Buch des Monats

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

März

Slobodan Snajder, "Die Reparatur der Welt"

Slobodan Snajders umfangreiche Familiengeschichte war 2019 das Ö1 Buch des Monats März.

Der kroatische Schriftsteller und Theaterdirektor Slobodan Snajder hat, wie man an seinem Namen erkennt, deutsche Wurzeln. Und die reichen weit zurück. Wie weit, davon erzählt er in seinem Roman "Die Reparatur der Welt".

Ex libris | 10 02 2019

Cornelius Hell

Im Jahr 1769 reisen Werber im Auftrag der Kaiserin Maria Theresia in die Hungergebiete des Schwabenlandes und locken Georg Kempf nach Transsilvanien, wie sie es nennen, eine wenig besiedelte Gegend im heutigen Rumänien, die landwirtschaftlich erschlossen werden soll. Mehr als 150 Jahre später kommen erneut Gesandte, die die sogenannten Volksdeutschen heim ins Reich holen und für die Waffen-SS rekrutieren sollen. Dzuka Kempf, ein Nachfahre des ersten Auswanderers der Familie und Slobodan Snajders Vater, wird an die Ostfront geschickt, desertiert und kehrt nach Kriegsende nach Jugoslawien zurück, weil ihm die Russen schriftlich attestieren, für die richtige Sache gekämpft zu haben.

Weltbilder

Slobodan Snajder konnte sich beim Schreiben seines Romans teilweise auf Gespräche mit seinen Eltern stützen, aber er fand in ihrem Nachlass auch biografische Skizzen und Briefe. Groß ist der Roman durch die Intensität seiner Einzelszenen, die politische und ideologische Konstrukte zum Platzen bringen, Mentalitäten sichtbar machen und auch Nebenfiguren unvergessliche Auftritte bieten.

Der Titel des Buches stammt aus einem Dialog von Dzuka Kempf mit dem jüdischen Mystiker Mordechai, der die Welt als "eine Arena der Erlösung" sieht und an ihre Rettung oder wie er auch sagt, an die "Reparatur der Welt" glaubt. Der Agnostiker Dzuka antwortet ihm: "Ich wünsche mir eine Welt, in der niemand gerettet werden muss." Wenige Stunden später wird Mordechai mit einer Eisenstange erschlagen. Und Dzuka Kempf wird diese Welt, die er sich wünscht, nie zu sehen bekommen.

Literarische Symphonie

Endlos könnte man Szenen, Diagnosen, ja geradezu Sentenzen dieses Romans zitieren. Herausragend und großartig ist er aber gerade dadurch, dass er nicht einfach auf die Fülle seines außerordentlichen Stoffes setzt, sondern durch seine Erzähltechnik erstaunt: Wie langsam sich etwa das "Ich" des Erzählers, der wohl mit dem Autor weitgehend identisch ist, in den Roman einschreibt und wie aus "Kempf" langsam immer mehr "mein Vater" wird. Dazu kommt noch eine einzigartige Raffinesse: Der Autor mischt sich mit seinen Kommentaren aus der Perspektive des Ungeborenen in das Geschehen ein, die am Fuß etlicher Seiten als Kästen in den Text gesetzt sind. So äußert er etwa einmal: "Sowohl mein Vater als auch meine künftige Mutter sind in Gefahr, und ich muss um ihr Leben bangen. Momentan glaube ich, es ist wahrscheinlicher, dass ich nicht geboren werde."

Auf über 500 Seiten wird der Roman nie behäbig, er legt an Intensität immer mehr zu, um dann zu einem grandiosen Finale anzusetzen. In diesem Buch werden alle Lebensfragmente und die vielen Stimmen dieser einzigartigen Roman-Symphonie zu einem großen Schlusschor zusammengeführt.

Service

Slobodan Snajder, "Die Reparatur der Welt", Zsolnay Verlag