Als Gast bei den "Zwei Lieserln"

Gelebte Wirtshauskultur

In einer umfangreichen Ausstellung begibt sich das Wien Museum am Karlsplatz derzeit auf Spurensuche in Sachen Wiener Geselligkeit und Wirtshaus. Wie gelebte Wiener Wirtshauskultur aussieht, zeigt Kurt Palm an Hand des Gasthauses "Zu den zwei Lieserln".

"Sehr geehrte Damen und Herren: Wir befinden uns hier im 7. Bezirk in der Burggasse vor dem Gasthaus 'Zu den zwei Lieserln'." So leitet Kurt Palm seinen Besuch im Wirtshaus ein. "Ich finde, ein gutes Gasthaus zeichnet sich auch durch einen originellen Namen aus - und 'Zu den zwei Lieserln' klingt so für mich, dass ich gern hineingehen würde".

Gleich beim Eintreten stechen den Besuchern zahlreiche bunte Wimpel ins Auge, die Zeugnis geben von den glorreichen Zeiten einer grünweißen Fußballmannschaft. Daneben findet sich die obligate Almdudler- und Jägermeisterwerbung, eine alte Kaffeemaschine und, so Palm, "eine alte Stehschank, alte Tische und Sesseln, wie es sich gehört. Es war hier kein Designer, der das verschandelt hat. Und es sind noch die alten Böden hier, bei uns zu Haus hat man 'Stragula' gesagt; und wer weiß, irgendwo gibt's sicher auch noch einen Sparverein!"

Erste Besuche als Kegelbub

In nicht wenigen Touristenführern steht als Hauptmerkmal eines Wiener Wirtshauses: "Es gibt große Mengen auf dem Teller!". Was indes - darüber hinaus - ein gutes Wirthaus ist, das bietet weit mehr. "Wenn man in ein Wirtshaus hineingeht", so bringt es ein weiblicher Gast bei den "Zwei Lieserln" auf den Punkt, "dann muss man eine gewisse Wärme spüren!"

Kurt Palm jedenfalls darf sich als Spezialist bezeichnen, seine früheste Sozialisation, so sagt er, wurde ihm schließlich einst als "Kegelbub" zuteil. Palm: "Und zwar war das in Redlzipf, in dem Wirtshaus, das linker Hand neben dem Bahnhof zu sehen ist, wenn man heute auf der Westbahnstrecke von Wien nach Salzburg fährt. Es war keine automatische, sondern eine Holzkegelbahn mit Holzkegeln, und die musste der Kegelbub aufstellen. Ich war sechs oder sieben Jahre alt, mein Vater ist Sonntag vormittags mit der Eisenbahn mit uns da hin gefahren, die Männer sind beim Kegelscheiben gewesen, während die weiblichen Mitglieder der Familie in der Kirche waren!"

Nur nichts erneuern!

Stephan Lentsch ist der Wirt des Gasthauses "Zu den zwei Lieserln". Die beiden Namensgeberinnen, Lieselotte und Lisbeth, sind vor drei Jahren - nach über drei Jahrzehnten als Wirtinnen - in den wohl verdienten Ruhestand gegangen. Großneffe Stephan hat das Lokal übernommen und traut sich nicht einmal, die vergilbten Wände neu zu auszumalen, "um die Stammkunden nicht zu verschrecken", wie er sagt.

Noch wichtiger ist es ihm aber, seine Gäste mitsamt ihren Eigenheiten zu hegen und zu pflegen: Ein kleiner Brauner wird etwa auf Wunsch mit Eiswürfeln serviert, eine Portion Schnitzel schon mal geviertelt - für den "besonders kleinen Hunger". Und manchmal wird - wenn ein Stammgast erkrankt ist - das Essen sogar ans Krankenbett geliefert.

Gelebte Demokratie

In einem richtigen Wirthaus wird Demokratie gelebt, da sitzt nicht selten ein Parlamentarier neben einem Maurer und es entwickelt sich ein heftiges Streitgespräch. Kurt Palm, der Ende April übrigens das Hörbuch "Karl Marx: Best of: Das Kapital" auf den Markt bringt, postuliert daher klassenkämpferisch: "Die Klassengrenzen verlaufen nicht innerhalb des Wirtshauses, sondern zwischen den Wirtshäusern und den gehobenen Restaurants, den so genannten Gourmettempeln, da verlaufen Linien, die die Klassen trennen."

Einmal wurde Palm, so erzählt er, in einen solchen Gourmettempel eingeladen, der Gastgeber zahlte anschließend für zwei Personen 320 Euro. "Marx selbst", so Palm, habe übrigens ebenfalls seine Erfahrungen in Wiener Wirtshäusern gemacht: "Das war Ende der 1840er Jahre, Marx war überrascht über das liederliche Leben der Wiener Proletarier, die zu viel gesoffen und mit Frauen herumgemacht haben. Marx wollte, dass etwas weitergeht mit der Revolution und hat gesagt, die Proletarier sollen nicht so viel saufen, sondern lieber klassenkämpfenderweise auf die Straßen marschieren und die Kapitalisten davonjagen!"

Die Philosophie des Beisels

Immer wieder hört man - etwa auf Grund flächendeckender Fastfoodketten - vom Niedergang der guten alten Wirtshauskultur, und auch Kurt Palm äußert sich besorgt: Er zitiert immerhin einen berühmten Philosophen, allerdings mit einigem Vorbehalt: "Philosophen haben ja die Angewohnheit, dass sie sich mit allem beschäftigen, was man ihnen vorlegt. Wenn Du denen ein Schleifpapier auf den Tisch legst, dann reden sie über das Sein und das Nichts. Der einzige Philosoph, der was Bemerkenswertes über das Wirtshaus sagte, war Jacques Lacan, der einmal zu Franz Schuh gemeint hat: 'Le Beisel n'existe pas'. Darüber habe ich mir lange den Kopf zerbrechen müssen."

Hör-Tipp
Leporello, Montag bis Freitag, 7:52 Uhr

Veranstaltungs-Tipp
Ausstellung "Im Wirtshaus. Eine Geschichte der Wiener Geselligkeit", 19. April bis 23. September 2006, Wien Museum Karlsplatz,
Ö1 Club-Mitglieder erhalten ermäßigten Eintritt (25 Prozent).

Link
Wien Museum