Rossiniana
Der erste Aussteiger der Musikgeschichte
Von Respighis und Brittens Rossini-Suiten über Giulianis und Schuberts Kompositionen im Stile Rossinis bis zu Liszts Transkriptionen der "Soirees musicales" - das Rossini-Fieber hat starke Spuren in der Musikgeschichte hinterlassen.
8. April 2017, 21:58
So bekannt es ist, dass sich Rossini als ungekrönter König der Opernwelt mit 37 Jahren quasi zur Ruhe gesetzt hat, so unbekannt ist fast alles, was er danach komponiert hat. Mit nur wenigen Ausnahmen. Immerhin hat er dann noch 39 Jahre gelebt, allerdings ohne eine weitere Oper zu schreiben.
Auf anderen Gebieten hat er sich musikalische "Alterssünden", wie er sie nannte, durchaus erlaubt. Es gibt parodistische Klavierwerke, vor allem aber Salon- und Kirchenmusik, die manchmal auch recht lustig klingt.
Ein geistlicher Schlager
Das "Cuius animam" aus seiner "Stabat Mater" ist so etwas wie ein geistlicher Schlager, und ihre rhythmische Verve hat "La Danza" in vokaler und instrumentaler Form zur heute vielleicht beliebtesten Rossini-Nummern gemacht.
Diese neapolitanische Tarantella stammt aus einer Sammlung von zwölf Vokalnummern, die Rossini unter dem Titel "Soirées musicales" zusammengefasst hat. Es ist Salonmusik edelster Art, die der Komponist noch in Paris in den ersten Jahren der Opernabsenz geschrieben hat. Später zog er für zwölf Jahre nach Bologna, das ebenfalls für eine exquisite Küche bekannt ist, und dann kehrte er für die letzten beiden Jahrzehnte seines Lebens wieder in die französische Metropole zurück.
Trauer um einen Truthahn
Vom Gourmet Rossini erzählt man sich, dass er nur zweimal in seinem Leben geweint haben soll: einmal als er Paganini spielen hörte, und ein ander Mal, als einem ungeschickten Kellner am Comer See beim Servieren ein getrüffelter Truthahn in den See gefallen ist.
Selbstverständlich gibt es von letzterer Geschichte mehrere Varianten, und es ist auch nicht sicher, ob es im ersten Fall Paganini gewesen ist, es hätte auch der junge Liszt sein können.
Mögliche Gründe des Rückzugs
Warum er sich von der Opernbühne zurückgezogen hat, dafür gibt es verschiedene Erklärungen und es wird wohl nicht eine allein zutreffen, sondern die Wahrheit in der Mitte liegen. Manche sagen: Er hat den Ruhestand gewählt, weil er der Konfrontation mit seinem Nachfolger Meyerbeer aus dem Wege gehen wollte. Nur war dieser "Nachfolger" ein Jahr älter als Rossini.
Rossini war 37 Jahre alt, als er seine letzte Oper, "Wilhelm Tell", komponierte und zu diesem Zeitpunkt lag der größere Teil seines Lebens noch vor ihm. Er starb 39 Jahre nach der Premiere von "Wilhelm Tell".
Aus den - fast unzähligen - kleineren Kompositionen aus der Zeit von Rossinis "Ruhestand" - sei es instrumental oder vokal - haben sich die meisten seiner Bearbeiter ihr Rohmaterial gesucht, gelegentlich aber auch in Opern gefunden und daraus ihre eigenen musikalischen Soiréen, Matinéen, Ballette und andere "Rossinianas" arrangiert.
Rossini für das Kino
Beispielsweise Benjamin Britten, der mit 23 Jahren als Filmkomponist zu arbeiten begann. Immerhin 22 Partituren für Tonfilme entstanden in den Jahren zwischen 1936 und 1939, darunter auch Bearbeitungen von Rossini-Themen für mehr als einen dieser Filme. Schließlich bündelte Britten diese Arbeiten zu einer keinen Suite mit dem Titel "Soirées Musicales" - ganz wie ihn Rossini einst auch gewählt hatte, widmete sie seinem Filmregisseur, Alberto Cavalcanti, und fügte nicht lange danach weitere "Matinees musicales" nach Rossini hinzu.
Rossinis "Soirées musicales" waren sozusagen die ersten Sünden seines Alters - nur hat er sie damals,1835, also nur sechs Jahre nach dem "Tell", nicht so genannt. Später publizierte er ganze Serien von Notenbänden, die allesamt unter dem Generaltitel "Sünden des Alters" erschienen sind: von 1857 bis 1868 insgesamt elf Alben mit jeweils zwölf Musikstücken.
Kein Faulenzer
Aber auch dazwischen hat er nicht gefaulenzt, sondern fleißig komponiert. Sozusagen mit vollen Händen Notenköpfe in seiner Umgebung verstreut. Vor allem auf Albumblättern. So gab es beispielsweise ein Gedicht von Metastasio, das er unter dem Titel "Musique anodine", harmlose Musik, weit öfter als hundertmal vertont hat.
Allein seiner lieben Frau Olympe widmete er, um sich für ihre aufopfernde Pflege während einer langen Krankheit zu bedanken, ein Manuskript mit sechs unterschiedlichen Vertonungen dieses Metastasio-Liedes - zwei für Sopran, eines für Mezzosopran, eines für Alt und zwei für Bariton. Ist es da ein Wunder, dass letztlich eine solche Fülle von Rossini'schen Melodien erhalten ist, dass sich zahlreiche Bearbeiter nahezu unbegrenzt daran gütlich tun konnten?
Lebenslange Rente geplant
Denn in Wahrheit hat er ja nicht vorgehabt, nicht mehr zu komponieren, ja nicht einmal die Oper aufzugeben, war geplant gewesen. Denn ursprünglich hatte ihm nach "Wilhelm Tell" Karl X. - das ist jener französische König, der in "Viaggio a Reims" gekrönt wird - versprochen, eine lebenslange Rente aus der königlichen Börse zu garantieren, wofür Rossini zugesichert hatte, in den Folgejahren zwar pro Jahr drei Monate in Bologna zu verbringen, dort aber eine Oper zu schreiben und jeweils danach nach für neun Monate nach Paris zu kommen, um sie einzustudieren.
Doch daraus wurde nichts: Kaum hatte Karl X. den Vertrag unterschrieben, brach die Julirevolution aus und Karl musste abdanken.
Rossini für Diaghilew
Ottorino Respighi, der als italienischer Impressionist geltende Rimski-Korsakow-Schüler, hat zweimal Rossini-Melodien für Orchesterwerke verwendet. Am erfolgreichsten für das 1919 in London uraufgeführte Ballett "La Boutique Fantasque". Es war ein Auftrag für das "Ballett russe" von Sergei Diaghilew und choreographiert wurde es von Leonide Massine, der auch selbst auftrat.
"Gestern Abend verlor das Publikum schier den Kopf über diesen neuen Rossini, der in London schon immer ein großer Favorit gewesen ist", schrieb der Kritiker der "Times" am Tag nach der Premiere. Und schon im Jahr 1923 konnte man die eintausendste Aufführung verzeichnen. Auch Respighi hatte für diese Arbeit auf einige Albumblätter Rossinis, auf einige der zirka 150 Stücke aus den "Sünden des Alters" und andere Einzelnummern zurückgegriffen und diesem Erfolg in späteren Jahren noch eine weitere Rossini Suite mit dem Titel "Rossinana" hinzugefügt.
Hör-Tipp
Musikgalerie, Montag, 1. September 2008, 10:05 Uhr