Klassiker abseits der Klassik
Stimmkönigin und Stilikone
Die "Spielräume" gibt es nun in einer "Nachtausgabe": Einmal im Quartal, jeweils von 23:00 Uhr bis 2:00 Uhr früh. Populäre Qualitätsmusik des letzten halben Jahrhunderts steht im Mittelpunkt der neuen Reihe, diesmal: Juliette Gréco und Edith Piaf.
8. April 2017, 21:58
Ein Foto macht sie berühmt. Schwarze Hose, schwarze Jacke, die Haare offen - so erscheint die 20-jährige Juliette Gréco auf dem Titelblatt von "Samedi-Soir". Die Wochenzeitung stellt die "Existenzialisten" vor, die in den Kellern von Saint-Germain-des-Prés "hausen, tanzen, trinken und lieben": in Lokalen wie dem "Tabou", das seit 1947 von der blutjungen Gréco mit Freunden geführt wird.
Boris Vian spielt dort Trompete, Miles Davis, Dizzy Gillespie oder Charlie Parker kommen nach ihren Auftritten zu einer Session, zu den Gästen zählen Simone de Beauvoir, Raymond Queneau und Jacques Prévert, Gertrude Stein und Albert Camus schauen vorbei.
Sartre gab den Ausschlag
Die Gréco wird zur Stilikone: Man imitiert ihre Art, sich die "Rehaugen" zu schminken, ihre Nicht-Frisur, das obligate Schwarz der Kleider. Erst später wird sie singen. Kein anderer als Jean-Paul Sartre gibt den Ausschlag: schreibt ihr den ersten Text (und bringt Joseph Kosma dazu, ihn zu vertonen). "Bonjour Tristesse": 1958, in Otto Premingers Verfilmung von Francoise Sagans Roman, sieht man in einem Lokal Gréco das Titellied singen, ein nachdenklicher Kontrapunkt zur inneren Leere der Jeunesse dorée.
Der Stoff, aus dem Filme gemacht werden - das ist auch das tragische Leben der wohl größten Chanteuse des letzten Jahrhunderts: Edith Giovanna Gassion, genannt Piaf. "La Vie en Rose", nicht die erste Kino-Biografie, zeigt eindrücklich einige Stationen: Kindheit in übler Vernachlässigung (ihre einzigen glücklichen Jahre erlebt Edith im Alter zwischen zwei und sechs in Obhut der Großmutter, in deren Bordell in der Normandie).
Vagabundieren mit dem Vater
Der Vater, ein Verrenkungskünstler, zwingt sie zum Vagabundieren an seiner Seite. Die Jugendliche reißt aus, schlägt sich als Straßensängerin durch. Der erste Mentor und Förderer, der Clubbesitzer Louis Leplée (von ihm stammt Ediths Künstlername Piaf: Spatz) wird ermordet.
Einige Jahre später, die Piaf ist berühmt: Ihre große Liebe, der Boxer Marcel Cerdan, stürzt mit dem Flugzeug ab. Und der vielleicht schlimmste Verlust wird im Film nur gestreift: der Tod der einzigen Tochter, schon Jahre zuvor, um die Edith, jung und überfordert, sich kaum gekümmert hat.
Schicksalsschläge zeigen Wirkung
Piaf, der gefeierte Star, verdrängt mit Hilfe schnell wechselnder Liebhaber, mit Alkohol, später Morphium. Mit Anfang vierzig ist sie ausgebrannt, es geht schnell bergab bis zum Tod 1963, noch keine 48 Jahre alt.
Kunst und Leben, wie hängen sie zusammen? Gréco kehrte über 70-jährig auf die Konzertbühne zurück, experimentierte mit neuen musikalischen Formen. Die Piaf blieb in der Wahl ihrer Musik konservativ. Doch beide Diven sind auf ihre Art authentisch, beide prägen das Chanson des 20. Jahrhunderts.
Neue Ö1 Sendereihe
"Stimmkönigin und Stilikone", die Sendung über Edith Piaf und Juliette Gréco ist der Auftakt einer neuen Reihe in Österreich 1: Einmal im Quartal wird es nun eine Nachtausgabe der "Spielräume" geben, jeweils von 23:05 Uhr bis 2:00 Uhr. Bekannte und bewährte Ö1 Moderatorinnen und Moderatoren werden in einen radiofonen "Club" einladen, um über populäre Qualitätsmusik des 20. Jahrhunderts zu reden, über "Klassiker" abseits der "Klassik".
Dem Frankreich der 1940er und 1950er Jahre wird man in der ersten Ausgabe begegnen, dem "Summer of Love" in der zweiten, für Juni geplanten. Natürlich sind auch explizite Personen-Sendungen möglich - über Musik-Legenden wie John Lennon, Billie Holiday oder Frank Sinatra, Singer-Songwriter wie Joni Mitchell oder Randy Newman, Guitar Heroes wie Eric Clapton oder enigmatische Persönlichkeiten wie Van Morrison, Nick Cave oder Neil Young.
Sendung aus holzgetäfeltem Studio
Die "Spielräume"-Nachtausgabe hat eine private Note, und um die hörbar zu machen, laden wir die Gäste in das vergleichsweise wohnliche, holzgetäfelte Hörspielstudio des Wiener Funkhauses ein.
Die Beschäftigung mit "Klassikern" der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist auch selbstreflexiv. Wie haben Gäste und Hörer etwas "damals" empfunden, wie denkt und empfindet man heute? Das sind sich zwangsläufig ergebende Fragen dieser Gesprächsrunden, die anhand mitgebrachter Tonbeispiele auch gleich einer sinnlich nachvollziehbaren Überprüfung unterzogen werden können.
Hör-Tipp
Spielräume-Nachtausgabe, Montag, 30. April 2007, 23:05 Uhr
Mehr dazu in oe1.ORF.at
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Juliette Gréco