Gedanken für den Tag

von Cornelius Hell. "Einen Augenblick Luft" - Zum 150. Geburtstag von Gerhart Hauptmann. Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

"Ich glaube, ich bin ein Genie." Wer so von sich redet, erntet nicht gerade Sympathie, vor allem, wenn er erst 23 Jahre alt ist und wenig vorzuweisen hat, worauf sich die stolze Behauptung gründen könnte - wie Gerhart Hauptmann, der seine Selbsteinschätzung in einem Brief hinausposaunte. Hauptmann hatte damals, 1885, vor allem Schul- und Studienabbrüche an der Kunstschule wie an der Universität hinter sich. Auch die Versuche, Landwirt in Schlesien oder Bildhauer in Rom zu werden, waren schief gegangen. Und doch sollte Hauptmann recht behalten: Sieben Jahre später war er mit seinem Stück "Die Weber" der bedeutendste deutsche Dramatiker seiner Generation.

In welcher Weise verstand sich Gerhart Hauptmann als Genie? In dem zitierten Brief schreibt er: "Mit dem Namen des Genies bezeichne ich die Mitglieder einer Klasse von Menschen, die dazu berufen zu sein scheinen, in den ersten Reihen für die Wahrheit zu kämpfen der sie dienen und nachfolgen ohne je mehr als ein Zipfelchen ihres Gewandes zu sehen." Das klingt schon gar nicht mehr großsprecherisch, und die Überzeugung, dass man für die Wahrheit kämpfen muss, aber sie nie als sicheren Besitz betrachten kann, ist ein faszinierendes Lebensprogramm.

Schade nur, dass Gerhart Hauptmann offenbar recht bald aufgehört hat zu kämpfen. Als er vor 100 Jahren, 1912, mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet und 50 Jahre alt wurde, war er vor allem eines: repräsentativ. Im Ersten Weltkrieg ließ er sich dann von der allgemeinen Kriegsbegeisterung mitreißen und steuerte dazu ziemlich miese Gedichte bei. Und ab 1939 hat er sich mit den Nazis arrangiert. Sechs Hauptmann-Uraufführungen gab es in der NS-Zeit, unter anderem auch in Wien. Dafür nahm Hauptmann in Kauf, dass seine "Weber" natürlich nicht mehr gespielt werden konnten.

Und doch gibt es ihn noch, "den Verweigerer, den radikalen Nein-Sager, den Möchtegern-Aussteiger", wie ihn sein Biograf Peter Sprengel nennt. "Schauspieler sollen mich zu Grabe tragen ... Kein Staatsvertreter möge Witze machen... Die Leichenpredigt handle über Flöhe!" Diese Zeilen schrieb Gerhart Hauptmann 1935 in seinem Gedicht "Testament". Aber das konnte man erst Jahrzehnte nach seinem Tod in der Werkausgabe lesen.

Service

Buch, Peter Sprengel, "Gerhart Hauptmann. Bürgerlichkeit und großer Traum. Eine Biografie", Verlag C. H. Beck
Buch, Hans-Egon Hess (Hg.), "Gerhart Hauptmann: Sämtliche Werke. Dentenar-Ausgabe zum 100. Geburtstag des Dichters", Band V: Romane, "Der Narr in Christo Emanuel Quint", Proyläen Verlag
Buch, Hans Schwab-Felisch (Hg.), "Gerhart Hauptmann: Die Weber. Dichtung und Wirklichkeit", Ullstein Taschenbuch

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Hans Pfitzner
Titel: Sonate für Violine und Klavier in e-moll op.27
* Bewegt, mit Empfindung - 1.Satz (00:12:13)
Solist/Solistin: Ernst Kovacic /Violine
Solist/Solistin: Hans Petermandl /Klavier
Länge: 02:00 min
Label: Peters, Leipzig

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