Drachen für den Frieden

Vom alten Afghanistan

Es könnte sein, dass das Afghanistan "vor der Katastrophe" ein friedliches Land war. Es könnte auch sein, dass die Spannungen zwischen den Volksgruppen gering waren. Und auch, dass ein Paschtunenjunge mit einem Hazarajungen befreundet war.

Khaled Hosseini erlaubt uns in seinem Roman "Drachenläufer" Einblicke in das "alte Afghanistan", das Afghanistan "vor der Katastrophe", das seine Hauptfigur, der Paschtune Amir als Kind erlebt hat. Für den damals Zehnjährigen war die Welt tatsächlich in Ordnung, denn sein Vater gehörte zur tonangebenden Schicht, war reich, hatte einflussreiche Freunde, ein schönes Haus und einen Hausmeister, dem er blind vertrauen konnte, weil er mit ihm aufgewachsen war. Ali der Hausmeister war kein Paschtune, für solche niedrige Tätigkeiten wäre sich ein Paschtune zu schade gewesen. Ali war Hazara.

So wie Khaled Hosseini das Verhältnis zwischen Paschtunen und Hazara darstellt, könnte man sich an das alte Vokabel vom "Dienstbotenvolk" erinnert fühlen. Aber wer sind die Hazara?

Die Erben der Kushanas

Die Hazara behaupten, dass sie die Nachkommen des Dschingis Chan seien. Jüngste Forschungsergebnisse des Global Gene Projects bestätigen diese Überlieferung. Außerdem betrachten sie sich als die kulturellen Erben der Kushanas, deren großes Reich sich im Kabultal am längsten gehalten hat. Während der Regierungszeit der letzten Kushana-Herrscher sollen die großen Buddhastatuen von Bamiya entstanden sein, Grund genug für die sunnitischen Taliban, die Statuen zu zerstören, nachdem sie knapp zwei Monate vorher in Yakaolang schon mehrere tausend schiitische Hazara umgebracht hatten.

"Die Welt" hätte gewarnt sein müssen, denn drei Jahre vorher hatte der Taliban-Kommandeur Maulawi Mohammed Hanif die Politik der Taliban in folgendem einprägsamen Satz zusammengefasst: "The policy of the Taliban is to exterminate the Hazaras."

Traditionelles Drachenspiel

Selbstverständlich haben die Taliban auch das Drachenspiel verboten, denn das Drachenspiel war ja "Vergnügen"! Die Ursprünge der Drachenwettkämpfe sind uralt: Seit Jahrhunderten lassen afghanische Kinder und Kindgebliebene im Herbst und im Winter ihre Drachen in den Himmel steigen. Der wichtigste Wettkampf findet zu Nauroz statt, dem traditionellen Neujahrsfest, mit dem zugleich der Frühlingsbeginn gefeiert wird.

Anders als bei uns geht es nicht darum, den schönsten Drachen zu haben, oder den, der am höchsten steigt. Der Sieger muss mehrere Punkte für sich entscheiden: sein Drache muss als einziger "überleben", sein Drache muss mit Hilfe seiner mit Glasscherbenpulver präparierten Schnur möglichst viele Drachen vom Himmel holen, und sein Partner, der Drachenläufer, muss möglichst viele dieser abgesäbelten Drachen in seinen Besitz bringen.

Ein kleines Stück Freiheit

Die beiden Buben des Romans "Drachenläufer" von Khaled Hosseini sind ein Spitzenteam, denn Amir, der Paschtune, weiß genau, wie man den Drachen führen muss, damit der gegnerische Drache abgeschnitten wird, der eigene aber sofort wieder frei kommt. Und Hassan, der Hazara, kennt die Windverhältnisse so gut, dass er sich ganz gemütlich dorthin begeben kann, wo der Wind die herrenlosen Drachen der Erde wieder gibt.

Das Drachenspiel wurde in Afghanistan im Jahr 2001 wiederbelebt, mit Hilfe der ISAF, die 10.000 Drachen verteilt und so ein kleines Stück Freiheit wieder möglich gemacht hat.

Hör-Tipp
Terra incognita, Donnerstag, 11. September 2008, 11:40 Uhr

Buch-Tipp
Khaled Hosseini, "Drachenläufer", Berlin Taschenbuch Verlag, 2004

Links
hazara.net
Khaled Hosseini
Berlin Verlag - Interview mit Khaled Hosseini
subvision.net - Drachen für den Frieden