Über den Alltag in Srebrenica

Eine symbolische Verurteilung

In Belgrad sind am vorigen Dienstag vier Mitglieder der paramilitärischen Einheit "Skorpion" wegen der Tötung von sechs jungen Muslimen in Srebrenica verurteilt worden. Der fünfte Verdächtige wurde wegen Mangels an Beweisen freigesprochen.

Der Prozess in Belgrad hat die serbische Öffentlichkeit aufgeschreckt und gezeigt, dass auch Serben fähig sind, Gräueltaten auszuüben. In einem treffenden Kommentar hat die Journalistin Dragana Matovic von der Belgrader Tageszeitung "Politika" angemerkt, dass für die Familienmitglieder der ermordeten Jungen dieser Prozess keine Gerechtigkeit bedeuten könne. Nicht nur, weil keine Strafe die Getöteten wieder lebendig machen kann, sondern weil sie mit dem freigesprochenen "Skorpion" jetzt täglich in Kontakt kommen können.

Ein Intermezzo?

In Srebrenica sieht man diesen Prozess mit verständlicher Reserviertheit. Den fünf Verdächtigten wurden wegen der Ermordung von sechs Muslimen der Prozess gemacht. Die Hauptverdächtigten freilich, Mladic und Karadjic, die für bis zu 8.000 Tote verantwortlich gemacht werden, sind noch immer auf freiem Fuß. Es gibt auch keine Hoffnung, dass sich das in der nächsten Zeit ändern wird.

Unzufrieden mit ihrem Leben in Srebrenica, drohen die muslimischen Einwohner ihre Stadt kollektiv zu verlassen. Sie verlangen einen speziellen Status in Form einer Unabhängigkeit von der Republika Srbska, zu der Srebrenica jetzt in der staatlichen Organisation und Gliederung von Bosnien-Herzegowina gehört.

Der bosnisch-herzegowinische Dichter und Publizist Mile Stojic deutet auf eine unerträgliche Situation, in der sich Bosnien Herzegowina befindet. Der Staat ist nicht als eine Einheit definiert, sagte er. Es gibt zwei Glieder, die Republika Srbska und die bosnisch-kroatische Föderation. Es existiert zwar eine gemeinsame Staatsfahne und eine gemeinsame Staatshymne, aber die hat keinen Text. Ihr Name ist symptomatisch: Intermezzo. Symptomatisch ist auch die Tatsache, dass weder Bosniaken, Kroaten noch Serben, die alle in Bosnien-Herzegowina leben, diese Staatssymbole als ihre eigenen empfinden.

Ein Rockkonzert?
Ein angekündigtes Rockkonzert des kroatischen Sängers Marko Perkovic Thompson in Sarajevo hat in der Stadt heftige Proteste von einigen dort ansässigen Vereinen verursacht. Wegen seiner angeblich nationalistischen Texte und Äußerungen möchten viele sein Konzert in Sarajevo verhindern. Er selbst nennt seine Texte "heimatliebend". Nun, was man in Bosnien-Herzegowina als "heimatliebend" bezeichnen kann, lässt Fragen offen. Nicht zufällig haben die zuständigen internationalen Organisationen, die in Bosnien Herzegowina tätig sind, die Staatshymne "Intermeco" ohne Wörter gelassen.

Vor dem Hintergrund dieser Momentaufnahmen aus Bosnien-Herzegowina lässt sich die Klage des Dichters Mile Stojic besser verstehen. Die Situation ist für die Menschen in Bosnien Herzegowina - und das trifft alle, Muslimen, Kroaten und Serben - unerträglich geworden.

Politische Zufriedenheit
Es scheint, dass die einzigen, die sich mit ihrer Arbeit zufrieden zeigen, die Vertreter der internationalen Organisationen selbst sind. Paddy Ashdown, der frühere Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina (2001-2006) hat sich in einem Beitrag für die britische Tageszeitung "Independent" für die Verlängerung des UN-Mandats in Bosnien Herzegowina eingesetzt. Es gelte noch einen langen Weg zu einem stabilen Staat zurückzulegen.

Wenn Lord Ashdown schreibt, dass "viel gemacht wurde", hat er recht, aber die Einschätzung, dass bereits mehr getan wurde, als es noch zu tun gilt, weckt Zweifel. Paddy Ashdown blieb die Antwort schuldig, wie er sich diese Aufgabe vorstelle.

Die vier wegen Srebrenica-Morde Verurteilten Serben sind nur ein winziger Beitrag, um bewusst zu machen, dass die Täter unter so genannten "normalen" Menschen leben. Die ungeklärte Situation in Bosnien-Herzegowina lässt sich nicht beliebig lange ertragen. Ein Intermezzo kann definitionsgemäß nicht lange andauern. Es ist höchste Zeit, konkrete neue Vorschläge der internationalen Gemeinschaft zu bekommen und sie auch zu implementieren.

Links
Nederlands Instituut voor Oorlogsdocumentatie (Dokumentation in englischer Sprache)
Wikipedia - Massaker von Srebrenica
Wikipedia - Marko Perkovic Thompson