben strahlt!" Und dann Worte, die ahnen lassen, dass dieses Konzil - wenn es nach seinem Herzen sein soll - auch eine Botschaft zuwendender Zärtlichkeit, eine Botschaft väterlicher, mütterlicher, geschwisterlicher Liebe enthalten soll. "Wenn ihr jetzt nach Hause geht", sagte der Papst, "dann geht zu euren Kindern, gebt ihnen einen Gute Nacht-Kuss und sagt: Den schickt euch der Papst." Und dann noch einmal jene Ermunterung, die so oft aus seinem Mund und aus seinem Herzen zu hören war - und die wohl auch der innerste Kern seiner Konzilsidee war: "Bleiben wir dabei, einander Gutes zu wollen und wenn wir einander begegnen, das wahrzunehmen, was eint, und beiseite lassen, was uns in trennenden Schwierigkeiten festhalten möchte."

Service

Buch, Hubert Gaisbauer, "Ruhig und froh lebe ich weiter", Wiener Domverlag

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