Appelle vor Treffen in Brüssel

Minister vor "historischem Abgrund"

In Brüssel treten am Nachmittag die Finanzminister der Eurogruppe zusammen. Es ist ein Treffen, das eigentlich als Routineveranstaltung geplant war, und das nun unter dem Vorzeichen der wachsenden Sorge vor den Folgen einer sich in die Länge ziehenden Krise der europäischen Währung steht.

Mittagsjournal, 29.11.2011

Ungewöhnlicher Appell

Der Hintergrund für die Finanzminister der Eurogruppe war noch nie so angespannt wie jetzt. Seit Tagen hagelt es apokalyptische Warnungen vor einem Zerfall der Europäischen Währung und den katastrophalen Folgen für den Kontinent. Der polnische Außenminister Radek Sikorsky sieht Europa vor einem "Abgrund historischer Dimensionen": Nur ein kühnes Eingreifen Deutschlands innerhalb der nächsten Tage könne eine Wende bringen. Eine höchst ungewöhnlicher Appell eines Regierungsmitgliedes ausgerechnet aus Polen, das sich sonst eher vor deutscher Übermacht als vor deutscher Ohnmacht fürchtet.

Gnadenlos ziehen die gestrengen Ratingagenturen die Schlinge enger, durch Hinweise, dass eine Auflösung der Europäischen Währung nicht mehr ausgeschlossen werden kann. Frankreich, dem zweitwichtigsten Kernland des Euro droht eine Aberkennung des Triple AAA, der Bestnote, durch Standard and Poors. Auch die Bonität der österreichischen Banken wird neuerlich untersucht.

Ziel 1.000 Milliarden Euro

Laut Plan wollen die Finanzminister der Euroländer heute trotzdem am business as usual festhalten. Immerhin: Klaus Regeling, der Chef des Euroschutzschirmes EFSF legt sein Konzept vor, um den Fonds zu verstärken. Durch eine Art Teilkaskoversicherung für Anleihen angeschlagener Staaten soll die Feuerkraft des Euroschutzschirmes vervielfacht werden. Ob allerdings das Ziel von 1.000 Milliarden Euro als Schutzwall gegen die Finanzspekulation erreicht werden kann, bleibt fraglich. Die Beteiligung Chinas und anderer finanzstarker Länder ist vorläufig nicht vorgesehen. Sagen die Euro-Finanzminister ja, dann könnte Italien als erstes Land sehr bald vom "Euro-Rettungsschirm neu" profitieren. Der neue Finanzminister des Expertenkabinetts in Rom wird berichten.

Fast in den Hintergrund getreten ist angesichts dieser neuen Dimensionen der Krise Griechenland. Dabei wollen die Minister eine Tranche von insgesamt acht Milliarden freigeben. Die Parteiführer der großen Regierungskoalition in Athen haben sich schriftlich zu dem europäischen Sanierungspaket bekannt. Auch der konservative Parteiführer Samaras schrieb nach langem Zögern einen etwas gewundenen Brief. Ob das ausreicht für die große Überweisung, wird zu entscheiden sein.

EU im Ausnahmezustand

Viele großen Entscheidungen der verschiedenen Krisengipfel des vergangenen Sommers sind nach wie vor nicht verwirklicht. Die EU befindet sich im Ausnahmezustand, belagert von den skeptischen Finanzmärkten. Die Blicke richten sich über die Finanzminister hinaus auf den bevorstehenden EU-Gipfel nächste Woche. Dort muss sich zeigen, ob die Regierungschefs über ihren Schatten springen können damit das laufende Entscheidungsspiel doch für den Euro ausgeht.