Die listige Literatur der Lilian Faschinger

Retter sind gefährlich

Lilian Faschinger, in der österreichischen Provinz aufgewachsen, schreibt, liest, übersetzt und reist, um den Verhältnissen ihrer Kindheit zu entkommen. Literarisch ist sie in Wien gelandet: "Stadt der Verlierer" heißt ihr neuester Roman.

Lilian Faschinger, geboren 1950 in Tschöran/Kärnten, hat zu schreiben begonnen, um der Provinz zu entfliehen. Als einzige der Familie, Männer eingeschlossen, durfte sie studieren, promovierte in englischer Literaturwissenschaft, arbeitete als Assistentin an der Universität Graz und machte sich einen Namen als Übersetzerin.

"Es war schon so, dass meiner Mutter klar war, dass man als Frau ohne Beruf ziemlich chancenlos ist, weil sie das ja an der eigenen Biografie erkannt hatte", erzählt Faschinger. "Viele meiner weiblichen Vorfahren sind im Dienst irgendwelcher Herrschaften gestanden. Meine Mutter war vor ihrer Heirat Köchin, dann Hausfrau, als die sie sich erst recht nicht verwirklichen konnte."

Unterdrückung und Befreiung

Die patriarchalischen Strukturen auf dem Lande waren in der Nachkriegszeit sehr stark ausgeprägt. Es herrschte eine "bedrückende Atmosphäre, die einem das Leben vergällt hat", nennt es Faschinger. Heute glaubt sie, dass dieses Mundtot-machen der Frauen auf ein anderes Schweigen zurückzuführen war: auf das Totschweigen des Nationalsozialismus.

"Ich bin ja nicht die einzige Frau meiner Generation, die das thematisiert hat", ist sich Faschinger bewusst. "Frischmuth, Jelinek oder Mitgutsch haben das auf ihre jeweils persönliche Weise auch getan."

Mit 18 reiste Faschinger in die USA. "Das hat mich befreit und meine Weltsicht verändert", bekennt sie.

Kritikerlob für Debüt

Dem Schreiben hat sich Faschinger über das Übersetzen angenähert, "aber auch da hat mich geärgert, dass die Frauen, also mehr als 50 Prozent der Menschheit, in der Literatur so unterrepräsentiert sind, erzählt sie.

Seit mehr als 20 Jahren bereichert Lilian Faschinger nun die österreichische Literaturszene. Als Hedwig Moser, die Heldin ihres Debütromans "Die neue Scheherazade" 1986 auf der Suche nach alternativen Männern auszog, um sich von Christo verpacken, Tom Waits begleiten und Clint Eastwood vergewaltigen zu lassen, war das Lob der Kritik einhellig. Hier meldete sich eine Autorin zu Wort, die einen ganz eigenen Tonfall gefunden hatte, die das Tragische und das Komische bravourös vereinte und unabhängig von den literarischen Moden der Zeit schrieb.

Eine Frau in Auflösung

Mit allen Wassern der sprachkritischen Moderne und des Feminismus' gewaschen, konnte ihr trotzdem nichts die Lust, schon gar nicht die Fabulierlust verderben. "Lustspiel" heißt auch ihr zweiter Roman, in dem sie eine aus dem Leben gegriffene Dreiecksgeschichte verarbeitet.

"Da ging es mir darum, durch eine assoziative Schreibweise an Verdrängungen heranzukommen", erzählt Faschinger. "Da es sich um eine Frau handelt, die in Auflösung begriffen ist, habe ich das durch den Wechsel von der ersten zur dritten Person betont. Nachdem das Buch schon fertig war, wollte ich die assoziative Getriebenheit noch verstärken und habe die Zeichensetzung verändert. Die Punkte durch Beistriche ersetzt und umgekehrt. So wurde der Zusammenbruch der Frau durch das Schreiben beschleunigt."

Dieses Buch wurde als allzu offenherzige Autobiografie verkannt und kam weniger gut an. Faschinger lässt sich trotzdem nicht entmutigen, kündigt 1990 ihre Stelle an der Universität in Graz und beschließt, von nun an als freie Schriftstellerin zu leben.

Weltweiter Erfolg mit "Magdalena Sünderin"

In einem kleinen Zimmer am Montmartre beginnt sie ihren Roman "Magdalena Sünderin", die Lebensbeichte einer siebenfachen Männermörderin. Das Buch erscheint 1995 und ist ein literarischer Befreiungsschlag. "Magdalena Sünderin" wird in 17 Sprachen übersetzt, von den Tantiemen lebt Faschinger bescheiden, aber froh, keinem Brotberuf nachgehen zu müssen, bis heute.

"Alle Frauen, die ich beschreibe, sind Grenzgängerinnen, die aus den Verhältnissen, in die sie durch den Katholizismus und das Patriarchat gezwungen werden, auszubrechen versuchen", so Faschinger. "Magdalena Leitner hat einen Priester entführt, gefesselt und geknebelt, um endlich einen Mann zu finden, der ihr zuhört. Ihr Vater, die Seelsorger, die Psychiater und nicht zuletzt die Männer, die sie ermordet hat, haben das nicht getan. Sie alle sind Repräsentanten einer Macht, die Menschen unter dem Vorwand, ihnen zu helfen, erst recht wieder unterdrücken."

Zurück nach Wien

Faschinger bleibt auch in ihren nächsten Büchern beim Thema. In ihrem ersten Stadtroman "Wiener Passion" widmet sie sich einem Dienstbotenschicksal. Wieder nach Österreich zurückgekehrt, schlägt sie in ihren Pariser Reminiszenzen "Paarweise" einen sanfteren Ton an, hier werden die fluktuierenden Beziehungen zwischen Menschen subtil ausgeleuchtet. Aber dann haben sie die heimischen Verhältnisse und die Stadt Wien, in die sie nach ihrer Rückkehr gezogen ist, fest im Griff. Für ihren aktuellen Roman, "Stadt der Verlierer", braucht sie fünf Jahre. Erstmals projiziert sie ihre Wut auf die Verhältnisse in einen Mann.

"Bisher waren meine männlichen Figuren ja eher Karikaturen, aber dieser Matthias Karner wird ernst genommen, obwohl er kein sympathischer Held ist", erklärt Faschinger. "Wenn er nicht gerade bei einer seiner Gönnerinnen, älteren Frauen, die er verachtet, lebt, steckt er in einem stickigen Durchhaus, aus dem er nicht herauskommt, auch wenn er gern Springsteens 'Tunnel of Love' auf der Gitarre spielt. Er ist ein Mann, der sich seiner Aggressionen gar nicht bewusst ist, bis sie so übermächtig werden, dass er einen Mord begeht, den Mord an einer Frau, die er zuerst vor dem Selbstmord gerettet hat. Auch hier wollte ich darstellen, dass man vor den selbsternannten Rettern auf der Hut sein muss."

Psychokrimi mit Wien-Humoreske

Konterkariert wird die Geschichte des psychotischen Mannes durch jene der patenten Privatdetektivin Emma Novak, die dem Mörder eher nolens als volens auf die Schliche kommt.

"Man kann vielleicht darüber streiten, ob die beiden Ebenen des Romans zusammenpassen", meint Faschinger, "aber ich wollte weder mich noch den Leser ausschließlich mit dem düsteren Psychokrimi belasten. Schreiben folgt für mich auch einem musikalischen Prinzip, also habe ich die divergenten Handlungen, hier eine Geschichte, die unheimlich heavy ist, dort eine Wien-Humoreske, sehr bewusst komponiert. Ich schreibe ja nicht nur, um den Leser, sondern auch, um mich selbst zu unterhalten."

Hör-Tipp
Tonspuren, Freitag, 13. April 2007, 22:15 Uhr

Buch-Tipps
Lilian Faschinger, "Stadt der Verlierer", Hanser Verlag, 2007, ISBN 978-3446208179

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Lilian Faschinger, "Magdalena Sünderin", Dtv, 2006, ISBN 978-3423134682

Lilian Faschinger, "Paarweise. Acht Pariser Episoden", Dtv, 2004, ISBN 978-3423132848

Lilian Faschinger, "Die neue Scheherazade", Dtv, 2003, ISBN 978-3423131483

Lilian Faschinger, "Wiener Passion", Dtv, 2001, ISBN 978-3423129251